Spar- gegen Kunstkurs

Im Jugendclub Klinke in Berlin-Marzahn wird vor allem Musik gemacht. Die Sparmaßnahmen des rot-roten Senats bedrohen seine Existenz. von martin kröger

Bei so schönem Wetter kommen nur die Heuschnupfer.« Jan steht etwas verloren vor dem fast leeren Jugendclub Klinke in der Bruno-Baum-Straße in Berlin-Marzahn, die auf der einen Seite von Plattenbauten und auf der anderen von kleinen Einfamilienhäusern gesäumt ist. Seit zwei Jahren besucht er regelmäßig den Club im ehemaligen Vorzeigebezirk der Hauptstadt der DDR.

Obwohl er nicht mehr in Marzahn-Hellersdorf wohnt, kommt er gerne nach »Marzipanien«, wie er respektvoll den östlichen Großbezirk nennt. »Ich mag Marzahn, weil ich hier aufgewachsen bin«, erzählt Jan. Doch total wohl fühlt sich der junge Skinhead trotzdem nicht: »Die Faschos und Prolls kotzen mich schon an. Besonders nachts sollte man sich in einigen Ecken von Marzahn nicht blicken lassen.«

In der Klinke gibt es mit den Rechten dagegen kein Problem. Sie meiden den Club, der als eher links gilt. Ungefähr 30 Jugendliche kommen täglich hierher, zumeist Punks, Metals, Gruftis und nichtrechte Skinheads. Hier kann Jan mit seiner Band Kehlkopf proben und Demo-Tapes aufnehmen, für ihn »die beste Beschäftigung, die es gibt«. Für solche Zwecke stellt die von kommunalen Mitteln abhängige Jugendeinrichtung zwei Proberäume und ein Tonstudio zur Verfügung.

Aber auch musikalisch weniger Interessierte kommen hierher, da eine Vielfalt von Aktivitäten angeboten wird: Neben Kursen in Malerei, Keramik und Skulpturenbau können die meist unter 20jährigen Streetball und Volleyball spielen, kickern oder einfach nur auf den von NachbarInnen gespendeten Sofas chillen und quatschen.

Dass sogar die Kunstkurse auf Interesse stoßen, sieht man an den überall im Club stehenden Skulpturen. Über der Theke hängt eine riesige Spinne an der Decke, an verschiedenen Stellen stehen über zwei Meter große Aliens, die eigentlich zusammen mit einem »Klinke«-Schild auf dem Dach angebracht werden sollten; die Installation auf dem gelben, teilweise mit Graffiti verzierten Flachdachbau erwies sich aber als zu kompliziert.

Auch an den Wänden des Computerkabinetts hängen selbst gebastelte Collagen. Der Raum, in dem drei Rechner mit Internetzugang zur Verfügung stehen, die ebenfalls gespendet wurden, dient gleichzeitig als Büro des Jugendclubs. »Das Internet soll den Jugendlichen ermöglichen, Wohnungs- und Jobbörsen abzusurfen«, erzählt Katrin Meier, die seit 1994 als Erzieherin in der Klinke arbeitet.

Über Marzahn hinaus bekannt ist der Club aber für seine Ska-, Punk- und Metalkonzerte, von denen überall an den Wänden hängende Plakate künden. Bis zu 300 BesucherInnen kommen zu solchen Veranstaltungen, die inzwischen fast jedes Wochenende stattfinden. Die Technik und den Konzertsaal stellt der Verein Klinke e.V. Auch die Instandhaltung der Technik und Reparaturen sowie Ausbauten werden in Eigenregie vorgenommen. Die Hausband der Klinke, »Obstructing the Police« (kurz: OTP), bereitet zur Zeit sogar ihr erstes Album vor.

Besonders im Winter ist der Club das Ersatzzuhause vieler Jugendlicher, die gleich nach der Schule dorthin gehen und sich erst mal mit Tiefkühlpizzen und Baguettes versorgen. Auch Alkohol darf in geringen Mengen konsumiert werden. »Wenn wir ihnen verbieten würden, Bier zu trinken, würde niemand kommen, und die Kids würden sich woanders noch mehr betrinken«, ist sich Katrin Meier sicher. Im Sommer verbringen die meisten Jugendlichen ihre Zeit sowieso im Stadtpark Biesdorf, wo keine ErzieherInnen und SozialarbeiterInnen über die Regeln wachen. Dann kommen nur sie Stammgäste in die Klinke.

