Kanonen auf Boote

EU-Flüchtlingspolitik von danièle weber

Der schlimmste Vorschlag hat sich nicht durchgesetzt. Auf dem EU-Gipfel in Thessaloniki wurde die Idee von so genannten Asylzentren, in welchen Flüchtlinge schon vor den Toren der Europäischen Union abgefertigt werden sollen, zurückgewiesen. Neben Schweden habe Deutschland maßgeblich zum Scheitern der britischen Initiative beigetragen, freute sich vergangene Woche die Flüchtlingshilfsorganisation Pro Asyl.

Dennoch können Gruppen wie Pro Asyl mit den Ergebnissen von Thessaloniki nicht zufrieden sein. Denn über das Ziel europäischer Flüchtlingspolitik sind sich die EU-Regierungen einig wie nie zuvor. Es soll vor allem dafür gesorgt werden, dass möglichst wenige Menschen in die EU einwandern.

Geld will die Union vor allem dort investieren, wo es gilt, »Flüchtlingsströme einzudämmen«. So soll die Zusammenarbeit mit so genannnten Drittstaaten verbessert werden. Immerhin 250 Millionen Euro haben die Staats- und Regierungschefs der Kommission für die nächsten fünf Jahre zur Verfügung gestellt, um jene Staaten zu unterstützen, die sich per Vertrag dazu verpflichten, illegal in die EU eingereiste Flüchtlinge wieder aufzunehmen. Ganze 140 Millionen Euro bekommt die Kommission, um zwischen 2004 und 2006 das Visa-Informationssystem der EU aufzupäppeln und die Grenzposten entsprechend auszurüsten.

Wenn es um Abschottung geht, funktioniert die Zusammenarbeit. Weniger einheitlich denken die EU-Staaten über eine gemeinsame Integrationspolitik. Hier sei man am wenigsten vorangekommen, räumte Kommissar Antonio Vitorino ein. Viel Geld will man dennoch in Brüssel für diesen Posten nicht ausgeben. Nur drei Millionen Euro wurden der Kommission zugebilligt, um zu vergleichen, welche Länder in der Integrationspolitik die besten Maßnahmen zu bieten haben. »Die Verantwortung für die Integration liegt bei den Mitgliedstaaten.«

Auch in den kommenden sechs Monaten wird wohl der Schutzwall um die EU-Festung eher aus- statt abgebaut. Italien übernimmt die EU-Präsidentschaft. Einen üblen Ausblick darauf, was dies für die Flüchtlingspolitik bedeuten könnte, gab es in der letzten Wochen. Man solle mit Kanonen auf Flüchtlingsschiffe schießen, forderte der Vorsitzende der rechtspopulistischen Lega Nord, Umberto Bossi. Zwar löste diese Aussage einen Proteststurm in Italien aus, dennoch reiten auch andere in Silvio Berlusconis Kabinett auf einer ähnlichen Welle. Außenminister Franco Frattini will Staaten eine Art Kopfprämie zugestehen, wenn sie erfolgreich verhindern, dass Flüchtlinge von ihren Küsten gen Europa in See stechen. Bossi fordert drastische Maßnahmen, ansonsten trete er zurück.

Seine Stimme dürfte bei der Ratspräsidentschaft besonders großes Gehör finden. Dann könnten Hardliner wie der deutsche Innenminister Otto Schily die Entrüstung nutzen, um ihre vergleichsweise »moderaten« Vorschläge durchzusetzen.

In Thessaloniki erhielt die Kommission bereits den Auftrag zu überprüfen, welche Möglichkeiten es für AsylbewerberInnen gibt, ihre Anträge in den Herkunftsländern zu stellen. In manchen Staaten käme dies faktisch der Abschaffung des Rechtes auf Asyl in der EU gleich. Im Vergleich zu Kanonen, die auf Flüchtlingsboote gerichtet werden, ist der Vorschlag wahrlich harmlos. Bossi dürfte er allerdings gelegen kommen.