Ade, Winterpalais

Macht, Revolution und Subjektivität bei John Holloway und Michael Hardt/Toni Negri | Tom Binger

Wenn heute in der kritischen Globalisierungsbewegung von der Umwälzung der herrschenden Verhältnisse die Rede ist, dann meist in Abgrenzung zur Vorstellung einer Eroberung der Staatsmacht. John Holloway wie auch Michael Hardt und Toni Negri formulieren diese Kritik, doch mit unterschiedlichen politischen und theoretischen Positionen.

John Holloways Die Welt verändern und Empire von Michael Hardt und Toni Negri gehören gegenwärtig im radikalen Spektrum der weltweiten globalisierungskritischen Bewegung wohl zu den am meisten diskutierten Büchern. Die internationale Debatte über neue emanzipatorische Perspektiven und einen anderen, nicht staatsfixierten Begriff von Revolution wurde durch diese Publikationen stark beeinflusst. Obwohl beide Bücher sich als gemeinsamen Ausgangspunkt auf die operaistische Traditionslinie des Marxismus beziehen, kommen sie zu höchst unterschiedlichen politischen und theoretischen Schlussfolgerungen und Vorschlägen.

Die kopernikanische Wende des Marxismus. Holloway und Hardt/Negri dürften nicht zuletzt deshalb für die neue politische Bewegung der Globalisierungskritiker attraktiv sein, weil sie sich wohltuend vom orthodoxen Marxismus und seiner Fixierung auf die Logik des Kapitals abheben. Herrschaft, Ausbeutung und Unterdrückung, und nicht der Kampf dagegen, stehen im Mittelpunkt vieler traditioneller marxistischer Analysen. Das Kapital erscheint dabei manchmal gar als ein allmächtiges, positives Subjekt kapitalistischer Entwicklung. Hoffnung auf gesellschaftliche Veränderung bleibt auf die aus der inneren Dynamik der kapitalistischen Akkumulation resultierenden Krisenmechanismen verwiesen. Diese objektivistischen und kapitalfixierten Vorstellungen wurden seit den sechziger Jahren des 20. Jahrhunderts durch den italienischen Operaismus einer radikalen Kritik unterzogen.

Der Operaismus setzt den Klassenkampf als Ausgangspunkt der Analyse. In vollständiger Umkehrung des traditionellen marxistischen Ansatzes wird »die Arbeiterklasse zum dynamischen Motor des Kapitals und das Kapital zur Funktion der Arbeiterklasse« (Yann Moulier Boutang). Die Einführung neuer Technologien wird »als Kriegsmittel des Kapitals wider Arbeiteremeuten« (Marx) begriffen. Analog zum Marxschen Konzept der organischen Zusammensetzung des Kapitals entwickeln die Operaisten das Konzept der Klassenzusammensetzung. Die kapitalistische Entwicklung wird als permanenter Prozess der Zersetzung und Neuzusammensetzung der Klasse im Kampf analysiert. Die Krisen des Kapitals sind durch die Stärke des Widerstands bedingt. Die Rekonstruktion der marxistischen Theorie als eine Theorie des Kampfes ist der Kern des theoretischen Projekts des Operaismus.

Diese »kopernikanische Wende des Marxismus« (Moulier Boutang) ist auch die gemeinsame Basis in der Theoriebildung von Holloway und Hardt/Negri. »Die Kämpfe des Proletariats bilden den Motor der kapitalistischen Entwicklung. Sie zwingen das Kapital dazu, das technologische Niveau ständig zu erhöhen und damit die Arbeitsprozesse zu verändern. Die Kämpfe nötigen das Kapital ununterbrochen, die Produktionsverhältnisse zu reformieren und die Herrschaftsverhältnisse zu transformieren.« (Hardt/Negri) Oder in den Worten John Holloways: »Das große Verdienst des operaistischen Ansatzes liegt darin, dass er daran festhält, die Entwicklung kapitalistischer Herrschaft als durch die Kraft des Klassenkampfes der Arbeiterklasse angetrieben zu sehen.« Von diesem Ausgangspunkt gelangen Holloway und Hardt/Negri allerdings zu sehr unterschiedlichen politischen Konsequenzen.

