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Die Woche fing ganz wunderbar an. Exakt wie ein »Hanni und Nanni«-Buch. Große Ferien vorbei, und alle treffen sich wieder. Nicht im »Lindenhof« natürlich, sondern im Hinterhof in der Kreuzberger Bergmannstraße. Aber eine Wiedersehensfreude und ein Gegibbel wie im ersten Kapitel der Erzählung aus dem Mädcheninternat, wenn sich alle endlich, endlich wiedersehen und die Sommerstimmung noch ins neue Schuljahr hinübergerettet werden soll. »He, bist du braun geworden, du aber auch, wo warste denn, in Tschechien, Mensch, ich auch, ach, ja, klar.«

Jedenfalls sind alle wieder zurück, die Club-Urlauber aus Údraz, die von den angenehmen Wassertemperaturen eines giftig orange blinkenden Tümpels in Kernkraftwerksnähe schwärmen; die Hierbleiber und Stellunghalter, die immer nur sagen: »Das Wetter in Berlin war auch schön«; diese verdammt ausgeschlafenen Prag-Touristen, die auf der Suche nach der krassen Clubszene grandios scheiterten und auf Stadtrundfahrten und Caféhausbesuche ausweichen mussten. Nicht mal in die Synagoge waren sie reingekommen. Ein jüdisches Gotteshaus ist eben keine linke Redaktionskonferenz, es öffnet und schließt pünklich. »Warste beim Rabbi oder beim Robbie?« Jemand hatte in den Ferien Gott gesehen und schwärmte vom »größten Konzert aller Zeiten«, und andere waren dann ein bisschen traurig, dass sie Robbie Williams in der Hauptstadt verpasst hatten und in der böhmischen Pampa zum Hören alter kroatischer Turbopop-Hits gezwungen worden waren.

Freiwillig hatte sich ein versprengter Frankreich-Reisender Demosprüche angehört. Er hätte es dann auch um ein Haar pünktlich zur ersten Redaktionssitzung nach der Sommerpause geschafft. Ein fröhliches »Jede Arbeit ist Prostitution« auf den Lippen, machte er klar, dass er in Paris Streikerfahrungen gesammelt hatte, die ohne weiteres auf deutsche Verhältnisse übertragbar waren.

Ventilatoren wurden aufgebaut, Karlsbader Oblaten kreisten, die Stimmung war gelöst. Doch statt »Was legen wir auf den Grill? Wer kocht?, Spielen wir ›Mäxchen‹ oder ›Millionär‹?« stellten sich plötzlich so schwierige Fragen wie: »Was wird das Thema? Wer schreibt den Kommentar? Diskutieren wir die RAF-Ausstellung oder den Fall Kelly?« Und nur ein aus dem Erzgebirge mitgebrachter Gartenzwerg auf dem Redaktionsstisch erinnert noch daran, dass mal Ferien waren.