Die Philosophen bitten zur Kasse

Hans Eichel hat seinen Haushaltsentwurf für das Jahr 2004 vorgestellt. Trotz Kürzungen werden weiter Schulden gemacht. von alexander wriedt

Wer die Bilder aus dem brandenburgischen Neuhardenberg in den Nachrichten sah, konnte leicht den Eindruck gewinnen, die führenden Politiker der rot-grünen Koalition seien auf einer Klassenfahrt. Man gab sich lockerer als sonst und trat in Freizeitkleidung, die schon ein wenig aus der Mode gekommen ist, vor die Kameras. Renate Künast, die grüne Ministerin für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft, verkündete schon am Samstagmittag, was man auf der Klausurtagung bei Kaffee und Kuchen beschlossen habe. »Die Philosophie dieses Haushaltes ist bestätigt und angenommen worden«, sagte sie.

Philosophie? Haushalt? Es geht um die Staatsfinanzen. Rund 252 Milliarden Euro an Ausgaben plant Bundesfinanzminister Hans Eichel (SPD) in seinem Haushalt für das nächste Jahr. Stattliche 24 Milliarden werden dabei durch neue Schulden finanziert, trotz Einsparungen in Höhe von 14,4 Milliarden Euro. Am härtesten trifft es die Rentner und die Arbeitslosen, die gemeinsam sechs Milliarden Euro aufbringen müssen.

Außerdem wird die Eigenheimzulage, die mit weiteren sechs Milliarden Euro den größten Subventionsposten des Bundes ausmacht, gestrichen. Die Steinkohlesubventionen werden um 550 Millionen Euro auf rund 2,4 Milliarden gekürzt. Trotz enormer Einsparungen vor allem im sozialen Bereich ist der Finanzminister weit davon entfernt, einen ausgeglichenen Haushalt zu präsentieren.

Und dabei sind Eichels Zahlen äußerst optimistisch berechnet. Der Finanzminister geht davon aus, dass die Wirtschaft im Jahr 2004 um zwei Prozent wächst – ein unrealistisch hoher Wert. Zudem soll die Steuerreform um ein Jahr auf 2004 vorgezogen werden, damit die Steuerzahler 18 bis 22 Milliarden Euro mehr in der Tasche haben. Und dann? Werden dann Krankenhäuser, Universitäten und Museen dicht gemacht, um die Schulden abzutragen?

Das soll natürlich nicht die »Philosophie« des Haushalts sein. Denn wenn die Deutschen mehr Geld haben, geben sie auch mehr aus. »Das stärkt die Binnennachfrage und sorgt für Wachstum und Beschäftigung«, erklärte Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) bei der abschließenden Pressekonferenz im Garten des Schlosses seine populärkeynesianische Formel. Wenn das richtig wäre, könnte sich jede Volkswirtschaft an ihrem eigenen Schopf aus dem Sumpf ziehen, indem der Staat einfach mehr Geld ausgibt.

Einer gigantischen Staatsverschuldung, die in Deutschland mittlerweile insgesamt 1,3 Billionen Euro beträgt, redete der englische Nationalökonom John Maynard Keynes jedoch nie das Wort. Aber nicht nur Keynes wird bemüht, sondern auch die Psychologie. »Es kommt jetzt darauf an, Zuversicht zu verbreiten«, sagte SPD-Generalsekretär Olaf Scholz auf die Frage, was diese Tagung eigentlich bezwecke.

Aber wie soll das gelingen, wenn sich die Politik der Bundesregierung ständig ändert? Vor kurzem lehnte die Regierung Steuersenkungen noch ab. Doch nachdem die Opposition gemeinsam mit der Bild-Zeitung eine wochenlange Kampagne zur Steuersenkung betrieben hatte, gab Schröder nach.

Der ganze Wirrwar verdeckt nur eine ganz andere Frage, die durchaus philosophische Qualität besitzt: Sind die Einsparungen gerecht? Während bei Rentnern und Arbeitslosen gestrichen und den Familien der Zuschuss zum Reihenhaus genommen wird, scheinen die Wohlhabenden sich nicht beteiligen zu müssen. Vorschläge dazu gäbe es mehrere. Immer wieder wird über die Erbschafts- und Vermögenssteuer diskutiert. »Steuererhöhungen, egal für wen, sind der falsche Weg«, erklärt der Bundeskanzler. Bei den derzeitigen Plänen gehe es vor allem darum, Vergünstigungen zu streichen.

