Expedition ins Grillreich

Parksaison ist Grillsaison. Nach einem angeblichen Sittenverfall unter den Berliner Grillern werden bizarre Maßnahmen diskutiert, die dem Treiben ein Ende bereiten sollen. von arne norden

Der Tiergarten, die »grüne Lunge der Stadt«, ist über 200 Hektar groß und mit seinen Liegewiesen, Wäldchen, Spielplätzen und Seen außerordentlich beliebt. Überall begegnet man SpaziergängerInnen, überall wird geschlafen, gelesen, gepicknickt, gespielt; NudistInnen bräunen sich neben Frisbee-AmateurInnen, während JoggerInnen ältere Damen überholen. Enten werden heimlich gefüttert. Federballnetze auf einsamen Lichtungen erinnern an das Flair des großbürgerlichen Lebens vergangener Epochen.

Doch die Idylle trügt. Wie die Boulevardpresse zu berichten weiß, ist der Tiergarten in großer Gefahr, weil wilde Griller dort ihr Unwesen treiben. Beweisfotos zeigen unaufgeräumte Wiesen, verschmortes Plastik und tote Tiere. Die Zeitungen übertreffen sich gegenseitig in ihren empörten Berichten: »Müll und Gestank«, »mannshohe Müllberge«, »rabenschwarze Brandkuhlen« (Berliner Zeitung), und »Dutzende Lkw-Ladungen an Müll«, werden gesichtet, »Grill-Orgien« (B.Z.) und »Terror-Grillwochenenden« (Berliner Kurier) finden statt, ein »Sittenverfall am Grill« (Tagesspiegel) wird festgestellt.

Wo sind sie denn, die »Ekel-Griller« (B.Z.)? Am Landwehrkanal grillt nur eine ahnungslose Gruppe von Twens. Das Gros der Griller findet man ordnungsgemäß rings um das offiziell ausgeschriebene Grillgebiet im nördlichen Tiergarten, das auf den Plänen an den Zugängen zum Park mit einem »g« bezeichnet ist. Piktogramme erklären die Regeln. So ist das Entfachen eines Feuers am Boden ebenso verboten wie das Grillen unter Bäumen. Einige Meter weiter stehen die ersten Grills unter einem schützenden Blätterdach. Das gibt schöne Effekte, wenn die Sonne durch die Äste scheint und ihre Strahlen in den Rauchschwaden sichtbar werden. Auf der Grillwiese sind »Ballspiele nicht gestattet«. Das entsprechende Schild dient kickenden Jugendlichen in Patchwork-Trikots als Torpfosten. Muss da nicht hart durchgegriffen werden?

HauptnutzerInnen dieser Zone sind migrantische Großfamilien, denen häufig keine idyllischen Hinterhöfe oder Gärten zur Verfügung stehen. Die Grillausrüstungen sind opulent: Manche Sitzgruppen erinnern tatsächlich an Wohnzimmereinrichtungen. Klapptische, Campingstühle und ein bis zwei »Dreibeiner« pro Familie sind obligatorisch. Derzeit besonders beliebt ist die zusammenklappbare Sitz-Tisch-Kombinationen für vier Personen aus Hartplastik, die optisch an Kindergeburtstage erinnert. Daneben stehen Kühltaschen, Wasserkanister und Sackkarren, um später alles wieder ins Auto zu verfrachten.

Das Leben unter den Bäumen mutet zuweilen paradiesisch an. Kartenspieler, Liegestühle, Wasserpfeifen, softer Türkpop. Ein Tapeziertisch voller Ketchupflaschen. Der Duft von tausendundeinem Kotelett, leichte Nebelschwaden über der Wiese. Sogar Tee wird auf den Grills gekocht. Zweckentfremdete Einkaufswagen sind jedoch die absolute Ausnahme.

Die Stimmung im Grillgebiet ist friedlich. Kein Streit weit und breit, obwohl erst Anfang Juni »ethnische Konflikte« zu einer Massenschlägerei führten, wie der Tagesspiegel unter Berufung auf Harald Büttner, den Leiter des Grünflächenamtes in Mitte, berichtete. Die nämlich träten nach Büttner auf, wenn sich viele Menschen unterschiedlicher Herkunft in dem Park drängten.

