Viel ist mehr

Punk im Museum

»Lieber zu viel als zu wenig« ist ein Zitat von Alfred Hilsberg, der damals, als Punk und New Wave auch in Deutschland Rekorde brachen, zuerst Platten irgendwelcher aufregenden Bands veröffentlichte und dann erst schaute, ob er diese auch wirklich loswerden konnte. Das waren noch stürmische Zeiten. Aufbruch. Jeder war ein Künstler, Musiker, Filmemacher und am besten gleich alles zusammen. Die Zentren der damaligen Bewegung waren Düsseldorf, Hamburg und Berlin. Seit dem Erfolg von Jürgen Teipels Dokuroman »Verschwende Deine Jugend« wissen das auch die heute 16jährigen, die eine Ära, in der sie noch nicht mal geboren waren, als Lifestyle-Trend entdeckt haben. Der Iro ist zwar schon wieder out, punkiger Speedfreak-Look dafür absolut in; außerdem eben erst erschienen und Plattentip der Woche: »New Deutsch«, eine von DJ Hell autorisierte Compilation ausgesuchter Frühachtziger-Gassenhauer von Der Plan bis Zwitschermaschine.

Bestrebungen, diesen zu spät Geborenen das Lebensgefühl von damals zugänglich zu machen, unternimmt die Ausstellung »Lieber zu viel als zu wenig« in der Berliner Galerie NGBK jedoch nicht. In zwei Videokabinen werden Filme von damals gezeigt, verwackelte Super-8-Streifen von Punks in Berlin, die über ihrer Currywurst hängen oder im SO 36 ein Konzert geben. Das Bild ist meist schlecht, das muss so sein. Der Ton ist noch schlechter, das hätte die Galerie bestimmt besser hinbekommen können. Mitten im Raum steht die legendäre Miniphonplattenbox »Chöre und Soli« der Tödlichen Doris. Martin Kippenberger hängt an der Wand, Albert Oehlen auch, und das war es dann auch schon bald.

Falls die Ausstellung den heute 16jährigen doch etwas sagen will, nämlich dass die frühen Achtziger in Wahrheit trist, grau und unglamourös waren, dann ist ihr das gelungen. Die Kuratoren scheinen sich gedacht zu haben, wenn sie schon den Punk in die Galerie packen, dann eben auch formal authentisch. Punk heißt schließlich auch Mut zum Unfertigen. Doch eigentlich versucht ein derartiger Ansatz die Quadratur des Kreises, denn kein anderer Ort wäre schließlich weniger dafür geeignet, den Punk wirklich aufleben zu lassen, als die Galerie.

Der Punk ist reif fürs Museum, keine Frage, doch gerade deswegen hätte man in der Ausstellung nicht sklavisch an der damaligen Form kleben müssen. Die Einwände, die bereits gegen die Ausstellung erhoben wurden, sind berechtigt. Ein paar Exponate an die Wand zu tackern, ein paar Filmchen flimmern zu lassen, und dann zu sagen: So war’s damals in Berlin, ist einfach zu wenig. Auch dass aus vielen der damaligen Protagonisten von damals wichtige Labelbetreiberinnen wie Gudrun Gut, Techno-Impresarios wie Dimitri Hegemann, postume Kunstsuperstars wie Kippenberger oder Kultfilmer wie Jörg Buttgereit geworden sind, die das künstlerisch-kreative Leben Berlins erstaunlicherweise immer noch prägen, hätte durchaus ein interessanter Aspekt einer derartigen Ausstellung sein können.

Man hätte sich ein Beispiel an Benjamin Quabecks Verfilmung von »Verschwende Deine Jugend« nehmen sollen. Der lässt einen auf Glaubwürdigkeit, versucht erst gar nicht, eine verflossene Phase deutscher Pophistorie adäquat abzubilden und hat keinerlei Respekt vor den Mythen von damals. Das ist Punk.

andreas hartmann

Bis 5. September in der NGBK, Berlin