Jobben in der Grauzone

Prostitution gilt nicht mehr als Verstoß gegen die guten Sitten. Einige Bordellbesitzer würden sich gern Arbeitskräfte vom Arbeitsamt vermitteln lassen. von anke schwarzer

Der Staat ist der größte Zuhälter, das weiß man schon lange. Schließlich verdient er indirekt über Gewinnabschöpfungen bei angeklagten Menschenhändlern und über Gewerbesteuern für Hotels und Tanzlokale an den Sexdiensten kräftig mit. Um ein Haar wäre er nun auch noch bei der Förderung der Prostitution aktiv geworden, denn das Landesarbeitsamt Berlin wollte eine Arbeitslose an ein Bordell vermitteln. Sabine Hell (Name geändert) erhielt Anfang des Monats einen Brief vom Arbeitsamt: »Die Veröffentlichung Ihres Bewerberprofils im AIS hat zu der Nachfrage eines Arbeitgebers geführt. Bitte setzen Sie sich in Verbindung mit der Firma Reni-Massage.«

Gleich zu Beginn ihrer Arbeitslosigkeit musste die 25jährige einen Kurs besuchen, in dem ihr nicht nur die neue Zumutbarkeitsregel erläutert, sondern auch ihr Tätigkeitsprofil erstellt wurde. Sie hatte angegeben, dass sie »hinter dem Tresen und auch nachts« arbeiten würde. Vor ihrer Arbeitslosigkeit hatte sie mehrere Jahre als Bedienung in einem Café gejobbt.

Das Angebot des Arbeitsamtes kam Hell gleich seltsam vor. Aber Arbeitslose sollen ja nichts unversucht lassen, um einen neuen Job zu ergattern. Aus Angst, sich Ärger einzuhandeln oder sogar eine Sperre bei der Zahlung des Arbeitslosengelds auferlegt zu bekommen, machte Hell sich kundig. Im Internet fand sie die Homepage der Firma. »Dort ging klar hervor, dass es sich um einen Puff handelt«, sagt sie. »Wir sind das Reni-Massage-Team! Wir verwöhnen Dich mit heißen Küssen, zärtlichen und kuscheligen Massagen oder mit hemmungslosem Sex«, heißt es dort. Rote Herzen blinken auf, barbusige Frauen mit Strapsen räkeln sich auf pinkfarbenen Betten.

Dass Sex neuerdings als zumutbare Arbeit gelten soll, fand Sabine Hell überhaupt nicht lustig. Sie beschwerte sich bei der zuständigen Sachbearbeiterin. »P-U-F-F. Ich musste das dreimal buchstabieren, bis sie es kapiert hatte«, erzählt sie. Die Sachbearbeiterin versuchte zu beschwichtigen, sie solle sich nicht aufregen, schließlich sei das Jobangebot nicht verpflichtend. Eine persönliche Entschuldigung hat Sabine Hell nie bekommen.

Nach Olaf Möller, dem Pressesprecher des Landesarbeitsamtes Berlin, habe sich das Amt bereits in aller Öffentlichkeit entschuldigt. Schließlich seien die Arbeitsämter verpflichtet, alle Stellenangebote zu überprüfen. Die Tätigkeiten dürften nicht gegen Gesetz, Recht und die guten Sitten verstoßen. Warum das Prostitutionsangebot trotzdem weitergeleitet wurde, erklärt er mit der unklaren Definition des Stellenprofils: »Es wurde eine Barmixerin gesucht.«

Für die Inhaberin des Massagesalons in Spandau war das Stellenangebot eine ganz normale Sache, schließlich sei Prostitution mittlerweile legal. Sie suche Frauen, die sich freiwillig entschieden hätten, mit Sexarbeit Geld zu verdienen, und zwar auf legaler Basis, entweder als sozialversicherte Angestellte oder als Honorarkraft. Vom Arbeitsamt erhielt sie nun aber einen Anruf, in dem man ihr mitteilte, dass eine weitere Vermittlung nicht möglich sei.

Seit Januar 2002 verstößt Prostitution zwar nicht mehr gegen die guten Sitten, aber wegen einer Grundsatzentscheidung der Bundesanstalt für Arbeit vermitteln Arbeitsämter generell nicht in diese Branche, obwohl die »Berufskennziffer 9139101: Prostituierte/r« bereits existiert. Begründet wird dieser Beschluss mit dem Schutz der Persönlichkeitsrechte der Arbeitssuchenden. Außerdem handele es sich bei der Prostitution nicht um einen relevanten Arbeitsmarktbereich, in dem eine Arbeitsvermittlung angezeigt sei.

