Traumberuf Hure

Tamara Domentat will mit Klischees über Prostitution aufräumen und verfällt dabei in neue Stereotypen. von anke schwarzer

Eine Frau in Rock und Strapse, von der Taille abwärts fotografiert. Das weich gezeichnete Foto auf Tamara Domentats Buchcover »Lass dich verwöhnen. Prostitution in Deutschland« zeigt das klassische Bild zum Thema. Ein Kondom und Massageöl wären wahrscheinlich zu langweilig, ein Freier mit erigiertem Penis wäre zu anstößig und wenig verkaufsförderlich. Dabei ist es gerade das große Anliegen der Autorin, gängige Klischees in Sachen heterosexueller Prostitution zu widerlegen.

Drei Jahre lang hat die Autorin recherchiert, mit 140 Sexarbeiterinnen und Kunden, Projektexperten und Sozialwissenschaftlern gesprochen, und herausgekommen ist ein Plädoyer für den bezahlten Sex. In weiten Teilen der Prostitution zeichne sich ein Paradigmenwechsel ab, »weg von der Lustsklaverei, hin zu normalisierten, humanisierten, selbstbestimmten Arbeitsplätzen«, schreibt Domentat.

Sexarbeiterinnen würden weniger ihren Job selbst, sondern das damit verbundene Doppelleben als belastend empfinden. Aus Angst vor Abwertung, wenn sie offen darüber sprechen, Spaß bei ihrer Arbeit zu haben, schweigen viele Prostituierte lieber darüber – vor ihren Kindern, auf dem Amt, gegenüber Nachbarn. Domentat hat über 70 Klischees und Mythen zusammengetragen. Von einigen wusste die Welt schon lange, dass sie so nicht stimmen: zum Beispiel, dass sich Prostitution ausschließlich im Rotlichtmilieu bewegt, dass Prostituierte eine Gefahr für die öffentliche Gesundheit darstellen, dass Männer ihre Besuche ohne moralische Bedenken verarbeiten oder dass allein Geldnot Frauen in die Sexarbeit zwingt. So skizzierte zum Beispiel die Neueinsteigerin Stefanie das Spektrum bindungsunwilliger Männer, die sich durch ihr Bett und ihren Kühlschrank geschnorrt und anschließend vom Acker gemacht haben: Straßenmusiker auf Durchreise, Kommilitonen im Examensstress, affärenerprobte Ehemänner. »Unterm Strich blieb ein Berg Abwasch«, resümiert die Studentin, »auf dem Strich hätte ich wenigstens Geld verdient.«

Domentat macht klar, dass es sich beim Thema Prostitution um einen Diskurs handelt, der stark identitätsbildend ist. Er beinhaltet eine Gleichzeitigkeit sowohl von selbstvergewissernden Effekten, die den eigenen Lebensstil in Abgrenzung zum Sexgewerbe bestätigen, als auch von beunruhigend-erodierenden Aspekten für bürgerliche Zeitgenossen, die auf der Suche nach einer erfüllenden Liebesbeziehung sind, nach sexueller Treue, einer Karriere in den angeseheneren Segmenten des Arbeitsmarktes, einem respektablen Platz in der Mitte der Gesellschaft. Der Autorin ist es gelungen, Pseudowahrheiten zu durchleuchten, Freier und deren Partnerinnen in den Blick zu nehmen und feministische Positionen zu überprüfen. Aber leider verfällt die Autorin in ihrem Eifer, Klischees zu widerlegen, in neue Stereotypen und antifeministische Verkürzungen.

In Deutschland bieten etwa 400 000 Frauen Sex für Geld an, so die Schätzungen. Hurenorganisationen gehen davon aus, dass hierzulande täglich 1,2 Millionen Männer die Dienste von Sexarbeiterinnen in Anspruch nehmen. Der letzten großen wissenschaftlichen Freierstudie von Dieter Kleiber und Doris Velten zufolge lag der Prostitutionskundenanteil bei 18 Prozent der sexuell aktiven männlichen Bevölkerung.

Das Bild von Frauen und Männern in nicht prostitutiven Beziehungen malt Domentat in Schwarzweißtönen. Er gibt Liebe, um Sex zu bekommen; Sie macht Sex, um Liebe zu bekommen. Während sich gewöhnliche Frauen an einer infantilen Verschmelzungsromantik berauschten und mit ihrer sexuellen Verweigerung als Machtmittel in Beziehungen eine trostlose Form erotischer Selbstermächtigung gewählt hätten, mutieren Prostituierte bei Domentat zu den wahren Feministinnen. Sie sind allesamt autonom, wirtschaftlich unabhängig und haben ein erfülltes Sexleben. Zudem widersetze sich Sexarbeit gängigen Schönheitsidealen, es sei gerade das Erfolgsrezept der Branche, dass dort Frauen arbeiten, die mehr an Menschen von nebenan erinnern als an unerreichbare Traumpartner.

