Wenig Macht
den Räten

Trotz des Todes der Söhne Saddam Husseins dauert der Kampf gegen die US-Truppen im Irak an. Auch der neu gebildete provisorische Regierungsrat gerät in die Kritik. von florian bernhardt, amman

Wir haben Fortschritte gemacht, stetige Fortschritte«, verkündete George W. Bush, und diese Aussage klang etwas glaubwürdiger als in den Wochen zuvor. Denn schon lange waren die Nachrichten aus dem Irak für die USA nicht mehr so gut. Am Dienstag der vergangenen Woche gelang es amerikanischen Spezialeinheiten, die Söhne des gestürzten Diktators Saddam Hussein in einer Villa nahe der nordirakischen Stadt Mossul zu umstellen und nach einem sechsstündigen Feuergefecht zu töten.

Angeblich um die im Irak weit verbreiteten Zweifel an der Identität der beiden Toten auszuräumen, veröffentlichten die USA zwei Tage später Fotos der beiden entstellten Leichen. Am Freitag schließlich wurden die Toten in einer Halle des Bagdader Flughafens ausgewählten Pressevertretern präsentiert.

Das Vorgehen der US-Behörden wurde international mit Verweis auf das Völkerrecht, das die Zurschaustellung von toten Kriegsgegnern zu propagandistischen Zwecken verbietet, heftig kritisiert. US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld verteidigte jedoch die Maßnahmen der US-Armee mit der »ungewöhnlichen Situation« im Irak. Es sei für die Iraker wichtig zu wissen, dass Udai und sein Bruder Qusai tatsächlich tot seien und nicht wiederkehrten.

In der arabischen Presse wurde das Ende der Söhne Saddams bis auf wenige Ausnahmen ohne Bedauern zur Kenntnis genommen. Die von Vertretern der US-Armee geäußerten Erwartungen, dass die Angriffe gegen die Besatzungstruppen im Irak nun nachlassen würden, stießen jedoch auf Widerspruch. Der Widerstand gegen die US-Präsenz im Irak werde so lange weitergehen, wie »Wasser den Euphrat und den Tigris hinabfließt«, schrieb die saudische Zeitung al-Watan am vergangenen Donnerstag. Die in den Vereinigten Arabischen Emiraten erscheinende Tageszeitung al-Ahbar behauptete sogar, die Beseitigung Saddams und seiner beiden Söhne ermutige diejenigen zum Widerstand, die von einem Irak träumten, der »frei von Saddam und den Amerikanern ist«.

Für Paul Bremer, den US-amerikanischen Verwaltungschef im Irak, kam die Nachricht vom Tod Udais und Qusais gerade zur rechten Zeit. Er hielt sich in der vergangenen Woche zu Konsultationen in Washington auf, unter anderem um dem Geheimdienstausschuss des Repräsentantenhauses über die bislang vergebliche Suche nach den Massenvernichtungswaffen des alten Regimes zu berichten. Schon seit längerem konnte Bremer keine Erfolge aus dem Irak melden. Die Sicherheitslage ist katastrophal, nach wie vor gibt es große Probleme mit der Wasser- und Stromversorgung. Die Angriffe auf die US-Truppen haben ein solches Ausmaß angenommen, dass auch John Abizaid, der Oberbefehlshaber der US-Streitkräfte in der Golfregion, zugeben musste, dass seine Soldaten in einen Guerillakrieg verwickelt seien.

Um der Besatzung eine demokratische Fassade zu geben, hat Bremer vor drei Wochen einen Rat ernannt, der als Vorgänger einer Übergangsregierung amtieren soll. Der 25köpfige Regierungsrat, den Bremer am 13. Juli der Öffentlichkeit vorstellte, soll alle Religionsgemeinschaften und ethnischen Gruppen des Iraks repräsentieren und sich unter anderem mit der Vorbereitung einer verfassungsgebenden Versammlung und der für September 2004 geplanten Parlamentswahlen befassen. Neben den beiden Vorsitzenden der wichtigsten Kurdenparteien KDP und Puk, Massoud Barzani und Jalal Talabani, gehören ihm auch Vertreter der Assyrer und der Turkmenen und der Generalsekretär der KP an. Durch den stellvertretenden Vorsitzenden des Sciri, Abdalaziz Al-Hakim, sowie drei Repräsentanten der Dawa-Partei sind auch die schiitisch-islamistischen Organisationen vertreten. Einer der ersten Beschlüsse des Rates führte den 9. April, den Tag der Eroberung des Zentrums von Bagdad durch die US-Armee, als neuen Nationalfeiertag ein und schaffte alle Feiertage des alten Regimes ab.

