Lautes
Flüstern

Sowohl die türkische Regierung als auch die Kurden im Nordirak versuchen, von der US-amerikanischen Präsenz in der Region zu profitieren. von sabine küper, istanbul

Eine Präsenz der türkischen Armee im Nordirak wünscht sich außerhalb der Türkei zurzeit wohl nur die irakische Turkmenenfront. Seit Gründung der autonomen Zone »Irakisch-Kurdistan« 1991 beschwert sich die politische Vertretung der turkmenischen Minderheit über Diskriminierungen durch die kurdische Regionalregierung und ruft die Türkei um Hilfe an.

Das türkische Presseministerium räumte bezeichnenderweise vor dem Staatsbesuch des türkischen Außenministers Abdullah Gül in Washington vergangene Woche in seinem Presseverteiler dem turkmenischen Vertreter im irakischen Regierungsrat, Omer Cabuk, großen Raum ein. Cabuk äußerte im Sinne der politischen Linie der Turkmenenfront, dass sich die Anwesenheit türkischer Truppen stabilitätsfördernd auf die Region auswirken würde. Für den Nordirak kann man dies als kompletten Unsinn bezeichnen, denn bereits vor dem Krieg hatten beide Kurdenführer sich einen Einmarsch des Nachbarn ausdrücklich verbeten. Mesut Barzani wurde sogar mit den Worten zitiert: »Kurdistan wird das Grab jedes türkischen Soldaten sein.« Er dementierte dies zwar später, das Zitat gab aber sicherlich seine eigenen Wunschvorstellungen wieder.

Die Erstürmung eines Büros des türkischen Militärgeheimdienstes in Süleymania Anfang Juli ist mit größter Wahrscheinlichkeit auf Einflüsterungen des kurdischen Geheimdienstes zurückzuführen. Amerikanische Spezialeinheiten nahmen die überrumpelten Insassen, Zivilisten wie Soldaten, fest, nachdem die Türken sie, in der Annahme, es handle sich um Verbündete, zum Tee hereingebeten hatten. Begründet wurde die Operation später aus Washington mit Informationen, die Türken hätten ein Attentat auf den kurdischen Gouverneur von Kirkuk geplant. Obwohl das den Türken durchaus zuzutrauen wäre, passt diese »Information« zur momentanen Politik der Kurden, regionale Konflikte mit Hilfe der Amerikaner unter dem Vorwand der Terrorbekämpfung zu lösen.

Schon im vergangenen Jahr wurde der größte regionale Gegner, die islamistische Gruppe Ansar al-Islam (Kämpfer für den Islam), als verlängerter Arm der al-Qaida dargestellt, um die Kriegsstimmung gegen den verhassten Saddam Hussein anzuheizen und gleichzeitig die Islamisten loszuwerden. Im New Yorker erschien zum ersten Mal im März 2002 eine Story über »al-Qaida im Nordirak«. Weitergeführt wurde die Geschichte später durch das Video über die Vergasung eines Hundes, das CNN-Reporter plötzlich in Afghanistan entdeckten. Das führte dann, zusammen mit den Aussagen des kurdischen Geheimdienstes, im Nordirak bauten die Islamisten ebenfalls an chemischen Waffen, zu der Mär, die Außenminister Colin Powell im Januar dem UN-Sicherheitsrat als eine der Begründungen für die Berechtigung des Krieges vorlegte. Im April war es dann geschafft. Mit B 52-Bombern und schwerem Geschütz stürmten amerikanische Spezialeinheiten zusammen mit 8 000 bis 10 000 Angehörigen der Peshmerga, der ehemaligen kurdischen Guerilla und heutigen Armee der Kurden, das Areal der etwa 700 bis 1 000 Mann starken islamistischen Truppe, die nach Angaben der amerikanischen Offiziere »neutralisiert« wurde. Gefangene gab es nicht, chemische Waffenlabore wurden auch nicht gefunden.