Prostitution ist kein Beruf wie jeder andere, auch nicht nach dem neuen Prostitutionsgesetz. Hurenorganisationen bemängeln, dass den Behörden keine klaren Anweisungen gegeben wurden. Die Bochumer Beratungsstelle für Prostituierte Madonna e.V. kritisiert zudem, dass das Strafgesetzbuch, das Ausländerrecht sowie das Gewerbe- und Gaststättenrecht nicht an das neue Prostitutionsgesetz angepasst wurden.

An vielen Orten verhandelten Hurenorganisationen mit Gewerbe-, Finanz- und Arbeitsämtern sowie mit Staatsanwaltschaften, doch verbindliche Auskünfte seien nicht zu bekommen. Einheitliche Regelungen gibt es nicht. Willkür der Behörden und regional unterschiedliche Verfahrensweisen sind die Folge. So ermittelt in München die Staatsanwaltschaft immer noch wegen Zuhälterei, sobald ein Arbeitsvertrag vorliegt. Ob Sexarbeiterinnen eine Ich-AG oder ein Gewerbe anmelden können, bleibt ungeklärt – außer in Bayern, Baden-Württemberg, Bremen, Sachsen und Thüringen, wo Prostitutionsbetriebe wegen Sittenwidrigkeit generell nicht anerkannt werden.

Zur Prostituierten-Beratungsstelle Kaffeeklappe im Hamburger Stadtteil St. Pauli kam bislang keine einzige Frau, die offiziell und angemeldet unter der Berufsbezeichnung »Prostituierte« arbeiten wollte. Die Mitarbeiterin Gaby Süßmuth stellt fest: »Nach wie vor findet Prostitution in einer Grauzone statt.« Migrantinnen in der Sexarbeit, die häufig keinen legalen Aufenthaltsstatus haben, können sich sowieso nicht anmelden, viele Huren arbeiten lieber schwarz, und die Bordellbesitzer sparen gern die Lohnnebenkosten.

Der Fall von Sabine Hell zeigt nicht nur die Halbherzigkeit des neuen Prostitutionsgesetzes und den moralischen Schlingerkurs in der öffentlichen Debatte. Er verweist zudem auf die grundsätzliche Frage, welche Arbeit überhaupt zumutbar ist und unter Androhung von Geldkürzung erzwungen werden darf. Für Bild, RTL exklusiv und andere Medien, die Sabine Hells Erlebnis gierig ausschlachteten, ist die Sache klar. Keine Frage, Prostitution wird als unzumutbare Arbeit empfunden, das Vermittlungsangebot des Arbeitsamtes zum Skandal gemacht, auch wenn an anderer Stelle eifrig über Sexerlebnisse im Puff berichtet wird und Tipps für die schnelle Nummer in Bahnhofsnähe verbreitet werden.

Müssen aber Sozialhilfeempfänger wie in Hamburg für einen Euro pro Stunde Kastanienlaub aufsammeln, um die Vermehrung der Miniermotte einzudämmen, oder werden Asylbewerber zum Unkrautzupfen verpflichtet, dann wird der »Beitrag für die Gemeinschaft« begrüßt.

Noch hat eine Arbeitssuchende, die nicht oder nicht mehr als Sexarbeiterin tätig sein möchte, die Freiheit, »Nein« zu sagen. Eine Tischlerin, die den Beruf wechseln will, hat es da schon schwerer. Seit der Hartz-Reform und der Einführung der neuen Zumutbarkeitsregeln haben die Beschwerden zugenommen, berichtet Heidemarie Gerstle, die beim Verdi-Landesbezirk Berlin-Brandenburg für die Betreuung von Erwerbslosen zuständig ist. »Es gibt unseriöse Angebote des Arbeitsamtes, sehr oft sind sie aber ganz einfach unsinnig.« Arbeitssuchende würden in Bereiche vermittelt, die gar nicht ihren Fähigkeiten entsprechen, und Vollzeitstellen in mehrere Minijobs aufgeteilt. Wegen des wachsenden Drucks ließen sich die Arbeitssuchenden eher auf prekäre Jobs ein.

Auch bei Sabine Hell flatterte schon ein neues Angebot ins Haus, diesmal von einer Zeitarbeitsfirma in Eberswalde.