Spaß und Disziplin

Berliner Senatspolitik von jörn schulz

»Akzeptanz statt Toleranz« war das Motto des diesjährigen Christopher Street Day in Berlin, und Bürgermeister Klaus Wowereit eröffnete die Veranstaltung nicht nur, sondern beglückte die Massen und die Boulevardpresse auch noch mit dem »Wowi-Groove«.

Tags darauf schwärmte die Polizei dann aus, um in den Parks der Stadt auf Grillstreife zu gehen. Nicht Akzeptanz, sondern null Toleranz demonstriert der Senat gegenüber jenen, die das preußische Grillreglement übertreten. Und wenn Stadtrat Dirk Lamprecht es untersagt, »halbe oder ganze Großtiere« zu grillen, ist jedem Berliner auch ohne ausdrückliche Ethnisierung klar, dass es nicht um das deutsche Spanferkel, sondern um den türkischen Hammel geht (siehe Seite 11).

Die kapitalistische Gesellschaft ist liberaler geworden, aber nicht freier. Welchen Teil der Bevölkerung man hofiert und welchen man schikaniert, liegt im Ermessen der Stadt- und Landesregierungen. Der rechte Hamburger Senat hofiert seine Polizei und schenkt ihr neue Uniformen, die in der Tat viel cooler aussehen als das traditionelle Dress, seine Schikanen konzentrieren sich auf Frauenprojekte, Bauwagenbewohner und linke Demonstranten.

In Berlin werden andere Prioritäten gesetzt. Zu einer Metropole gehören schließlich Liberalität, bunte Vielfalt und auch eine Prise Dissidenz. Über eine Subventionierung der traditionellen Straßenkämpfe am 1. Mai wird noch nicht öffentlich debattiert, obwohl auch Krawalltouristen letztlich Touristen sind, die Geld in der Stadt lassen und der weltweit gelesene Reiseführer »Lonely Planet« den Besuch Kreuzbergs mit seinen »trendy anarchists« empfiehlt. Stattdessen versucht sich der Senat an einem anderen Unternehmen: der Vereinigung von Spaßgesellschaft und Preußentum.

Den Glamour einer Weltstadt zu simulieren und zugleich die in Zeiten des Sozialabbaus notwendige stärkere Disziplinierung durchzusetzen, ist keine leichte Aufgabe. Ist der Versuch jedoch erfolgreich, könnte dem SPD/PDS-Senat so etwas wie eine zeitgemäße Formulierung sozialdemokratischer Politik gelingen.

In der Wirtschafts- und Sozialpolitik hat sich Berlin mit dem Ausstieg aus der Tarifgemeinschaft der Länder bereits um eine Avantgardeposition bemüht, und die Schikanen gegen Arbeitslose und Sozialhilfeempfänger müssen den Vergleich mit jenen Ländern nicht scheuen, in denen die CDU oder die CSU regiert. Auch in der Kulturpolitik wissen soziale Demokraten und demokratische Sozialisten, wie Standort- und Sparpolitik harmonieren. »Der zentrale Modus zur Schaffung zukunftsfähiger Kulturbetriebe ist deren Entstaatlichung«, meint Kultursenator Thomas Flierl (PDS). In der nicht staatlich finanzierten Eventkultur dürfte Berlin führend sein, während der Hamburger Senat es nicht versäumte, sich jüngst durch den Versuch, die Tuntenolympiade zu verhindern, einmal mehr zu blamieren.

Bleibt dem Senat die Aufgabe, die Bevölkerung darüber zu belehren, dass der Appell, mehr Initiative zu zeigen, sich ausschließlich auf die Arbeitssuche und die Existenzsicherung bezieht, keinesfalls aber einen Freibrief für unkontrollierte Freizeitgestaltung darstellt. Staatliche Kontrollmaßnahmen sind ein notwendiges Pendant zur liberalen Spaßgesellschaft. Und wer könnte größere Erfahrung bei der Disziplinierung von Lohnabhängigen vorweisen als SPD und PDS?