Stress in der Bioregion

Am kommenden Wochenende findet in München der Kongress »Spiel ohne Grenzen« statt. peter bierl befasst sich dort mit der Rolle von Tiefenökologen und Verschwörungstheoretikern in der Antiglobalisierungsbewegung

Das Credo vieler Globalisierungskritiker lautet, eine Elite aus transnationalen Konzernen, Banken und Bürokratien wie die der Welthandelsorganisation (WTO) regiere die Welt. Die Regierungen seien machtlos. Die Ikone der Zapatisten, Subcommandante Marcos, war einer der ersten, der diese Annahme aussprach. Auf globaler Ebene stünden sich die großen Finanzzentren gegenüber, schrieb er in dem Text »Der vierte Weltkrieg hat schon begonnen« 1997 in Le Monde diplomatique.

Zu den ersten Kriegsopfern gehöre der nationale Markt, die Nationalstaaten seien zu Marionetten degradiert und der »American Way of Life« zerstöre ihre historische und kulturelle Grundlagen. »Der Sohn (Neoliberalismus) frisst den Vater (nationaler Kapitalismus)«, schrieb Marcos. Die Zapatisten kämpften deshalb für die »Verteidigung des Nationalstaates angesichts der Globalisierung«.

Das Wort Neoliberalismus, das nur eine Ideologie bezeichnet, ersetzte den umfassenden Begriff Kapitalismus und wurde seinerseits von dem Schlagwort Globalisierung verdrängt. Maßgeblich beim Prägen diesen neuen Begriffs war die Foundation for Deep Ecology aus Kalifornien, die Doug Tompkins, ein ehemaliger Anteilseigner des Modekonzerns Esprit, gründete. Die Stiftung verfügt über ein Kapital von etwa 170 Millionen Dollar. Ihre Mitglieder meinen, der Planet werde durch das Wirtschaftswachstum, die Industrialisierung und die »kulturelle Homogenisierung« zerstört.

Sie beziehen sich dabei auf den Norweger Arne Naess, den Begründer der Tiefenökologie, einer esoterischen Richtung in der Umweltbewegung. Das Hauptproblem für Naess wie für die Stiftung ist die angebliche Überbevölkerung. Alle Tiefenökologen wollen deshalb die Zahl der lebenden Menschen drastisch verringern. Naess agitiert gegen Einwanderung im allgemeinen, weil »jeder Einwanderer von einem armen in ein reiches Land ökologischen Stress« schaffe.

Mitte der neunziger Jahre initiierte die Stiftung für Tiefenökologie das International Forum on Globalization, das die Proteste in Seattle im Jahr 1999 und die Aktionen gegen die Treffen des World Economic Forum in Davos 2001 mitorganisierte. Das International Forum on Globalization ist ein elitärer Club. Dazu gehören Jeremy Rifkin, der Präsident der Foundation on Economic Trends, Ralph Nader, der ehemalige Präsidentschaftskandidat der US-amerikanischen Grünen, die indische Ökofeministin Vandana Shiva, der britische Millionär Edwin Goldsmith, die Tiefenökologen Peter Berg und Kirckpatrick Sale sowie Susan George, die heutige stellvertretende Präsidentin von Attac International.

Goldsmith kämpft für eine »natürliche soziale Ordnung«, sein Vorbild ist die feudale Ständegesellschaft des Mittelalters. Er kooperiert mit der Neuen Rechten in Frankreich und Belgien sowie der Herbert-Gruhl-Gesellschaft in Deutschland. (Siehe Seite 13) Zusammen mit Jerry Mander, dem Präsidenten des International Forum on Globalization und Programmdirektor der kalifornischen Tiefenökologie-Stiftung, ist Goldsmith Herausgeber des »Schwarzbuchs Globalisierung«, das von der gewerkschaftsnahen Büchergilde Gutenberg publiziert wurde.

Das International Forum on Globalization behauptet, supranationale Handelsbürokratien beherrschten ein globalisiertes Wirtschaftssystem. Das Resultat sei eine »weltweite Homogenisierung von verschiedenen, lokalen und indigenen Kulturen und Lebensformen, ebenso von Werten und Gewohnheiten zu einer globalen Monokultur«. Dagegen fordert das Forum die »Entwicklung autonomer, regionaler und lokaler Produktionskreisläufe« sowie die »Unterstützung von Biodiversität, kultureller Verschiedenheit und Verschiedenheit von sozialen und politischen Systemen«. Das Ziel sind lokale oder regionale ökonomische Einheiten, die lose miteinander verbunden sind.

Tiefenökologen sprechen von Bioregionen, die sie als spirituelle Einheit von Natur, Pflanzen, Tieren und Menschen sehen. Peter Berg erklärte, jeder Mensch habe ein »Erstrecht« an dem Platz, an dem er geboren sei, und Kirckpatrick Sale meinte, nicht jede Bioregion müsse demokratisch regiert werden. Goldsmith forderte abgeschottete Gesellschaften, weil jede ethnische Gruppe so wie biologische Organismen Fremdkörper abwehre. Solche Ideen sind die ökologische Variante des Ethnopluralismus der neuen Rechten: Kulturen werden als homogene Einheiten definiert, die unvermischt bleiben sollen.

