Zelte werfen Schatten

Auf den Pollerwiesen in Köln gibt es keine Bäume, dafür aber Anfang August haufenweise Zelte und Pavillons. Das antirassistische Grenzcamp findet zum sechsten Mal statt. von arne norden

Out of Control« – so lautet das Motto des diesjährigen Grenzcamps, das in dieser Woche beginnt. Obwohl der Slogan an einen Song der Band U2 aus dem Jahr 1980 erinnert, meint er im politischen Kontext des Camps vor allem die Befreiung von gesellschaftlichen Kontrollmechanismen. »Außer Kontrolle« ist also nicht die Wiederentdeckung des New Wave, sondern ein politisches Programm.

Die Untertitel verdeutlichen, worum es geht: »Für globale Bewegungsfreiheit« heißt die modernisierte Fassung der alten Forderung nach offenen Grenzen; »Verwertungslogik und rassistische Ausgrenzung angreifen«: In diese Parole fanden die Debatten um die Arbeitsmigration und die Green Card ebenso Eingang wie die Auseinandersetzung mit der Abschottung der europäischen Gesellschaften gegen EinwandererInnen und Flüchtlinge.

Etwas hochtrabend wird von einer »Neuausrichtung des Antirassismus« gesprochen und die Kritik an gängigen Verwertungsdiskursen als »ökonomische Wende« begrüßt. Zum ersten Mal in der Geschichte des Camps wird ein dreitägiges Auftaktforum unter dem Titel »Antirassismus ausbuchstabiert« in der Fachhochschule Köln-Deutz stattfinden. Damit soll den politischen Debatten, die in den Vorjahren direkt auf dem Camp geführt wurden, mehr Raum gegeben werden.

In der Einladung heißt es dazu: »Gesprächsstoff ist reichlich vorhanden, da sich die Vorstellungen davon, was Antirassismus denn nun eigentlich sei und wie mensch am sinnvollsten intervenieren könne, in den vergangenen Jahren des kontinuierlichen Zusammen- und Nebeneinanderherarbeitens stärker differenziert und präzisiert haben.«

Eingeladen sind Gruppen und Personen, die sich in der Frage des Antirassismus einen Namen gemacht haben: etwa Alexander Demirovic, Mark Terkessidis, The Voice, Kanak Attak, die Gruppe »jeder Mensch ist ein Experte« sowie die Karawane für die Rechte der Flüchtlinge und MigrantInnen. In Workshops, Vorträgen und auf den großen Foren sollen theoretische mit praktischen Fragen verknüpft werden, um derart inhaltlich gestärkt in die eher praxisorientierte Camp-Woche zu starten.

Mindestens einen Praxistermin gibt es allerdings schon während des Forums. Die im Kölner Stadtteil Poll ansässige rechtsextreme Bürgerinitiative Pro Köln hat für Samstag, den 2. August, einen Aufmarsch gegen das Camp angemeldet. Pro Köln ist bisher vor allem mit rassistischer Stimmungsmache gegen die in Köln lebenden Roma sowie gegen die Errichtung einer Moschee aufgefallen. Zuletzt organisierte die Initiative Ende Juni 2003 eine Demonstration unter dem Motto: »Kein Bleiberecht für kriminelle Flüchtlinge«.

In die Fragestellung des Forums ist auch die Geschichte der Trennungen der Camps im vergangenen Sommer eingeflossen. Nach der Teilung in gleich vier Camps dominierte in der gemeinsamen Nachbereitung der Wunsch, sich wieder auf ein gemeinsames zu verständigen. Die separierten und homogenen Zeltlager des Jahres 2002 boten zu wenige Reibungsflächen und mussten sich, mit Ausnahme des internationalen »no border«-Camps in Strasbourg, auch mit weniger TeilnehmerInnen bescheiden.

Mit der Vereinigung der verschiedenen Vorbereitungskreise scheint zumindest diese Gefahr gebannt. Die Frage, welche Stadt Austragungsort des Camps werden sollte, war aber auch gleich ein Testfall für die Belastbarkeit der neuen alten Vorbereitungsstrukturen. Köln fiel dabei die Rolle der Kompromisslösung zu, nachdem für die beiden Alternativen Nürnberg/Fürth und Rostock keine Mehrheiten gefunden werden konnten.

Stand anfangs zu befürchten, das Camp in Köln werde nur eine halbherzige Veranstaltung werden, weil sich nur wenige dafür begeisterten, erfasste die Dynamik der Vorbereitung nicht nur große Teile der Linken in der Region, sondern auch eingefleischte »Campistas«. Nahezu in allen großen Städten fanden Treffen zum Camp statt. In Berlin widmet das Café Morgenrot dem Camp unter dem Titel »Beyond Control« eine Veranstaltungsreihe zum Thema »Pässe, Grenzen und Migration«.

Hoffnungen werden wach, an das Grenzcamp 2001 anknüpfen zu können, vor allem was die TeilnehmerInnenzahlen sowie die überregionale Ausstrahlung betrifft. Ein Blick auf das vorläufige Programm bestätigt, dass Köln den Vergleich mit Frankfurt nicht scheuen muss. Nach den Forumstagen sind Aktionen gegen die Flüchtlingspolitik der schwarz-grünen Kölner Regierung mitsamt dem Containerschiff auf dem Rhein (Jungle World, 24/03), Besuche der Justizvollzugsanstalt Köln-Ossendorf und des Ausländerzentralregisters (AZR) sowie Ausflüge zum Abschiebeflughafen Düsseldorf und zur deutschen Zentrale der International Organisation of Migration (IOM) geplant.

Groß angekündigt ist zudem die Uraufführung des Films »Im Schatten der Zelte«, der sich den kontroversen Debatten auf dem Hamburger Camp »Land in Sicht« vom August 2002 sowie dem Zustand der linken Streitkultur widmet. Außerdem gibt es das »ernst gemeinte Sprechtheater zum Mitstreiten: Mein Opa ist NS-Kriegsverbrecher« über linke Geschichtspolitik und die dies- und letztjährigen Besuche beim Gebirgsjägertreffen in Mittenwald (Jungle World, 24/03). Auf dem Unterhaltungsprogramm stehen auch Konzerte von Muff Potter, Pale, Guts Pie Earshot und Microphone Mafia.

Die Teilnahme am Grenzcamp bedeutet auch: Schlauchboot fahren, Schlange stehen in den Küchen, ein Webjournal betreiben, Infozelte, Abendplena und Kleingruppen, filmen und gefilmt werden, FrauenLesbenbereich und hundefreie Zonen, haufenweise Aufgaben und haufenweise Delegierte – und natürlich Dixie-Klos.

Wie meistens bei Grenzcamps steht der Ort noch nicht hundertprozentig fest, geplant sind die Pollerwiesen. Ebenso wenig wie das Wetter lässt sich bisher die Kölner Polizeitaktik einschätzen. Eines jedoch scheint sicher: Das Kölner Grenzcamp dürfte ein Höhepunkt der antirassistischen Arbeit in diesem Jahr werden.

Das 6. antirassistische Grenzcamp »Out of Control« findet vom 31. Juli bis 10. August 2003 voraussichtlich auf den Pollerwiesen in Köln statt. Vom 31. Juli bis 3. August 2003 gibt es das Auftaktforum »Antirassismus ausbuchstabiert« in der FH Köln-Deutz. Informationen unter www.nadir.org/camp03