Die Kompetenzen des Übergangsrates sind allerdings äußerst begrenzt. Seine Beschlüsse können jederzeit von Bremer aufgehoben werden. Wirklich wichtige Fragen, wie die Vergabe von Konzessionen zur Instandsetzung und zum Betrieb der Häfen und Flughäfen, zum Aufbau von Kommunikationsnetzen und nicht zuletzt zur Förderung und zum Export des irakischen Erdöls werden ohnehin von Paul Bremer und seiner Behörde, der Coalition Provisional Authority, sowie vom Sonderbeauftragten des Weißen Hauses, Zalmay Khalilzad, entschieden.

Die Legitimität des Übergangsrates ist im Irak äußerst umstritten. Sowohl sunnitische als auch schiitische Prediger bezeichneten das Gremium wiederholt als illegitim, da es nicht aus freien Wahlen hervorgegangen sei. Hinzu kommt, dass die Mehrzahl seiner Angehörigen zum Teil seit Jahrzehnten im Exil lebte.

Kritik kommt jedoch nicht nur von außen, sondern auch von Sprechern der im Übergangsrat vertretenen Parteien und Gruppierungen selbst, die sich entweder nicht ausreichend repräsentiert fühlen oder aber ihre geringen Kompetenzen beklagen. So warnte der Sciri-Vorsitzende, Muhammad Baqir al-Hakim, am Tag der ersten Zusammenkunft vor einem Aufstand der Schiiten. Die USA seien als Befreier gekommen, aber als Besatzer geblieben: »Das macht das Volk zornig.«

Bei aller Kritik an den USA ist man sich aber auch untereinander nicht einig. Dies zeigt zum Beispiel die Auseinandersetzung um die Präsidentschaft des Übergangsrates. Nach langen Diskussionen einigten sich die Parteien schließlich auf einen Wechsel in alphabetischer Reihenfolge, wobei jedes Mitglied den Posten für einen Monat übernehmen wird.

Die Reaktionen der arabischen Staaten auf die Ernennung des Rates reflektieren die tiefe Kluft, die bei den Diskussionen über die Bewertung des Krieges im Frühjahr dieses Jahres zwischen den Mitgliedstaaten der Arabischen Liga deutlich wurde. Während der Generalsekretär der Arabischen Liga, Amr Musa, zunächst keine Bereitschaft zeigte, den Übergangsrat als Repräsentanten des Irak anzuerkennen, begrüßten der jordanische und der kuwaitische Außenminister die Initiative der USA.

Die USA und Großbritannien versuchen jetzt erfolgreich, den Übergangsrat auch auf internationalem Parkett zu etablieren. Am Dienstag der vergangenen Woche präsentierten sich drei Mitglieder in New York dem Sicherheitsrat. UN-Generalsekretär Kofi Annan begrüßte die Bildung des Gremiums, drängte allerdings auch auf einen möglichst schnellen Rückzug der USA und Großbritanniens. Der UN-Sondergesandte Sergio Vieira de Mello sprach dem Rat »Glaubwürdigkeit und Autorität« als Partner der »internationalen Gemeinschaft« zu. Anschließend flogen die Irakis nach London zu Gesprächen mit der britischen Regierung.

Der radikale schiitische Kleriker Muqtada al-Sadr hat unterdessen seine Kritik an der Besatzung des Landes erneuert. Er hat zwar in der Hierarchie der schiitischen Geistlichkeit nur einen unteren Rang inne, kann aber mit seinen radikalen Predigten viele Iraker mobilisieren. 100 000 Zuhörer sollen seine letzte Freitagspredigt in Kufa verfolgt haben. Am Samstag rief er seine Anhänger dazu auf, den »illegitimen« Übergangsrat durch eine »vom Volk« gebildete Versammlung zu ersetzen. Außerdem forderte er die Schiiten des Irak zur Bildung einer als »Armee des Mahdi« bezeichneten Einheit auf, die die Amerikaner und ihre Verbündeten aus den für die Schiiten heiligen Städten Najaf und Kerbala vertreiben solle. Zu ihren Aufgaben gehöre auch die Bekämpfung des »gesellschaftlichen Verfalls« und der »Unmoral«, die mit dem Einmarsch der Truppen der USA und ihrer Alliierten einhergingen.