Erst denken, dann kämpfen

Ist jetzt die Zeit für einen neuen Klassenkampf? Oder muss sich erst das Bewusstsein der Unzufriedenen weiterentwickeln? Was tun? Teil III

Total Klasse

Der Vorteil der »neuen Linken« war und ist sicherlich die Inschutznahme des Individuums und des Genusses vor dem Getöse jeglicher Zwangskollektive. Aus der Tradition der Arbeiterbewegung bietet sich der Begriff der »Klasse« als emanzipatorisches Kollektiv an. Nur ist der Bezug auf dererlei Kategorien mittlerweile , wenn auch nicht falsch, zumindest aber strategisch ungeschickt. Zu groß wäre die Gefahr, in alte und überwundene Raster zurückzufallen.

Stattdessen könnte man das Individuum bzw. seine Konfrontation mit dem totalitären Alltag zum Initiationspunkt des Kampfes machen. Max Horkheimer schrieb 1940 in »Autoritärer Staat«: »Mit der Erfahrung, dass ihr politischer Wille durch die Veränderung der Gesellschaft wirklich ihr eigenes Dasein verändert, wird die Apathie der Massen verschwunden sein.«

Konkret hieße das, dass jeder sein direktes Umfeld nach Zwängen durchsucht, die ja meist schon verinnerlicht sind, und gegen diese aufbegehrt, anstatt dann und wann gönnerhaft mit der IG Metall mitzulatschen. Der Umsturz der Verhältnisse ist mehr als eine Soliaktion.

Würde jeder Linke sein Geschäft gewissenhaft betreiben, wäre jeder Tag an der Uni, jeder Gang zum Arbeitsamt, jedes Vegetieren im Job und jede andere Erniedrigung und Widerwärtigkeit, zu denen auch die Agenda 2010 gehört, ein Eroberungsplatz der Freiheit.

Im Laufe dieses Kampfes ergäben sich auch Strukturen, welche am Ziel orientiert und deshalb umso effektiver wären. Die historische Antwort ist das alte, aber umso modernere Konzept der Rätebewegung, deren Gedanken es wiederzubeleben gilt und welche sich schon am Anfang des vorigen Jahrhunderts für das Individuum schlug.

Der Kampf kann aber nur antiautoritär, d.h. nur gegen den Staat und die ihn konstituierenden Organisationen wie Parteien oder Gewerkschaften geführt werden, um zu einem Zustand zu kommen, »worin sich die Bewegung und die Auflösung der ganzen Scheiße auflöst«. (Marx-Engels-Werke 32, S. 75)

la banda vaga

Sputnik, rette uns!

»Basis an Sputnik, bitte kommen. Agenda-Alarm! Stell’ dir vor, es herrscht Klassenkampf – aber keiner geht hin.« Wer wie wir Aktionen gegen den Bildungsabbau organisiert, zu denen kaum einer kommt, der fühlt sich dem Orbit bisweilen näher als den eigenen Leuten. Es sind seit Wochen immer dieselben HanselInnen, die sich zum Horst machen. War die Beteiligung der KommilitonInnen an der Demonstration der Berliner Universitäten am 21. Mai unter dem Motto »Für eine offene Uni, kein Sozialabbau nirgends!« noch erfreulich, scheint nach diesem Flütchen nun eine Ebbeperiode einzusetzen.

Dabei nutzen wir fleißig die Gremien, die uns unser demokratisches Erbe beschert hat. Das Studierendenparlament diskutiert die akute Abbaudrohung durch Finanzsenator Thilo Sarrazin (SPD) und gründet eine Aktionsgruppe. Zum ersten Treffen kommen 25 Leute, zum nächsten acht, dann fünf. E-Mail-Verteiler verteilen fleißig, ernten aber fast nichts. Plakate und Flyer, die gestalterisch einer Kunst-Uni zur Ehre gereichen, verbreiten ihre Botschaft unbeachtet in den Gängen der Fakultäten. Zum Aktionstag unter dem Motto »Die Bildung geht baden – im Neptunbrunnen« am vergangenen Samstag waren wir knapp 20 Studierende von 4 000 unserer Uni. Baden ging da keiner.