Unter ihnen sind viele, die den kostenlosen Bass-, Gitarren- oder Schlagzeugunterricht in Anspruch nehmen. Dass er noch umsonst ist, ist den Honorarkräften einer lokalen Musikschule zu verdanken. Viel hängt in diesen Tagen von freiwilligen Leistungen und ehrenamtlichen Angeboten in Marzahn ab. Der Bezirk ist wie die Stadt Berlin hoch verschuldet: etwa 40 Millionen Euro belasten den Etat. Vom Senat ist keine zusätzliche finanzielle Hilfe und Unterstützung zu erwarten. Im Gegenteil, er hat strikte Kürzungen im Sozialbereich angeordnet.

So hat zu Beginn dieses Jahres Finanzsenator Thilo Sarrazin (SPD) die Konten für die Jugend- und Sozialarbeit im Bezirk komplett sperren lassen, obwohl in Marzahn die meisten Kinder und Jugendlichen innerhalb Berlins wohnen. Die Begründung lautete, im Vergleich zu den anderen Bezirken seien die Jugendeinrichtungen zu teuer und die sonstigen sozialen Ausgaben zu hoch.

»Aus reiner Verzweiflung«, meint Katrin Meier, »hat der Bezirk danach vorgeschlagen, zum Beispiel den Getränkeverkauf in dem Jugendclub zu kommerzialisieren.« Dass damit die Gemeinnützigkeit und die Steuerbefreiung des Trägervereins der Klinke auf dem Spiel stehen – abgesehen davon, dass die Jugendlichen sowieso kein Geld haben –, schien der Bezirksverwaltung keine Sorgen zu bereiten. Meier nimmt sie dennoch in Schutz. »Die können doch gar nicht anders: Die kriegen doch Druck von oben aus dem Senat und von unten von den Trägern der Jugendclubs und den Jugendlichen.«

Tatsächlich formierte sich Anfang des Jahres reger Widerstand der Jugendlichen gegen die Kürzungspläne. Eine Zeitlang veranstalteten sie Montagsdemonstrationen gegen den Sozialabbau, manchmal mit tausend TeilnehmerInnen. Als diese Proteste nichts halfen, griffen sie zu offensiveren Methoden und gingen direkt in die Amtsstuben. BesucherInnen der bedrohten Einrichtungen sammelten Unterschriften und veranstalteten Solikonzerte. Die Klinke machte mit. Am Jugendhaus wurden Transparente und ein symbolischer Galgen mit einer Puppe angebracht, der die ausweglose Situation symbolisieren sollte. Geholfen hat das alles nicht. Seit dem 11. April steht fest, dass zunächst vier Jugendfreizeiteinrichtungen dicht gemacht werden; der Jugendclub Renner, der immerhin seit fast 20 Jahren bestand, musste bereits seine Pforten schließen. Die Angestellten dieser Einrichtung arbeiten nun in einem anderen Jugendclub.

Inzwischen sind die Proteste ein wenig eingeschlafen. Dabei stehen die nächsten Kürzungen anscheinend kurz bevor. Kein Wunder also, dass »im Bezirk bei den Leuten die Angst umgeht«, wie es der Leiter des Fachbereichs 1, Allgemeine Förderung von jungen Menschen und Familien, des Jugendamts Hellersdorf-Marzahn formuliert, German Meneses, bei dem man sich als Journalist vor dem Besuch einer Jugendfreizeiteinrichtung vorstellen muss. »In nächster Zeit werden noch mehr Jugendeinrichtungen geschlossen werden müssen«, kündigt er an.

Auch Jan, der Sänger von Kehlkopf, beschreibt die Unsicherheit angesichts dieser Zukunft: »Zurzeit weiß keiner, wie lange es die Klinke und die anderen Jugendclubs noch geben wird.« Linda, die wie Jan regelmäßig in der »Klinke« weilt, sieht nur eine Alternative: »Wenn der ganze Club mitkommen würde, dann würde ich auch woanders hingehen, ansonsten werde ich wohl zu Hause bleiben müssen. Das ist hier doch alles eine große Familie.«