Die Kraft der Negation

Im »klassischen« Operaismus erscheint der Klassenkampf als eine positive Bewegung und die Arbeiterklasse als das positive Subjekt der kapitalistischen Entwicklung. In gewisser Weise führen Hardt/Negri mit ihrer Vorstellung von der konstituierenden Macht der Multitude diese Tradition fort. Holloway wiederum setzt mit seiner Kritik am Operaismus genau hier an. Er orientiert sich dabei am Konzept der »negativen Dialektik«, wie es sich bei Adorno und in der Kritischen Theorie findet.

Für Holloway muss »antikapitalistische Theorie als negative Theorie verstanden werden« und »die Bewegung des Kampfes« als »eine Bewegung der Negation«. Er fordert eine radikale Kritik jedes positiven Begriffs von Subjektivität und setzt dagegen die negative Subjektivität der »Nicht-Arbeiter« bzw. der »Nicht-Klasse«. Ganz im Sinne seiner existenzialistischen Maxime »Im Anfang ist der Schrei« definiert er die revolutionäre Bewegung zunächst als eine Bewegung gegen normierende und stabilisierende Identitäten. Dabei radikalisiert er eine Prämisse der operaistischen Theorie: Primat des Klassenkampfes bedeutet für ihn nicht nur, dass das Kapital lediglich auf die Klassenkämpfe reagiert, sondern dass das Kapital nichts anderes als ein Produkt der Arbeiterklasse ist. Der Antagonismus zwischen Arbeit und Kapital ist also kein äußeres, sondern ein inneres Verhältnis. Der Klassenkampf findet immer schon innerhalb des Kapitalverhältnisses statt. Es kann also keine Autonomie der Klasse gegenüber dem Kapital geben und der revolutionäre Kampf ist insofern notwendigerweise negativ. In dieser negativen Bestimmung des Subjekts liegt auch der grundlegende Unterschied zum Klassenverständnis des Operaismus.

Die potentia der Menge. Toni Negri bemüht sich stärker als andere Operaisten um eine systematische und philosophische Absicherung der positiven Begründung operaistischer Theorie. Unter Rückgriff auf Spinoza, seinen Lieblingsphilosophen, entwickelt er bereits 1982 in seinem Buch Die wilde Anomalie eine positive, nichtdialektische, ontologische Grundlegung der revolutionären Macht. Die Macht der Herrscher (potestas) wird lediglich aus der Macht der Menge (potentia) abgeleitet. Diese positive Herleitung des autonomen Subjekts bleibt für Holloway eine – wenn auch verlockende – Fiktion.

Empire schreibt nun diese Positivierung des Kampfes fort. Das Empire ist laut Hardt/Negri lediglich das neueste Terrain, auf das die potentia der Multitude das Kapital gedrängt hat. Als »vampirmäßiger Beuteapparat« lebt das Empire von der Produktivkraft der Menge. Die »immaterielle Arbeit« mit ihren intellektuellen, kommunikativen und affektiven Potenzialen stellt in der Analyse von Hardt/Negri die eigentliche materielle Basis des Empire dar. In einem wichtigen Punkt stimmen sie allerdings mit dem Ansatz von Holloway überein: Auch für Hardt/Negri ist die Revolution nicht mehr im nationalen Rahmen und als einfache Übernahme der Staatsmacht denkbar. Das Empire kenne als neues weltumspannendes Herrschaftsparadigma kein territoriales Zentrum der Macht, von dem der Umsturz ausgehen könne. Durch die Erosion nationalstaatlicher Souveränität verliere der nationale Staat seine privilegierte Rolle als Bezugspunkt revolutionärer Veränderungen.

Existenz und Konstituierung

Trotz der gemeinsamen politischen Grundlagen entwickelt John Holloway in seinem Buch eine fundamentale methodische Kritik am Ansatz von Hardt/Negri, die kapitalistische Entwicklung »paradigmatisch« zu periodisieren. Die Konzeption klarer Übergänge, vom Imperialismus zum Empire, von der Moderne zur Postmoderne, vom Fordismus zum Postfordismus oder von der Disziplin zur Kontrolle, basiert für Holloway auf der Vorstellung relativ stabiler Entwicklungsperioden des Kapitalismus. Der paradigmatische Ansatz beruhe insofern auf einer Vorstellung von Dauer und trenne die Existenz einer Epoche von ihrer Konstituierung. Diese statische und identifizierende Perspektive des Paradigmas beinhaltet für Holloway die Gefahr der Verdinglichung und Fetischisierung gesellschaftlicher Prozesse. Die Methodik der Empire-Analyse tendiert für ihn zu einer Darstellung von Ordnung, in der lediglich ein Herrschaftsparadigma durch ein anderes ersetzt wird. Ähnlich wie die Regulationstheorie mit ihrer These des Postfordismus stehe der Empire-Ansatz in der Gefahr, vorschnell ein neues Ordnungssystem auszurufen.