Dabei wird gerne unterschlagen, dass höhere Krankenkassenbeiträge, eine zusätzliche Versicherung für das Krankengeld oder die Abschaffung der Eigenheimzulage die gleichen Auswirkungen wie Steuererhöhungen haben. Wer mehr Geld für den Bau seiner Doppelhaushälfte ausgeben muss, hat am Ende ebenso weniger Geld wie derjenige, der dem Finanzamt mehr überweist.

Die konservative Opposition, die ansonsten in allen entscheidenden Fragen zerstritten ist, ist sich hier einig. »Die Vermögenssteuer ist nichts weiter als eine Neidsteuer«, so formuliert es der haushaltspolitische Sprecher der CDU/ CSU-Fraktion, Dietrich Austermann. Der Versuch, die Frage nach der Gerechtigkeit möglichst schnell beiseite zu wischen, ist aus Politikersicht verständlich. Zudem ist es in der Praxis außerordentlich schwierig, an die großen Vermögen heranzukommen.

Entscheidend für das Problem der Vermögensbesteuerung ist ein Beschluss des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahr 1995. Die Richter entschieden, dass die damals praktizierte unterschiedliche Belastung des Grundbesitzes und sonstigen Vermögens bei der Erhebung der Vermögenssteuer verfassungswidrig sei. Doch wie soll eine einheitliche Bewertung vorgenommen werden? Der Wert von Immobilien ändert sich ständig. Die Einstufung durch das Finanzamt wäre ein bürokratischer Kraftakt.

Überdies sind Grundstückswerte nicht »flüssig«. Wie soll ein Bauer behandelt werden, dessen Ländereien zwar wegen ihrer guten Lage viel wert sind, die aber nur die üblichen Gewinne des Ackerbaus abwerfen? Wäre der Bauer nun verpflichtet, trotzdem eine dem Wert der Grundstücke entsprechende Vermögenssteuer zu entrichten, käme die Steuer einer Enteignung gleich.

Die Richter gaben deshalb vor, dass die Vermögenssteuer nur aus laufenden Einkünften erzielt werden dürfe. Deshalb können viele Vermögen nicht angetastet werden. Die Kohl-Regierung fürchtete hohe bürokratische Kosten und schaffte die Vermögenssteuer deswegen ab. Etliche Finanzexperten, wie der Stuttgarter Wirtschaftswissenschaftler Peter Bareis, halten die Vermögenssteuer in einem funktionierenden Steuersystem sowieso für überflüssig. »Denn jeder, der ein Vermögen angehäuft hat, wurde vom Fiskus bereits erfasst und belangt«, sagt Bareis. Wieso also besteuert der Staat nicht gleich so, dass keine Ungerechtigkeit entsteht?

Die Antwort ist einfach: Er kann es nicht. Das Steuersystem ist so kompliziert geworden, dass niemand so genau weiß, wer eigentlich wie viel zahlt. Um Gerechtigkeit zu schaffen, müsste die Bundesregierung erst einmal das System vereinfachen. Doch das gelingt ihr nicht.

Ähnlich ist es mit der Erbschafts- und der Schenkungssteuer. Etwa drei Milliarden Euro bringt sie dem Staat ein, obwohl das jährliche Erbschaftsvolumen nach Schätzungen des Sachverständigenrates der Bundesregierung 125 Milliarden Euro beträgt. Auch hier ist die praktische Realisierung schwierig. Wie ist eine Witwe zu behandeln, die das Haus ihres Ehemannes geerbt hat und nun darin lebt? Außerdem findet macher Wege, größere Geldbeträge diskret in die Schweiz zu transferieren.

Am Ende bleibt also Ratlosigkeit. Die Regierung baut, von purer Not getrieben, den Sozialstaat weiter ab und muss sich trotzdem das Schuldenmachen vorwerfen lassen. »Wir sparen, und der Krach hat ja schon begonnen«, sagte Eichel, bevor er das Schloss Neuhardenberg verließ. Er wirkte verzweifelt.