Nun gilt es, die schon seit 1994 existierende türkische Militärpräsenz in der Region zu beenden. Nichts haben die Kurden mehr bereut, als zur Beendigung der eigenen, Jahre andauernden, kriegerischen Auseinandersetztung zwischen der vom Barzani-Clan dominierten Demokratischen Partei Kurdistans (KDP) und der vom Talabani-Clan geführten Patriotischen Union Kurdistans (PUK), ausgerechnet die Türken einzubeziehen. International kaum beachtet, gab es schon seit 1996 zwei Stützpunkte des türkischen Militärs im Nordirak, das sich süffisant als »Friedenstruppe« deklarierte. Im Zuge der Operationen gegen die in der Türkei aktive, aber lange im Nordirak lagernde PKK marschierte die türkische Armee danach immer wieder über die Grenze zum Nordirak und drohte mehrfach, eine Pufferzone aufzubauen.

Nun existiert die PKK seit der Gefangennahme und Verurteilung ihres Führers Abdullah Öcalan 1999 nicht mehr. Sie hat sich in eine Bewegung verwandelt, die den Personenkult um den mit seiner Festnahme sogar zum Atatürk-Fan und Friedensengel mutierten Öcalan als einziges Relikt der einst als Nationalbewegung deklarierten Organisation beibehalten hat. Ein versprengtes Grüppchen um Öcalans Bruder Osman und um Celal Bayir, beide ehemalige Kommandanten des militärischen Arms der PKK, pendelt zwischen den irakischen und iranischen Bergen hin und her.

Das nach einem Gerücht der nordirakischen kurdischen Parteien für den kurdischen Gouverneur von Kirkuk bestimmte Attentat fand in der Realität als fehlgeschlagener Attentatsversuch auf Celal Bayir etwa zur gleichen Zeit statt. Nun gilt es genau hinzuhören, wer was wann und warum sagt. Die Türkei benutzt seit Jahren zwei Argumente, um die eigene politische Präsenz in der Region zu rechtfertigen. Erstens sind da die Turkmenen, die, ähnlich wie die türkisch-zypriotische Minderheit auf Zypern, als unterdrückte, ethnisch verwandte und zu schützende Volksgruppe fungieren, um die eigene militärische Präsenz in der Region zu rechtfertigen. Zweitens wird die PKK als Bedrohung für die Innere Sicherheit der Türkei stilisiert. Sofort nach dem 11. September 2001 hob man den Zeigefinger nach dem Motto, »nun seht ihr, was Terror ist«, und zog mit Freuden nach Afghanistan, um zu zeigen, wie viel Erfahrung man im Anti-Guerilla-Kampf hat.

Letzteres können die nach Verbündeten suchenden USA nicht ignorieren, gleichzeitig hat die in der Vergangenheit immer zu allem wie der brave Zinnsoldat stramm stehende Türkei mit der Ablehnung der Präsenz amerikanischen Militärs auf türkischem Boden die Regierung Bush zutiefst verärgert. Der amerikanische Präsident hätte es sich wohl nie träumen lassen, dass es die türkische Regierung wagen würde, ein klares Nein an seine Regierung zu richten.

Die Erklärung der Amerikaner, sie würden die PKK aus dem Irak verscheuchen, ist also vor allem als erster Schritt zur Beseitigung der Argumente für eine türkische Präsenz zu sehen. Der gleichzeitige Aufruf an die Türkei, sich an der Friedenstruppe im Irak zu beteiligen, ist sicher nicht als eine Aufforderung zu einem Einsatz im Nordirak gemeint. Nichts täten die Amerikaner lieber, als die Türken nach Bagdad oder in eines der schiitischen Zentren zu schicken. Schon jetzt arbeiten sie am Aufbau eines militärischen und geheimdienstlichen Stützpunktes bei Mossul, der den im türkischen Adana ersetzen soll.

Die Kurden finden das jetzt noch klasse, denn ihre eigene Position wird vor allem gegenüber der Türkei gestärkt. Dass die amerikanische Präsenz sich allerdings auch in ihrer bislang autonomen Region zur Statthalterschaft entwickeln kann, beginnen sie langsam zu merken. US-General David Petreus rechtfertigte die Übernahme der Leitung des Fernsehkanals in Mossul durch Amerikaner unlängst damit, Zensur sei gerechtfertigt, um Nachrichten zu unterbinden, die den Frieden der Region stören. Das ist exakt die Argumentation, die die Türkei in ihrer Unterdrückung von allem, was als kurdisch definiert wird, jahrzehntelang benutzt hat und teilweise noch benutzt.