Die lange Dauer historischer Prozesse. Auf einen ähnlichen Punkt verweist auch eine neuere Kritik des Weltsystemtheoretikers Giovanni Arrighi. Obwohl er den Ansatz einer paradigmatischen Periodisierung des Kapitalismus teilt, weist Arrighi darauf hin, »dass der gegenwärtige Übergang von der Nationalstaats- zu einer Weltstaatsphase kapitalistischer Herrschaft wohl kaum in weniger als einem Jahrhundert abgeschlossen sein wird«. Außerdem verweist er auf unkalkulierbare Faktoren, auf die zunehmende Instabilität und die unbeabsichtigte Selbstzerstörung in der politischen und ökonomischen Entwicklung des kapitalistischen Weltsystems. Die historische Entwicklung bleibe ein offener und nicht prognostizierbarer Prozess. In den Worten Arrighis: »Das Empire kann tatsächlich in der Entstehung begriffen sein, doch wenn es so ist, dann wird es noch ein Jahrhundert oder gar mehr dauern, bis die Menschheit wissen wird, ob es sich durchgesetzt hat oder gescheitert ist und, wenn es sich durchgesetzt hat, worin sein sozialer und kultureller Gehalt bestehen wird.«

Die funktionalistische Schlagseite des paradigmatischen Ansatzes beinhaltet die Gefahr der antizipierenden Projektion. »Es wird davon ausgegangen, dass die Anpassung an das neue System Wirklichkeit ist, sie wird nicht einfach als Projekt betrachtet«, so Holloway. Selbst die Krise des Kapitals wird so im Prozess der »schöpferischen Zerstörung« zu einem Moment der Regeneration. Auch die Rolle des Staates wird bei Hardt/Negri funktionalistisch im Sinne des »ideellen Gesamtkapitalisten« interpretiert. Die eigene Intention, eine Theorie des Bruchs zu formulieren, wird dadurch unterlaufen.

Antidialektik und Antihumanismus

Die methodischen Schwachstellen im Ansatz von Hardt/Negri gründen für Holloway in ihren antidialektischen und antihumanistischen philosophischen Standpunkten. So diene ihnen beispielsweise ein sehr enges, ordnungsfixiertes Verständnis von Dialektik als Folie der Kritik: »Dialektik wird als Logik der Synthese aufgefasst, anstatt als Bewegung der Negation.« Die Ablehnung der Dialektik korrespondiere mit einem Antihumanismus, der die Grenzen zwischen Mensch, Tier und Maschine negiert. In ihrer »Anthropologie des Cyberspace« beziehen Hardt/Negri sich euphorisch auf Donna Harraways ironisches Konstrukt des Cyborg. Dieser theoretische Antihumanismus steht für Holloway im Widerspruch zum emanzipatorischen Anspruch von Hardt/Negri: »Das Problem bei diesem Ansatz liegt sicherlich darin, dass weder Ameisen noch Maschinen revoltieren. Eine Theorie, die auf der Revolte fußt, hat keine andere Möglichkeit als den besonderen Charakter der Menschheit anzuerkennen.«

Der antidialektische Standpunkt von Hardt/Negri tangiert auch ihre Auffassung vom Klassenkampf. Im Gegensatz zu Holloway behandeln sie den kapitalistischen Antagonismus tendenziell als ein äußerliches Verhältnis, in dem sich zwei reine Subjekte gegenüberstehen. Der Klassenkampf erscheint so als ein Kampf der Titanen: »Ein machtvolles, monolithisches Kapital (›Empire‹) steht einer machtvollen, monolithischen ›Menge‹ gegenüber«, schreibt Holloway.

Hardt/Negri treiben mit ihrem Konzept der konstituierenden Macht der Multitude das positive Verständnis des Klassenkampfs im Operaismus auf die Spitze. Die Positivierung des Klassenkampfes hindert den Postoperaismus daran, seine radikalen und kritischen Impulse zu entfalten. Die Konsequenz ist eine romantische Überhöhung der Macht der Arbeiterklasse und eine Unterschätzung der Vereinnahmung der Arbeit innerhalb kapitalistischer Formen. Erst auf dieser Basis lässt sich die »immaterielle Arbeit« und die mit ihr einhergehende kooperative Interaktion als »Potenzial für eine Art des spontanen und elementaren Kommunismus« (Hardt/Negri) interpretieren.