Woran kann das liegen? Natürlich könnten wir noch mehr machen. Mehr telefonieren, mehr transmissionieren, mehr Verbündete suchen. Interner Knatsch bleibt nicht aus, er will bewältigt werden. E-Mail-Server brechen zusammen. Und bei der einen und dem anderen existiert noch ein Studium, das gebührenfrei beendet werden will.

Wir sind eben Lernende. Trotzdem bleibt, so ganz aus dem Mittendrinsein heraus, der Eindruck, dass es kein individuelles Problem ist. Eine allgemeine Struktur wider den kämpferischen Geist scheint zu herrschen. Die gründliche Analyse dessen müssen wir uns aufsparen für später.

Was machen wir bis dahin? Weiter. Die Agendamacher und Sachzwangsparer, die Schwarzgeldparker und Kunstraumschließer sollen gerne das Gefühl haben, sie hätten es nur mit drei Prozent der Studierenden zu tun, die sich zu den Widerstandsfähigen zählen. Wir sehen auch, wie wenige zurzeit für ihre Rechte auf die Straße gehen. Aber wir sind uns ganz und gar nicht sicher, dass das so bleiben wird. Ob es das Fallen des Groschens, die persönliche Betroffenheit oder die plötzliche Umkehr der Insichgekehrten ist, was die Studierenden aufwachen lässt: Wir arbeiten dafür. Und wenn es so weit ist, sind wir garantiert in Übung. Wir machen unsere Hausaufgaben. Denn wir sind Generation Post-Golf, Sputnik war einmal.

carsten holle und johan jambor, asta der udk berlin

Generalstreik!

Das größte Kürzungsprogramm der Nachkriegsgeschichte ist auf dem Weg. Anstatt mitzugestalten wäre ein eintägiger Generalstreik nötig. Generalstreik in Deutschland. Utopisch? Lächerlich? Nein. Es wäre utopisch, eine Flut aufhalten zu wollen und nur einen Sandsack aufzustellen. Auf diesen Generalangriff kann die Antwort nur Generalstreik heißen. Er könnte die vielen betrieblichen und regionalen Aktionen endlich zusammenfassen und ein ernsthaftes Zeichen setzen. Die Kolleginnen und Kollegen in anderen europäischen Ländern sind uns ein Vorbild.

Es wäre nicht der erste politische Streik in Deutschland. 1948 gab es in der Bundesrepublik einen Generalstreik. Der Aufstand 1953 in der DDR begann mit einem Generalstreik. 1958 gab es erfolgreiche politische Massenstreiks gegen die atomare Bewaffnung der Bundeswehr. 1982 wurde in den Gewerkschaften über einen Generalstreik gegen den Nato-Doppelbeschluss diskutiert.

Der Vorsitzende der IG Metall, Klaus Zwickel, sagt, die Gewerkschaften würden politische Streiks nicht durchführen. Das ist falsch. Politische Streiks hat es 1972 gegen das Misstrauensvotum gegen Willy Brandt gegeben. Es hat sie 1986 gegen die Änderung des Paragrafen 116 im Arbeitsförderungsgesetz, 1993 gegen die Einführung von Karenztagen und 1996 gegen Kohls Sparpaket sowie gegen die Kürzung der Lohnfortzahlung im Krankheitsfall gegeben. Damals legten 100 000 Beschäftigte in den Metallbetrieben kurzfristig die Arbeit nieder. Auch die 15 Protestminuten im März dieses Jahres gegen den Irakkrieg waren eine politische Arbeitsniederlegung.

