Sparschweine

Proteste gegen Rentenpläne von anton landgraf

In Österreich wird das Ende der »Konsenspolitik« beschworen, der französische Ministerpräsident Jean-Pierre Raffarin erklärt, dass es zu den Rentenkürzungen »keine Alternative« gebe. »Wir leben über unsere Verhältnisse«, verkündet der deutsche Finanzminister Hans Eichel. Nach den katastrophalen Wachstumsprognosen stünden alle staatlichen Leistungen auf dem »Prüfstand«.

Kein Zweifel: Die gemütliche Zeit im alten Europa geht zu Ende. Die bevorstehende Kürzung der Renten ist erst der Beginn des anvisierten Um-, also Abbaus des Wohlfahrtsstaates – oder dessen, was noch davon übrig geblieben ist. Andere Bereiche werden folgen. Die aktuelle Debatte erinnert an die Zeiten, als die britische Premierministerin Margaret Thatcher den »postwar consensus« auf der Insel zerschlug. Sie wollte den Wohlfahrtsstaat zerlegen, der den »Tatkräftigen, Erfolgreichen und Sparsamen Geld wegnimmt, um es den Untätigen, Versagern und Schwachen zu geben«. Unter Thatcher wurden der Arbeitsmarkt und die staatliche Verwaltung liberalisiert, es entstand das bis dahin kaum bekannte Phänomen des working poor.

Thatchers Erben wollen heute in ähnlicher Weise die Probleme des postkeynesianischen Staates lösen. Niedrige Löhne und längere Arbeitszeiten sollen die Arbeitsgesellschaft retten und für sinkende Sozialausgaben sorgen. Zuvor müssen die letzten gesellschaftlichen Widerstände beseitigt werden, die sich dem Projekt entgegenstellen.

In Österreich übernimmt der »steely chancellor« (Economist) Wolfgang Schüssel die Aufgabe, die einflussreichen Gewerkschaften zu entmachten, und trifft ausgerechnet in dem Land, in dem man bislang die Streikdauer nur in Sekunden messen konnte, auf heftigen Widerstand. Sollte es ihm gelingen, seine Rentenpläne gegen alle Gegner durchzusetzen, wäre das »Konsensmodell« passé. Falls er scheitert, könnten die Postfaschisten um Jörg Haider mit Hilfe der Sozialdemokraten ihre Wiederauferstehung feiern. In Frankreich hat Raffarin von seinem Vorgänger Alain Juppé gelernt und versucht, die Gewerkschaften in seine Pläne einzubinden. Dennoch ist er mit den größten Protesten seiner Amtszeit konfrontiert.

Nur in Deutschland tritt eine nennenswerte Opposition bislang kaum in Erscheinung. Die Gewerkschaften demonstrieren am Samstagnachmittag, und einige sozialdemokratische Hinterbänkler drohen, ihrem Chef im Bundestag die Stimme zu verweigern. Dass weitere Taten folgen, ist kaum zu erwarten. Die Gewerkschaften sind, ähnlich wie in Österreich, selbst zu eng mit der Regierungsmacht verwoben, als dass sich ein Machtkampf für sie lohnen würde.

Warum bewegt sich außerhalb des institutionellen Rahmens nichts? An massenhaften Protesten hat es schließlich in den vergangenen Monaten nicht gefehlt. Doch während Hundertausende gegen den Irakkrieg demonstrierten und indirekt die rot-grüne Regierung unterstützten, beteiligen sich nur wenige Hundert an den Aktionen gegen das Hartz-Konzept und den Sozialabbau. Die german disease ist der imaginierte Klassenkampf: Bei Ereignissen, auf deren Verlauf sie keinen direkten Einfluss haben, gehen Massen auf die Straße. Droht eine Konfrontation, in der es um ihre eigenen materiellen Interessen geht, reagieren sie apathisch.