Der Pate zögert

Trotz des Waffenstillstands sind die Kämpfe in Liberia eskaliert. Der Ruf nach einer Intervention wird lauter. von alex veit
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Einwohner der liberianischen Hauptstadt Monrovia nutzten in der vergangenen Woche eine wenn auch fragile Waffenruhe, um wiederholt vor der US-amerikanischen Botschaft zu demonstrieren. Am Donnerstag legten wütende Familien die Leichen ihrer Angehörigen vor der schwer bewachten diplomatischen Vertretung ab und beschimpften die dort verschanzten amerikanischen Soldaten für die Weigerung ihrer Regierung, die Stadt vor den Bürgerkriegsfraktionen zu beschützen.

Die Toten fielen wahrscheinlich Raketen und Granaten zum Opfer, die auf dem Gelände der zur Botschaft gehörenden Wohnunterkünfte eingeschlagen waren, wo Tausende Schutz vor den Straßenkämpfen suchen. Am Freitag demonstrierten wiederum Hunderte Liberianer mit hastig gemalten Schildern und riefen: »Wir wollen Frieden!«

US-Präsident George W. Bush hatte zuvor seinen liberianischen Amtskollegen Charles Taylor zum Rücktritt aufgefordert, um »seinem Land weiteres Blutvergießen zu ersparen«. Die US-Regierung äußert sich derzeit allerdings nicht zu einer militärischen Intervention in dem Konflikt, wie sie unter anderen vom UN-Botschafter Großbritanniens, Jeremy Greenstock, gefordert wird. Auch Taylor, der Bushs Rücktrittsforderungen ignorierte, rief die USA auf, »alles zu tun, um Liberia und die Liberianer aus diesem Schlammassel herauszuholen«.

Im Schlammassel befindet sich auch Taylor selbst. Dem nie von seinen Warlord-Methoden abgerückten Präsidenten bleiben inzwischen nur noch wenige Möglichkeiten, sein Amt, seine Freiheit und möglicherweise auch sein Leben zu retten. Anfang Juni wurde eine Anklage gegen ihn vom UN-Kriegsverbrechertribunal im benachbarten Sierra Leone bekannt gegeben, was einen Gang ins Exil erschwert. Schon seit geraumer Zeit ist sein Regime mit Reise- und Wirtschaftssanktionen der Uno belegt, die nun auch auf seine letzte Einkommensquelle, den Export von Tropenholz, ausgeweitet werden sollen. Zwei Rebellenbewegungen kontrollieren inzwischen zwei Drittel des Staatsgebiets, und die Kämpfe der letzten Woche in der Innenstadt Monrovias, wo Taylor ausharrt, sind möglicherweise der vorerst letzte Akt in einem seit drei Jahren andauernden Bürgerkrieg.

Taylor, der in einem Waffenstillstandsabkommen seinen baldigen Rücktritt versprochen hat, möchte nun bis Januar im Amt bleiben. Ein Rücktritt komme nur in Frage, wenn ihm Immunität vor dem Gerichtshof in Sierra Leone zugesichert werde. Am Freitag schienen die Soldaten Taylors den Angriff der Rebellen der Liberians United for Reconciliation and Democracy (Lurd) zwar zurückgeschlagen zu haben. Doch möglicherweise wird Taylor es demnächst vorziehen, in Liberias Landesinnerem zu verschwinden. Von dort aus eroberte er in den neunziger Jahren die Macht.

»Ich genieße noch immer Vertrauen und Popularität unter den Liberianern«, versicherte Taylor im Radio. Als er allerdings am Freitag in einem Autokonvoi durch Monrovia fuhr, blieben die Menschen teilnahmslos, nur einige riefen wiederum: »Wir wollen Frieden!« Für die meisten Zivilisten gibt es keinen Unterschied zwischen der Regierung und den Rebellen. Als die Lurd die Flüchtlingscamps am Stadtrand überrannte, flüchteten die Menschen in die Innenstadt. Nur noch zwei improvisierte Krankenhäuser arbeiten, sind aber hilflos gegenüber dem Beginn einer Choleraepidemie. Während die Nahrungsmittel knapp sind, werden die Toten notdürftig am Strand oder in den Sümpfen im Norden der Stadt beerdigt. Die Zahl der Opfer der Kämpfe in der letzten Woche ist unbekannt, geht aber in die Hunderte.

