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Reform ist, wenn es schlechter wird

Frankreich. Am Donnerstag hat die französische Rechtsregierung ihre umstrittene Rentenreform für den öffentlichen Dienst durch das Parlament gebracht. Mehr Arbeit, weniger Rente sind der Kern der Sache. Die Beitragszeit für eine Vollrente wird bis 2008 schrittweise von 37,5 auf 40 Jahre ansteigen, für jedes fehlende Jahr wird die Rente um fünf Prozent gekürzt.

Gegen diese Reform hatten im Frühjahr hunderttausende Angehörige des öffentlichen Dienstes demonstriert und gestreikt. Premierminister Jean-Pierre Raffarin forderte nun, der lange Streit um die Rente dürfe »keine Narben« in der französischen Gesellschaft hinterlassen. Dabei hatte er seit Anfang Juni triumphierend verkündet: »Da ist er, der Mut zu Reformen.« Auf gewerkschaftlicher Ebene hat sich besonders die CFDT mit ihrer schnellen Zustimmung zu den Regierungsplänen als privilegierte Partnerin eines »sozialen Dialogs« innerhalb der Krisenlogik profiliert. Die früher den Kommunisten nahe stehende CGT hatte zwar »wirkliche Verhandlungen« verlangt, Generalstreikforderungen aber abgewürgt.

Immune Interessen

Italien. Die Mehrheit von Regierungschef Silvio Berlusconi hat am Dienstag vergangener Woche im römischen Abgeordnetenhaus ein Gesetz über die Neuordnung der Medien verabschiedet. Es ist auf die Bedürfnisse von Berlusconis Medienimperium zugeschnitten. Er darf bis auf weiteres seine drei überregionalen Fernsehkanäle behalten; ursprünglich sollte er einen abgeben. Zudem wird die Höchstgrenze für Werbeeinnahmen, die Berlusconis TV-Sender fast erreicht haben, angehoben. In der Abgeordnetenkammer wurde am gleichen Tag ein Gesetz über den »Interessenkonflikt« gebilligt. Politischen Machtträgern wird darin die Führung, nicht aber der Besitz von Untenehmen untersagt. Die Opposition kritisierte beide Gesetze scharf als »Leges Berlusconi«.

Zudem muss Berlusconi vorerst keine Ermittlungen wegen Steuerbetrugs beim Kauf von Film- und Fernsehrechten in den neunziger Jahren fürchten. Auf Anweisung des Justizministeriums wurde ein entsprechendes Verfahren der Mailänder Staatsanwaltschaft eingestellt – auf der Grundlage des von Berlusconis Mehrheit kürzlich verabschiedeten Immunitätsgesetzes.

Nur Fliegen ist schöner

Großbritannien. »In ihrer üblichen arroganten Art haben die Bosse von British Airways gedacht, sie könnten die Belegschaft einschüchtern, damit sie ein neues Überwachungssystem akzeptiert, das eine noch schärfere Kontrolle erlaubt«, heißt es in einem am vergangenen Freitag in Heathrow verteilten Gewerkschaftsflugblatt. 10 000 Beschäftigte hat BA seit dem 11. September 2001 entlassen. Als die Fluggesellschaft mit der Einführung des automatisierten Arbeitszeitkontrollsystems ATR beginnen wollte, reagierten die Angestellten auf dem Londoner Flughafen Heathrow am vorletzten Wochenende mit einem spontanen Streik. Sie befürchten Entlassungen, eine weitere Arbeitsverdichtung und die Einführung kurzfristig angeordneter Arbeitseinsätze für wenige Stunden, z.B. bei Verspätungen.

BA handelte daraufhin ein Geheimabkommen mit Sir Bill Morris aus, dem Verhandlungsführer der Gewerkschaft T&G. Die Vereinbarung, die eine »weiche« Einführung des ATR vorsah, scheiterte am Wochenende jedoch am Widerstand aus den Reihen der T&G und der konkurrierenden GMB. Die Gewerkschaften drohen nun, über einen landesweiten Streik abstimmen zu lassen.

Wir bleiben!

Belgien. Mehr als 300 afghanische Flüchtlinge haben am Freitag der vergangenen Woche aus Protest gegen ihre bevorstehende Abschiebung eine Kirche in Brüssel besetzt. Einige Demonstranten begannen einen Hungerstreik. Die Aktion in der Gemeinde Ixelles hatte am Tag zuvor mit nur etwa hundert Flüchtlingen begonnen. Gemeindevorstand Pierre Lardot erklärte, er habe den belgischen Innenminister Patrick Dewael in einem Brief auf die Lage aufmerksam gemacht und darum gebeten, seine Position zu überdenken. Die Behörden fürchten große hygienische Probleme in der besetzten Kirche.

Belgien ist nicht das einzige europäische Land, das Afghanen abschiebt. Großbritannien, Frankreich und die Niederlande schlossen dieses Jahr mit der afghanischen Regierung Abkommen zur Rückführung der Flüchtlinge. Großbritannien hat seit April bereits 101 Afghanen abgeschoben. Die niederländische Regierung will im April 2004 mit Abschiebungen beginnen. Nach Angaben der Vereinten Nationen sind seit Jahresbeginn etwa 265 000 afghanische Flüchtlinge mit UN-Unterstützung freiwillig oder zwangsweise zurückgekehrt. Die meisten von ihnen kamen aus Pakistan und dem Iran.

Namen im Netz

Polen. Die Archivdokumente des Vernichtungslagers Auschwitz-Birkenau, die die Deutschen nach ihrem Rückzug nicht mehr vernichten konnten, sollen ins Internet gestellt werden. Das Museum der Gedenkstätte hat im Juli bereits die Namen von rund 69 000 im Konzentrationslager Auschwitz getöteten Häftlingen im Internet zugänglich gemacht. Die in insgesamt 46 Bänden aufgeführten Häftlinge der »politischen Abteilung« sind zwischen Juli 1941 und Dezember 1943 ums Leben gekommen. Die Mehrzahl der mindestens 1,1 Millionen Getöteten wurde gleich nach der Ankunft in den Gaskammern ermordet und ist in den Museumsarchiven nicht namentlich aufgeführt. Das Museum will auch die so genannten Zigeunerbücher, die Totenbücher der sowjetischen Kriegsgefangenen und die Bunkerbücher mit der Liste der Häftlinge im Todesblock ins Internet stellen. Die Datenbank kann auf der Internet-Seite der Gedenkstätte eingesehen werden.