Lokale Proteste gegen den Sozialabbau gibt es in vielen Städten. Die Bundesjugendkonferenz von Verdi forderte kürzlich, »alle gewerkschaftlichen Mittel anzuwenden, um die derzeitigen Angriffe der rot-grünen Regierung abzuwehren«, und »alle notwendigen Maßnahmen zur Durchführung eines zunächst eintägigen Generalstreiks einzuleiten«. Verdi beschloss, Betriebsversammlungen in allen Betrieben zur Agenda 2010 durchzuführen.

Daran muss angeknüpft werden. Die Diskussion über einen Generalstreik muss auf allen Ebenen geführt werden. Die Gewerkschaftsführung muss gezwungen werden, mit der Bundesregierung zu brechen, um handlungsfähig zu werden. Ohne politische Streiks ist der Krieg gegen Schröders Krieg gegen die Arbeitnehmer, Arbeitslosen und Rentner nicht zu gewinnen.

angela münch,

netzwerk für eine kämpferische und demokratische verdi

Klassenclowns

Den erbärmlichen Zustand der Linken in Deutschland können wir daran ablesen, wie resignativ sie dem gegenwärtigen Sozialabbau zuschaut. Und selbst jene, die erkannt haben, wie wichtig der Widerstand wäre, geben ein miserables Bild ab. Nicht nur, dass nicht viel passiert, es wird wie immer auch jede Menge Unsinn geredet.

Die einen murmeln etwas von der »sozialen Frage«, der man sich, natürlich widerwillig, nun doch wohl irgendwie widmen müsse, und unterscheiden sich in ihren Forderungen nicht vom DGB. Die anderen erzählen plötzlich vom Klassenkampf, so dass man sich in die zwanziger Jahre zurückversetzt fühlt. Wer will allen Ernstes behaupten, man könne die Gesellschaft noch in Bourgeoisie und Proletariat einteilen wie zu Zeiten von Marx und Engels?

»Die Mittelständler, Kleinindustriellen, der kleine Kaufmann, der Handwerker, der Bauer, sie alle bekämpfen die Bourgeoisie«, schrieb Karl Marx im »Kommunistischen Manifest«. Letztlich würden sie alle in der Klasse der Proletarier aufgehen. Doch sie sind in der Klasse der Bourgeoisie aufgegangen. Der Yuppie aus der Werbebranche hat keine gemeinsamen Interessen mit dem ostdeutschen Metallarbeiter.

Ein Merkmal des neoliberalen Kapitalismus ist es, das Oben-Unten-Schema durchbrochen zu haben. Und die Leistung der radikalen Linken war es, das erkannt und Kapitalismus als gesellschaftliches System verstanden zu haben, in dem jeder seine Rolle spielt, als Opfer wie als Täter. Das System gilt es zu bekämpfen, nicht die Klassensprecher aus der Parallelklasse! Don’t fight the players, fight the game!

Dies scheint plötzlich nicht mehr zu gelten, man braucht offenbar wieder Feindbilder vom Bonzen und seinen üblen Klassenkameraden. Dabei wird in vielen großen Betrieben, in denen die besonders bösen Unternehmer sitzen, die besonders dicke Daimler haben, ein Tariflohn gezahlt und der Sonntagszuschlag.

Da ist die »herrschende Klasse«: Eine Welt voller Freiberufler, Subunternehmer, Scheinselbständigen, Ich-AGs und Kleinaktionären. Und welche Klasse von Unterdrückten soll da geschlossen aufstehen? Die deutschen Bauarbeiter, die sich über ausländische Schwarzarbeiter ärgern, zusammen mit den Frauen, die endlich den gleichen Lohn wie Männer haben wollen?

Der Begriff der Klassengesellschaft sagt lediglich etwas aus über die historische Situation zur Zeit der Industrialisierung. Auf heute angewendet, ist er nichts anderes als der Ausdruck eines verkürzten und personalisierten Antikapitalismus.

Natürlich ist Widerstand gegen den Sozialraub dringend nötig. Aber dazu braucht es keine ideologische Überhöhung, keine Personalisierung des Kapitalismus und kein pseudoradikales Geschwätz vom Klassenkampf.

ivo bozic