Die Lurd erklärte am Freitag: »Unsere Verpflichtung, die Regeln des neuen Waffenstillstands einzuhalten, entspringt hauptsächlich unserer Sorge über die sich entwickelnde humanitäre Krise.« Wie den Regierungstruppen werden auch der Lurd schwere Menschenrechtsverletzungen vorgeworfen, über die Zustände im Rebellengebiet ist aber fast nichts bekannt.

Für die Lurd ist Monrovia das letzte Ziel in ihrem Krieg gegen Taylor. Die Rebellen müssen zwischen dem Risiko, als gewaltsam an die Macht gekommene Gruppe nicht als rechtmäßige Regierung anerkannt zu werden, und den Vorteilen eines eindeutigen militärischen Sieges abwägen. Die Miliz hat abgesehen vom Ziel, Taylor zu stürzen, kein politisches Programm. Sie gilt als militärisch unkoordiniert und zerstritten, im Frühjahr spaltete sich eine Fraktion als Movement for Democracy in Liberia (Model) ab.

»Versöhnung und Demokratie«, wie sie die Eigenbezeichnung der Lurd verspricht, werden die Rebellen kaum in das geschundene Land bringen. »Wer die Interimsregierung bildet, wird vom liberianischen Volk und nicht von der Lurd entschieden werden. Sogar falls wir Liberia vollständig einnehmen, werden wir keine Regierung bilden«, erklärte George Dweh, Mitglied der Lurd-Führung, am Freitag der Nachrichtenagentur Irin. Diese Aussage kann getrost angezweifelt werden. Einige Mitglieder der Lurd-Führung haben sich bereits in der Amtszeit des Militärdiktators Samuel Doe einen schlechten Namen gemacht. Doe wurde 1990 in den Wirren des Bürgerkriegs ermordet. Dass sein jüngerer Bruder Chayee zur Lurd-Führung gehört, steigert nicht gerade deren Ansehen.

Der ghanaische Präsident John Kufuor kündigte am Freitag an, die westafrikanische Gemeinschaft Ecowas werde mindestens 5 000 Soldaten entsenden, um einen Puffer zwischen den verfeindeten Gruppen zu bilden. Offiziell begrüßt die Lurd eine solche Intervention, doch der Angriff auf Monrovia in der letzten Woche diente auch dem Ausbau ihrer Stellungen, bevor die Waffenstillstandslinie festgelegt wird.

Indirekte Unterstützung findet die Lurd in den USA. Die amerikanische Regierung bestreitet das, doch die USA haben seit Jahren enge Beziehungen zur Regierung Guineas, deren Armee sie trainieren und ausrüsten. Von dieser Hilfe profitiert auch die von Guinea unterstützte Lurd. Mit dem Rücktrittsappell an Charles Taylor hat Bush zudem eine wichtige Forderung der Lurd übernommen.

Die USA gelten als »Pate« Liberias. Dieser Staat wurde vor 150 Jahren von freigelassenen US-amerikanischen Sklaven gegründet. Während des Kalten Kriegs hatte die CIA ihr afrikanisches Hauptquartier in Monrovia, wirtschaftlich dominierte jahrzehntelang der US-Reifenkonzern Firestone. Auch die brutale Herrschaft Samuel Does wurde fast bis zuletzt militärisch gestützt. Dennoch fordern viele Liberianer die Rückkehr der USA, die das Land nach dem Kalten Krieg mit seinen wirtschaftlichen Problemen und sozialen Spaltungen allein gelassen haben.

Am 7. Juli wird George W. Bush zu seiner ersten Afrika-Reise aufbrechen, und anhaltende Kämpfe in der früheren Quasikolonie werden der Reise einen bitteren Beigeschmack geben. Zwar stationierten die USA die »USS Kearsarge« mit 3 000 Marinesoldaten vor der Küste Liberias, doch eine Intervention, wie sie von den Demonstranten in Monrovia gefordert wird, ist unwahrscheinlich. Stattdessen dürfte Bush die Ecowas-Intervention unterstützen. Doch die von der Regionalmacht Nigeria dominierte Ecowas hat in Liberia ebenfalls keinen guten Ruf. Die 1990 entsandte Eingreiftruppe Ecowas Monitoring Group (Ecomog) wurde schnell selbst zu einer Kriegspartei, die sich so intensiv an der Raubökonomie der Milizen beteiligte, dass die Liberianer ihren Namen mit »Everything that could move is gone« übersetzten.