Domentat zeichnet eine heile, fortschrittliche Welt des bezahlten Sex, für Widersprüche ist wenig Platz. Aber nur zum Teil lässt sich im selbstbestimmten Sexgewerbe von einem Gegenentwurf zu bürgerlichen Beziehungsmustern sprechen. Wie die Interviews zeigen, träumen auch die Sexarbeiterinnen von der Liebe, freuen sich über treue Stammkunden. Und die Freier? Die meisten Männer besuchen ihrer Ansicht nach keine Frauen, sondern eben Huren. Ungeachtet ihres eigenen Verhaltens haben Freier laut der Studie von Kleiber und Velten ein äußerst restriktives Verständnis von sexueller Treue. So wird diese sexuelle Doppelmoral gerade von den Prostitutionskunden zementiert und damit auch die Anpassungsleistung vieler Frauen an diese Norm, nämlich treu zu sein, da sie nicht nur sozial stärker akzeptiert sind als promisk lebende Frauen, sondern von Männern für Langzeitbeziehungen favorisiert werden.

Domentats Leistung ist es dennoch, an einen heiklen Punkt, der schon lange feministisches Denken entzweit, zu rühren. Sie kritisiert die Scheinheiligkeit vieler Feministinnen, die Prostitution, aber nicht die Prostituierten bekämpfen zu wollen. In feministischen Diskursen schwingen oft Opfer-Rethorik und bürgerliche Moral- und Sexvorstellungen mit, beispielsweise wenn die Warenförmigkeit der Erotik kritisiert und eine Sexualität, die angeblich frei von Tauschgeschäften und Besitzdenken sei, als Ideal hingestellt wird.

Gefährlich und unseriös wird es dort, wo Domentat behauptet, Feministinnen übertrieben das Ausmaß negativer Folgen des Sexgewerbes auf Frauen, damit sie Geld für Beratungsstellen und wissenschaftliche Forschung erhielten. Domentat macht es sich einfach, indem sie sich nur auf ein relativ kleines Segment des Sexgewerbes bezieht, nämlich auf das selbstbestimmte, teure Arrangement. Beratungsbedarf mag dort nicht nötig sein, wohl aber in den prekären Bereichen des Straßenstrichs, der Zwangs- und Beschaffungsprostitution. Auch Migrantinnen, die über 60 Prozent der Sexarbeiterinnen stellen, sind stärker auf Unterstützung angewiesen, da ihnen viele Rechte angesichts einer zunehmenden Politik der Illegalisierung verwehrt bleiben.

Es gelingt Domentat nicht, eine feministische Perspektive auf die Prostitution zu entwickeln. Sie sieht nicht, dass der Prostitution und den dafür notwendigen Deutungsmustern (»Männer brauchen Sex« oder »Sex mit der Ehefrau ist langweilig und kompliziert«) Subjektivitätsstrukturen zu Grunde liegen, die nur im Kontext patriarchaler Vergesellschaftungsprozesse entstehen und wirkungsvoll werden können. Insbesondere männliche Initiationsriten und das Male Bonding in Militär und Wirtschaft laufen über die Prostitution.

Ein großer Teil der Huren prostituiert sich aus individueller Sicht selbstbestimmt, keineswegs sind sie nur die »armen Opfer« – auch wenn es Frauenhandel und Zwangsprostitution gibt, deren großes Ausmaß seit Ende der achtziger Jahre global gesehen eine neue Qualität erreicht hat. Angesichts der großen Nachfrage der Männer nach käuflichem Hetero-Sex und der weltweiten ökonomischen Ungleichheit sollte aber die Entscheidung, sich zu prostituieren, nicht mit Freiwilligkeit verwechselt werden.

Genauso wenig freiwillig arbeiten viele Migranten als Zeitungsverkäufer auf der Straße, halten die Betriebskantine rein oder jobben bei McDonald’s – auch wenn sie froh sind, überhaupt eine Arbeit gefunden zu haben. Fatal für emanzipatorische Ansprüche wäre es, diese hierarchische Arbeitsteilung und Zuweisungsmuster als gegeben hinzunehmen oder gar noch, wie Domentat, selbstbestimmte Prostitution als »unterschätzte Möglichkeit der Umverteilung finanzieller Ressourcen« anzupreisen.

Tamara Domentat: Lass dich verwöhnen. Prostitution in Deutschland. Aufbau Verlag, Berlin 2003, 335 S., 22,50 Euro