Ab in die Geschichte!

Es ist höchste Zeit, auch dem letzten Sympathisanten die Historisierung des bewaffneten Widerstandes in der BRD zu empfehlen. von felix klopotek

»Der Fehler der RAF war weder die Anwendung von Gewalt noch waren es Kriminaldelikte, sondern ihr Fehler war die Niederlage im antiimperialistischen Kampf.« (Wolfgang Pohrt: »Gewalt und Politik«, 1986)

Die RAF ist Geschichte. Die Gruppe, die aus intensiv geführten linken Diskussionen über die Möglichkeiten des bewaffneten Kampfes hervorging, war genau so eine Kopfgeburt der Studentenbewegung wie etwa die K-Gruppen und die Staatsableitungsdebatten. Einer ihrer Gründungsimpulse war zwar der Hass auf die deutschen Verhältnisse, auf die schier unerträglichen postfaschistischen Zustände. Nie wären die RAF-Kämpfer jedoch darauf gekommen, diese Sicht in einem antideutschen Sinne auszuformulieren. Heinrich Bölls Diktum, die RAF führe einen (existenzialistischen) Kampf von »sechs gegen 60 Millionen«, müssen sie schlicht albern gefunden haben. Denn die RAF definierte sich als Teil einer weltweit operierenden antiimperialistischen Front. Ihre Aufgabe bestand in der Destabilisierung des imperialistischen Hinterlandes, der Schwächung des Klassenfeindes in seinen Metropolen.

Ihre Politik reflektierte daher die eigene Borniertheit nicht. Die RAF lag, von ihren Auflösungserklärungen vielleicht abgesehen, nicht ein einziges Mal mit einer Einschätzung der weltweiten Klassenkämpfe richtig und schlug deshalb in ihren Erklärungen entgegen ihren Intentionen eben doch einen existenzialistischen Ton an. Mal ganz abgesehen davon, dass sie über Jahre stumpf jedes antiisraelische Klischee bediente.

Das alles ist bekannt. Höchste Zeit also, auch dem letzten Sympathisanten die gründliche Historisierung des bewaffneten Widerstandes in der BRD zu empfehlen.

Denn wenn es einen Akteur in der Geschichte gibt, der nicht an der Historisierung der RAF interessiert ist, dann ist es die Staatsmacht. Sie behält Genossen immer noch im Knast, sie unterhält nach wie vor Hochsicherheitstrakte, sie inszeniert regelmäßige Diskussionen über die Zurechnungsfähigkeit von Andreas Baader oder Ulrike Meinhof, sie arbeitet medial alle fünf Jahre die Schleyer-Entführung und die Stammheimer Nacht auf, sie inszeniert ein Sommertheater um eine von Wolfgang Kraushaar und Jan Philipp Reemtsma kuratierte, also garantiert staatstragende RAF-Ausstellung.

Heutzutage braucht nur noch der Staat die RAF. Vor 25 Jahren erprobte er an ihr Strategien des Ausnahmezustandes, heute ist diese Zeit immer noch ein Maßstab, an dem die Bundesrepublik ihre Liberalität und ungeheure Sensibilität gegenüber Gewaltopfern beweisen kann.

Eine Historisierung der RAF bringt für eine linke Politik zwei Vorteile. Wenn Linksradikale RAF-Genossen zu besonders heroischen, coolen und radikalen Revolutionären stilisieren, sollten sie sich klar machen, dass das nur die Kehrseite der permanenten Pathologisierung von Staats wegen ist, der selbst die Toten noch ausgesetzt sind. Baader & Co waren weder irre noch revolutionär, sie waren einfach Linke mit schlechten Argumenten. Damit ist einiges gewonnen. Mit schlechten Argumenten kann man sich auseinandersetzen, mit Charismatikern oder Heiligen jedoch nicht.

Zudem erhält die Linke, wenn sie sich von ihrer RAF-Fixierung löst, einen klareren Blick auf den Staat. Die Staatsmacht mag auf die periodische Beschwörung der RAF nicht verzichten, sie ist allerdings nicht auf die RAF fixiert. Die demokratische Wahrung von Law and Order, die sie an den RAF-Mitgliedern erproben konnte und für sich in Rechnung gestellt hat – so ist Helmut Schmidt heute noch stolz darauf, 1977 kein Faschist geworden zu sein –, kann sie jederzeit auch auf andere anwenden: auf Flüchtlinge oder auf militante Streikende. Wer in der bürgerlichen Gesellschaft das Gewaltmonopol innehat, ist nicht wählerisch und darf es auch gar nicht sein.

Nicht zuletzt steht eine Historisierung den Bemühungen um die Freilassung der letzten Gefangenen nicht im Weg. Und sich für deren Freilassung einzusetzen, ist nach wie vor ein Gebot jeder linken Politik.