Hauen und streicheln

Die französischen Gewerkschaften driften auseinander: Während sich einige am Modell der Sozialpartnerschaft orientieren, setzen andere auf die sozialen Bewegungen. von bernhard schmid, paris

François Chérèque, der Generalsekretär des Gewerkschaftsverbands CFDT, ist völlig außer sich. »Was mich linke Demonstranten durchmachen ließen, ist unbeschreiblich«, erklärte er am vergangenen Donnerstag in der katholischen Wochenzeitschrift La Vie. »Ich wurde in Nantes zwei Stunden lang in der Fernsehstation von France 3 festgehalten. Dann durfte ich unter Beschimpfungen wieder gehen.«

Solches Ungemach, das aus der Unterstützung der CFDT-Spitze für die so genannten Reformen der neokonservativen Regierung resultiert, ist für den seit einem Jahr amtierenden Chef des rechtssozialdemokratischen Gewerkschaftsbunds noch neu. Seine Amtsvorgängerin Nicole Notat musste bereits Mitte der neunziger Jahre ähnliche Erfahrungen machen: Mehrfach wurde sie damals von gewerkschaftlichen Demonstrationen in Paris wieder weggeschickt. Oft sogar von Mitgliedern ihrer eigenen Gewerkschaft.

Notat hatte sich erklärtermaßen die deutschen Gewerkschaften zum Vorbild erkoren. Sie proklamierte das Ziel, »vernünftige«, institutionalisierte Konfliktregelungsmechanismen auch in Frankreich einzuführen, damit die sozialen Beziehungen endlich »entpolitisiert« werden könnten. Im Gegenzug sollte den »sozialpartnerschaftlichen« Organisationen, sofern sie »verantwortungsbewusst« handeln, mehr Regelungskompetenz vom Gesetzgeber übertragen werden. Heute leitet Nicole Notat, die im vergangenen Jahr an der Gewerkschaftsspitze abgelöst wurde, eine Agentur für Unternehmensberatung.

Unter Notat hatte die CFDT 1995 den Sparplan der konservativen Regierung für das Gesundheitswesen akzeptiert, während gleichzeitig zwei Millionen Demonstranten auf den Straßen dagegen protestierten. In diesem Jahr unterstützt ihr Nachfolger Chérèque die so genannte Rentenreform, nachdem die Regierung einige kosmetische Veränderungen an ihrem Entwurf akzeptierte

Dieses Mal war es aber großen Teilen der eigenen Organisation zu viel: In der vergangenen Woche kam es zu den ersten Austritten ganzer Mitgliedsgewerkschaften aus der CFDT. Andere wurden durch die Zentrale unter »vorläufige Verwaltung« gestellt, also administrativ entmündigt, damit sie nicht ohne Zustimmung des Dachverbands einen »Austrittskongress« einberufen können.

Wie Hervé Alexandre, Führungsmitglied des linken Transportarbeiterverbands der CFDT, gegenüber der Jungle World meinte, bereitet sich der Dachverband darauf vor, bis zu einem Viertel seiner insgesamt 600 000 Mitglieder zu verlieren.

Von allen französischen Gewerkschaften ist die CFDT heute wohl am stärksten in das politische und ökonomische System integriert. Andere soziale Organisationen in Frankreich sind auf diesem Weg noch nicht so weit fortgeschritten, da die französische Arbeiterbewegung, anders als etwa die deutsche, durch starke kommunistische und anarcho-syndikalistische Traditionen geprägt ist.

Die ehemals KP-nahe CGT etwa spielt nach wie vor eine ambivalente Rolle und schwankt zwischen Protest und »sozialpartnerschaftlichen« Strategien hin und her. Andere Akteure widersetzen sich gar einer solchen Integration und sehen sich eher als Teil einer sozialen Bewegung, die die herrschende Ordnung in Frage stellt. Sie müssen dafür aber mit repressiven Maßnahmen rechnen, die in den vergangenen Jahren deutlich zugenommen haben.

So rückte am vorletzten Sonntag ein spektakuläres Aufgebot von 80 Gendarmen – ausgestattet mit einem Hubschrauber, schusssicheren Westen und Maschinenpistolen – an, um den Delinquenten aus dem Bett zu holen. Der Einsatz galt José Bové, einem der Sprecher der linksalternativen Bauerngewerkschaft Confédération paysanne, der in seinem Haus auf dem südfranzösischen Larzac-Massiv festgenommen wurde, um ihn in eine Haftanstalt zu überführen.

Bové ist in den vergangenen Jahren zu einer Symbolfigur der Proteste gegen gentechnisch veränderte Nahrungsmittel geworden. Der Sohn eines prominenten Gentechnikers und ehemalige Philosophiestudent wurde bereits mehrfach verurteilt. Die letzte Strafe, die im Februar in letzter Instanz bestätigt wurde, erhielt er wegen der Teilnahme an einer Aktion gegen genmanipulierte Nutzpflanzen (Jungle World, 9/01). Deswegen soll Bové nun die nächsten zehn Monate im Knast verbringen.

Zwar werden in Frankreich Haftstrafen unter einem Jahr, auch wenn sie ohne Bewährung ausgesprochen wurden, in der Regel nicht vollstreckt. Doch im Falle Bovés will die konservative Regierung ein Exempel statuieren. Als besonderen Affront empfindet man, dass der anarcho-syndikalistische Bauerngewerkschafter sich geweigert hatte, mit der Justiz über die Modalitäten der Strafvollstreckung zu verhandeln.

Die spektakuläre Verhaftung Bovés gilt vielen als Anzeichen für eine verschärfte Gangart im Umgang mit sozialen Protesten. Sie betrifft Gewerkschafter ebenso wie Unterstützer von »illegalen« Einwanderern und Flüchtlingen. Just am Montag vergangener Woche stand in der Pariser Vorstadt Bobigny ein anderes führendes Mitglied der Bauerngewerkschaft vor Gericht, Patrick Herman. Er hatte Mitte April, während eines Linienflugs von Paris nach Westafrika, gemeinsam mit anderen gegen die brutale Behandlung von Abschiebehäftlingen an Bord protestiert. Daraufhin hatten die »begleitenden« Polizisten einige der aufmüpfigen Passagiere festgenommen. Drei von ihnen wurden jetzt in Bobigny verurteilt. Das Gericht war jedoch um Schadensbegrenzung bemüht: Es befand sie für schuldig, erklärte sie jedoch »von Strafvollstreckung befreit«.

Vom Versuch einer verschärften juristischen Behandlung gesellschaftlicher Konflikte zeugen auch die Festnahmen am 10. Juni nach einer Demonstration in Paris gegen die umstrittene Rentenreform. Die ersten Verfahren in dieser Sache, die bereits am übernächsten Tag im Eilverfahren im Pariser Justizpalast begannen, endeten zwar überwiegend mit Freisprüchen und Verfahrenseinstellungen. Für zwei Mitglieder der linken Basisgewerkschaft Sud, die angeblich Mülltonnen vor der Pariser Oper in Brand gesetzt haben sollen, wurde das Verfahren allerdings in die Länge gezogen. Weil die Anklage zusätzliche Beweise einreichen wollte, wurde die Strafsache auf den 10. Juli verschoben. Eine Verhandlung zu einer Zeit, zu der Paris wegen der Ferien so gut wie ausgestorben ist, lässt für das Urteil nicht unbedingt Gutes ahnen.