Solche Analysen kommen bei den Grillern nicht gut an. »Das ist jedes Jahr so: Die Zeitungen schreiben über die schmutzigen Ausländer«, klagt ein türkischer Griller. »Die haben den Müll zusammengesucht und dann fotografiert, um über uns zu schimpfen.« Die Deutschen hätten keine Parkkultur und sollten sich ein Beispiel an London oder New York nehmen. Hier könnten viele Eltern Zeit mit ihren Kindern verbringen. Dann deutet er auf die verstreuten Pappteller und verspricht: »Das sammeln wir nachher alles ein!«

Auch ein Filmteam des RBB hat sich in die vernebelten Gebiete gewagt und stellt den Grillern inquisitorische Fragen wie die, ob sie wüssten, wo im Tiergarten das Grillen gestattet ist. Das wissen sie in der Regel und schlagen vor, mehr Container und Eimer für heiße Asche aufzustellen. Die Maßnahmen, die »dem wilden Grill-Zirkus ein Ende machen« (B.Z.) sollen, sind weitgehend bekannt. »Grillen soll verboten werden, das finde ich scheiße«, schimpft ein kleiner Junge.

Tatsächlich erörtern die Hauptstadtmedien allerhand. Ob ein »Totales Brutzel-Verbot« (B.Z.) verhängt oder »Grill-Sünder zur Kasse« (Berliner Kurier) gebeten werden sollen – an Ratschlägen mangelt es nicht. Dorothea Dubrau (Grüne), die Bezirksstadträtin für Stadtentwicklung in Mitte, zieht Bilanz: »Aufklärung und die Bitte um Einsicht nützen leider nur begrenzt.« Deshalb müsse es verstärkt Kontrollen geben. Verstöße gegen die Auflagen würden nach dem Bußgeldkatalog flexibel geahndet. Zum Beispiel ist das Grillen ganzer Tiere – vor allem Lämmer und Hammel – gänzlich verboten. Außerdem werde jenseits der erlaubten Zone, die an sonnigen Tagen aus allen Nähten platzt, gegrillt. Aufräumeinsätzen von Sozialhilfeempfängern erteilt Dubrau hingegen eine Absage: Die Arbeiten begännen montags früh um 5 Uhr. Keine günstige Zeit für Leute, die lange nicht im Arbeitsprozess waren. Außerdem bestünde Infektionsgefahr angesichts der teils mehrere Tage alten Essensreste.

Das Bezirksamt will das »illegale Grillen« ebenfalls mit zusätzlichen Streifen und Strafandrohungen verhindern. Allerdings fehlt es an Personal und entsprechenden Befugnissen. Die MitarbeiterInnen des Grünflächenamtes dürfen nur Ermahnungen aussprechen, aber keine Bußgelder verhängen. Dazu bedarf es der Polizei. Deshalb schlagen der Senator für Stadtentwicklung, Peter Strieder (SPD), und der Bezirksbürgermeister von Mitte, Joachim Zeller (CDU), die Erweiterung der Kompetenzen und die Schaffung von Ordnungsämtern in den Bezirken vor. Auch Worte wie »Eingreiftruppe« oder »Kiezpolizei« fielen. Einen entsprechenden Antrag hat die CDU-Fraktion dem Abgeordnetenhaus bereits vorgelegt. Eine große Koalition zur ordnungspolitischen Aufrüstung deutet sich an, denn Widerspruch gegen diese Absichten gibt es bisher nicht.

Den Wildgrillern sollen immerhin auch Ausweichangebote gemacht werden. Zwar sind nach Auskunft von Dorothea Dubrau keine Gebühren für die Nutzung der einschlägigen Parks vorgesehen. Brachflächen hingegen könnten zur gewerblichen Nutzung vergeben werden, um dort gebührenpflichtige Grillplätze zu betreiben. Dass Grillabende gegen Eintritt auf umzäunten Flächen ungefähr so viel Spaß machen wie Walpurgisnachtfeuer unter Aufsicht von Polizei und Feuerwehr, spielt bei solchen Überlegungen keine Rolle.

In anderen Berliner Bezirken sind bereits Entscheidungen gefallen. Im Viktoriapark in Kreuzberg wurde das Grillen nach Anwohnerprotesten wieder verboten. Dagegen ist es im Mauerpark im Prenzlauer Berg jüngst erlaubt worden. In vielen Bezirken werden GrillfreundInnen automatisch in die Illegalität gedrängt, da keine offiziellen Grillwiesen zur Verfügung stehen. Die aktuelle Entwicklung kommentiert ein Griller mit einem vielsagenden Grinsen wie folgt: »Es gibt Clevere und nicht so Clevere«. Diesem schönen Satz ist vorerst nichts hinzuzufügen.