Auch Earth First bezieht sich auf die Tiefenökologie. Im Sinn der Überbevölkerungsphantasien des Meisters Naess erklärte John Davis, einer der Herausgeber des Earth First Journal: »Ich vermute, dass die Ausrottung der Pocken falsch war. Sie spielten eine wichtige Rolle im Gleichgewicht des Ökosystems.«

Das Netzwerk militanter Tierrechtler und Veganer beteiligte sich an den Aktionen in Seattle, an der Reclaim-the-Streets-Bewegung in Großbritannien und im Jahr 2000 an den Protesten gegen die Tagung des Internationalen Währungsfonds (IWF) in Prag. Earth First behauptet, die menschliche Zivilisation führe einen »Blitzkrieg gegen die natürliche Welt« und Menschen seien nicht mehr wert als Tiere oder Pflanzen. Der Name, »die Erde zuerst«, ist Programm: Möglichst große Teile der Erde sollen wieder zur Wildnis werden.

Die Tiefenökologie hat auch in Deutschland nicht wenige Anhänger. Im Beirat von Attac- Deutschland etwa sitzt die Ökofeministin Maria Mies, die die Rückkehr zu Mutter Natur und den Konsumverzicht predigt und eine autarke Subsistenzökonomie einrichten will, eine Agrarwirtschaft, in der die Produzenten nur herstellen, was sie selbst verbrauchen. Die Kölner Soziologin Mies und Vandana Shiva setzen eine »spirituelle Dimension« gegen »kapitalistischen und marxistischen Materialismus« und teilen die Annahme, dass die westliche Industriegesellschaft zu einer »Zerstörung der kulturellen als auch der biologischen Vielfalt geführt habe, zu einer Homogenisierung der Kulturen nach dem nordamerikanischen Coca-Cola- und Fast-Food-Modell«.

In einem Gespräch mit der Jungle World über die Kampagne gegen das Multilaterale Abkommen für Investitionen (MAI) machte Mies klar, wie wichtig ihr die Nation ist: »In Frankreich regt sich niemand darüber auf, dass für die nationale Kultur gekämpft wird. Wenn wir das in Deutschland zum Thema machen würden, wären wir sofort als Faschisten verschrien. Bei uns wirkt das wie ein Denkverbot – und dagegen wehre ich mich.« (Jungle World, 16/98) Feministisch an ihrer Haltung ist einzig, dass Mies bei der Nation ans Mutterland denkt.

Wie in der Ökologiebewegung der achtziger Jahre so mischen auch in der gegenwärtigen Antiglobalisierungsbewegung Anhänger des deutsch-argentinischen Kaufmanns Silvio Gesell mit, der von 1862 bis 1930 lebte. Für ihn war der Zins die Wurzel allen Übels. Zwei Organisationen von Anhängern Gesells, die Christen für eine gerechte Wirtschaftsordnung (CGW) und die Initiative für eine Natürliche Wirtschaftsordnung (INWO), sind bei Attac-Deutschland vertreten.

In einigen Ländern organisieren Nachfolger Gesells so genannte Tauschringe, einen Mini-Kapitalismus mit Phantasiewährungen, um die Lehren ihres Meisters praktisch anzuwenden. Die deutschen und französischen Tauschringe durften auf dem Europäischen Sozialforum im November 2002 in Florenz ihre Ideen als Beitrag zum Kampf für eine andere Welt vorstellen.

In Argentinien, wo sich in der Not Millionen von Menschen an den Tauschringen beteiligten, erlitten diese einen schweren Rückschlag, weil die Scheine, die sie in Umlauf gebracht hatten, massenhaft gefälscht und dadurch entwertet wurden.

Vertreter solcher Lehren haben es leicht in der Szene. Was dem Anhänger Gesells das »Schwundgeld« ist, eine Währung, die regelmäßig an Wert verlieren soll, um die Spekulation zu begrenzen, ist dem Globalisierungskritiker die Tobin-Steuer. Beiden gemeinsam ist eine beschränkte Sicht auf die Zirkulationssphäre, auf den Umlauf von Waren, Dienstleistungen und Geld sowie auf den Zins. Diese Lehre ist nicht bloß falsch, weil der Kapitalismus im Kern eine Akkumulation durch die Ausbeutung von Menschen und der Natur bedeutet, sondern auch gefährlich. Völkische Propagandisten brachten diesen Pseudo-Antikapitalismus einst auf den Begriff: Schaffendes versus raffendes Kapital, letzteres wurde in europäisch-christlicher Tradition mit den Juden identifiziert.

Freilich sind Massenbewegungen weder sozial noch ideologisch homogen. In ihnen werden obskure Ideen vertreten und sie locken Obskuranten an. Die globalisierungskritische Bewegung ist mehrheitlich antirassistisch, dafür aber anfällig für den Antisemitismus, wie Ausfälle gegen Israel oder der Streit um verschiedene Beiträge auf Indymedia zeigen.

Eine Radikalisierung der Bewegung nach links setzte voraus, dass die Linke mitmacht. In Genua demonstrierte vor allem die Basis von Rifondazione Comunista und der linken Basisgewerkschaften, die Proteste in Seattle wurden von rechten Gruppen mitorganisiert. In Europa wird jedoch nicht die Bioregion, sondern eine Superfriedensmacht EU gegen die kriegerischen US-Imperialisten propagiert. Die Rede von der Globalisierung beinhaltet die irreführende Vorstellung reaktionärer Ökologen, der Kapitalismus sei vorher ein verträgliches lokales System gewesen. Die logische Konsequenz lautet, die »eigene« Ökonomie zu schützen, am besten durch einen starken Staat.

Vermutlich entwickelt sich die neue Bewegung wie die ehemalige Ökologiebewegung: Die Linke verhindert, wenn sie es denn will, eine Wendung nach rechtsaußen, ein paar Reformen werden durchgesetzt, und einige Prominente landen auf Ministersesseln.

Dieser Text ist eine kurze Fassung des Vortrags, den der Autor auf dem Kongress »Spiel ohne Grenzen« vom 23. bis 25. Mai an der Universität München halten wird.