Agitprop aus dem Weißen Haus

Nach dem militärischen Sieg kommen in den USA Zweifel am Nutzen des Irakkrieges auf. Die Kritik beschränkt sich aber auf die Vorkriegspropaganda. von tim blömeke

Irgendwann in den Wochen und Monaten nach dem 11. September 2001 muss die US-Regierung entschieden haben, den Irak anzugreifen und Saddam Hussein zu stürzen. Vielleicht geschah es, als der fortdauernde Kleinkrieg in Afghanistan immer unspektakulärer und unübersichtlicher wurde und nichts darauf hindeutete, dass Ussama bin Ladens und Mullah Omars bärtige Häupter in absehbarer Zeit die Trophäensammlung im Oval Office zieren würden.

Wie dem auch sei, über die tatsächlichen Motive für den Irakkrieg ist seitdem viel spekuliert worden. Angesichts der aktuellen Situation im Irak wird es jedoch immer schwerer vorstellbar, dass gut informierte und halbwegs zweckrational denkende Realpolitiker wie Dick Cheney, Donald Rumsfeld und Paul Wolfowitz den Angriff tatsächlich einmal für eine gute Idee gehalten haben könnten.

Der Sinn oder der Nutzen des Irakkriegs stehen derzeit aber nicht zur Debatte. Wie auch: Die ansonsten bewährte cui-bono-Methode versagt vollends, da bisher noch kein Partikular- oder Kollektivinteresse gefunden wurde, dem man halbwegs plausibel nachsagen könnte, es habe von Saddams Sturz profitiert – mit Ausnahme einiger von Husseins irakischen Feinden (z.B. Kurden und Schiiten), deren Wohlergehen aber kaum die Prioritätenliste von Bush & Co. angeführt haben dürfte. Nicht einmal der in den gängigen Antworten auf Schuldfragen allgegenwärtigen US-Ölindustrie passt der Hut des skupellosen Kriegsgewinnlers.

Auch wenn mit dem vorläufigen Ergebnis ganz offenkundig niemand zufrieden ist, bleibt es eine Tatsache, dass die US-Regierung vor dem Krieg überzeugt gewesen sein muss, im Sinne ihrer Interessen das Richtige zu tun. So überzeugt, dass geheimdienstliche und andere Informationen über den Irak nicht zur Entscheidungsfindung herangezogen wurden – die Entscheidung war ja schon gefallen –, sondern nur noch auf ihre Brauchbarkeit für die Rechtfertigung einer Invasion hin untersucht und ausgewählt wurden.

Dieser Einwand ist von Vertretern der US-Geheimdienste, einigen Militärs, u.a. dem ehemaligen General Wesley Clark, und auch konservativen Politikern wie dem Sicherheitsexperten Brent Scow-croft bereits vor dem Krieg ausgesprochen worden. Mehrere Besuche von Vizepräsident Cheney im CIA-Hauptquartier in Langley, Virginia, dienten offenbar ausschließlich dem Zweck, Zweifler an der Interpretation der Geheimdiensterkenntnisse einer eigens zusammengestellten Arbeitsgruppe des Pentagons unter Druck zu setzen und zum Schweigen zu bringen.

Die Mehrheit der Demokraten im Kongress entschied, sich auch mit auf extrem dürftigen oder bekanntermaßen falschen Informationen basierenden Argumenten überzeugen zu lassen, so lange die Regierung nur laut genug behauptete, sie seien stichhaltig und wahr. So fand auch die prominenteste Geheimdienst-Ente, der gefälschte Bericht über Iraks Urangeschäfte mit Niger, seinen Platz in der Werbekampagne unter der Rubrik »unmittelbare Bedrohung durch Massenvernichtungswaffen«, neben dem »Krieg gegen den Terror« und der »Demokratisierung der Region«.

Jetzt, wo die USA im Begriff sind, im Irak »den Frieden zu verlieren«, geht die Taktik der Demokraten auf. Plötzlich ist es aus mit der Stille im Kongress. Der mögliche Präsidentschaftskandidat Howard Dean läuft sich mit Antikriegsparolen und Watergate-Vergleichen für den Vorwahlkampf warm und zwingt damit auch andere Bewerber für das Präsidentenamt, sich mit dieser Thematik auseinanderzusetzen. Einige Mainstream-Medien bezeichnen diesen Vorgang gar als Linksruck der Demokratischen Partei .