Von der Möglichkeit des Kommunismus zur Theologie der Befreiung. Mit seiner gleichzeitig wertkritischen und subjektorientierten Analyse des Prozesses der »Fetischisierung« gelingt es John Holloway besser, die gegenseitige Durchdringung von Macht und Anti-Macht sowie von Kapital und Arbeit begrifflich zu fassen. Mit der Darstellung der Dialektik zwischen »Tun« und »Getanem« rekonstruiert Holloway in einfachen Begriffen den Kern der Marxschen Arbeitswerttheorie. Die kreative Macht des Tuns verwandelt sich im Kapitalismus in die instrumentelle Macht der (Lohn-) Arbeit. Der Gebrauchswert einer Sache ist untrennbar mit ihrem Tauschwert verknüpft. Das Kapital existiert nur als Produkt der Aneignung und Verwandlung der kreativen Potenziale des Tuns in Form verdinglichter und entfremdeter Arbeit. Der gesellschaftliche Fluss des Tuns wird unterbrochen und in der fragmentierten Form gesellschaftlicher Arbeitsteilung privat angeeignet.

Im Begriff des Eigentums manifestiert sich die Herrschaft des »Getanen« über das Tun. Gleichzeitig ist das Getane aber vom Tun abhängig. Auf dieser Basis entfaltet Holloway in seiner Darstellung des Prozesses der Fetischisierung die grundlegenden Antagonismen der kapitalistischen Vergesellschaftung. Wesentliche Kategorien materialistischer Gesellschaftsanalyse wie Wert, Geld, Staat und Kapital werden so als soziale Verhältnisse erkennbar. Die Fetisch-Formen werden als dynamischer und widersprüchlicher Prozess der Fetischisierung beschrieben. Die Produktion entfremdeter Formen der Vergesellschaftung ist das Resultat einer widersprüchlichen gesellschaftlichen Praxis, und der Fetischismus schließt insofern sein Gegenteil als permanenten Kampf gegen die fetischisierten Kategorien und Identitäten mit ein. Holloway liefert zwar keine Gewissheiten, begründet aber immerhin die reale Möglichkeit von Emanzipation und Befreiung.

Nur weil sie sowohl die Werttheorie als auch den Prozess der Fetischisierung ignorieren, können Hardt/Negri laut Holloway »die Welt aus der unvermittelten Perspektive des Militanten betrachten«. Bei Hardt/Negri steht der Militante »als Akteur biopolitischer Produktion und des Widerstands gegen das Empire« im Zentrum des emanzipatorischen Projekts. Im emphatischen Schlussabschnitt von Empire erscheint Franz von Assisi als die perfekte Verkörperung kommunistischer Militanz. Aus der analytischen Dechiffrierung der Möglichkeit des Kommunismus wird so unter der Hand eine Theologie der Befreiung, in der sich »Rebellion in ein Projekt der Liebe« und Armut in »die ontologische Macht einer neuen Gesellschaft« verwandelt. In dieser transzendentalen Revolution bleiben »Biomacht und Kommunismus, Kooperation und Revolution in Liebe, Einfachheit und auch in Unschuld vereint«. »Die nicht zu unterdrückende Leichtigkeit und das Glück, Kommunist zu sein«, gründen also paradoxerweise in einer katholischen Heilserwartung.

Giovanni Arrighi (2003), »Entwicklungslinien des Empire«, in: Kritik der Weltordnung, Berlin: ID Verlag.

Michael Hardt und Antonio Negri (2002), Empire. Die neue Weltordnung, Frankfurt a.M.: Campus Verlag.

John Holloway (2002), Die Welt verändern, ohne die Macht zu übernehmen, Münster: Verlag Westfälisches Dampfboot.

Yann Moulier Boutang (1989), »Introduction«, in: Toni Negri, The Politics of Subversion, Cambridge: Polity Press.

Antonio Negri (1982), Die wilde Anomalie, Berlin: Wagenbach.

Tom Binger organisierte die Veranstaltungsreihe »Empire. Potenziale der Befreiung« im Essener Stadtteilzentrum Zeche Carl.