Dass eine ernsthafte, inhaltliche Auseinandersetzung mit der Informationspolitik der Regierung dieser nur schaden kann, zeigt die Debatte im Geheimdienstausschuss des Senats. Dessen Vorsitzender Pat Roberts, republikanischer Senator für den Staat Kansas, blockiert Versuche der Demokraten, eine Untersuchung durch den Ausschuss auf den Weg zu bringen. Er wünscht, dass die Irak-Angelegenheit nur im Zuge der normalen, parlamentarischen Kontrolle der Geheimdienste behandelt wird. John D. Rockefeller IV, demokratischer Senator aus West Virginia und stellvertretender Vorsitzender des Ausschusses, könnte zwar eine eigene Untersuchung durch demokratische Senatoren ausrufen, scheut aber vor dem »Eindruck der Parteilichkeit« zurück, den eine solche Untersuchung erwecken könnte. Roberts und Rockefeller haben über einen Kompromiss in Form einer begrenzten Untersuchung verhandelt, ein Ergebnis ist allerdings nicht in Sicht.

Indessen nähert sich die Kritik Bushs Amtssitz im Weißen Haus. Sicherheitsberaterin Condoleezza Rice und CIA-Chef George Tenet mussten sich bereits öffentlich vor den Präsidenten stellen und behaupten, er habe nicht gewusst, dass das Uran-Niger-Dossier eine Fälschung gewesen sei, als er es in seiner Kriegsrede vor dem Kongress als Beweis für Husseins Atombombenprogramm zitierte.

All dies sollte nicht darüber hinwegtäuschen, dass die groß angelegte Täuschung des Kongresses ohne die Kooperation vieler seiner Mitglieder kaum denkbar gewesen wäre. Und der Tumult um Lügen, bewusste Fehlinterpretationen und falsche Gewichtung von Informationen wäre kaum so lautstark, wäre die Situation im Irak nicht so schlecht, wie sie ist. Hinzu kommt, dass sich die Bush-Administration mit ihrer Propaganda hauptsächlich deswegen so weit aus dem Fenster lehnen musste, weil ihr Kriegskurs auf heftigen Widerstand stieß. Hätte nicht Gerhard Schröder ausgerechnet die deutsche Friedensliebe entdeckt und sie mit dem französischen und dem russischen Vetorecht im UN-Sicherheitsrat verbündet, hätte der Irakkrieg wohl eleganter gerechtfertigt werden können.

Daher ist es durchaus verständlich, dass die Europäer in den USA für undankbar gehalten werden. Schließlich ist es noch nicht so lange her, dass eine deutsche Regierung ebenfalls ohne UN-Mandat und mit dilettantisch gefälschten Beweisen über einen generalstabsmäßig geplanten Genozid in den Krieg gegen Jugoslawien zog. Schröders Verhalten vor dem Irakkrieg kann unter diesem Gesichtspunkt bestenfalls als höchst unkollegial bezeichnet werden.

Der Vergleich hinkt ein wenig, schließlich waren die USA über die Nato am Kosovo-Krieg beteiligt. Er beleuchtet aber eines der Probleme von repräsentativen Demokratien an sich: Eine Prognose über die Vor- und Nachteile eines Krieges ist unsicher und schwer vermittelbar. Die öffentliche Meinung muss mit anderen Mitteln mobilisiert werden. Die deutsche Regierung wollte 1999 angeblich ein zweites Auschwitz verhindern, die US-Administration 2003 einen 11. September mit Massenvernichtungswaffen.

Wenn die US-Opposition ihre Kritik nun also an den hässlichen Details von Bushs PR-Kampagne aufhängt, ist das erstens nur möglich, weil im Irak die Friedensdividende auf sich warten lässt, zweitens verspätet und drittens scheinheilig, da in Demokratien Kriege ohne Propagandalügen nicht zu führen sind, aber auch Staaten mit demokratischer Verfassung offenbar nicht auf Kriege verzichten können.