Bei Anruf Mord

Thriller: »Nicht auflegen«

Der alte Hollywood-Recke Joel Schumacher wird aufgeatmet haben, nachdem er den fertig geschnittenen Film das erste Mal im Vorführraum gesichtet hat. »Nicht auflegen« (»Phone Booth«) ist nämlich ein Film, der – im Unterschied zu den letzten Arbeiten des Regisseurs – wirklich funktioniert. Mit 81 Minuten, einem Schauplatz, einer Drehbuchidee, die konsequent auf die Spitze getrieben wird, ist er ein schlanker Film und hat so eine Idee, von der die Geldgeber gesagt haben müssen: »Das ist spannend«, und Schumacher wird sich die Hände gerieben und gedacht haben: »Ja, das ist gut, ich mach das jetzt mal. Das funktioniert.« Wie gesagt, damit hat er auch Recht gehabt.

Aufblende auf die Straßen Manhattans. Der ebenso arrogante wie erfolgreiche Medienberater Stu (Collin Farrel) rennt durch die Stadt, telefonierend mit jeder und jedem. Das alltägliche »Den-Laden-am-Laufen-halten«: Connections machen, Jobs regeln, Sachen organisieren. Ein Handy als Werkzeug, die Puppen tanzen zu lassen. Dass er trotzdem mindestens einmal am Tag die letzte Telefonzelle in seiner Gegend aufsucht, hat damit zu tun, dass Stus Ehefrau Kelly (Radha Mitchell) sehr aufmerksam seine Rechnungen kontrolliert. Nur von der Telefonzelle aus kann er unbeobachtet mit seiner jungen Affäre (Katie Holmes) plaudern. Unbeobachtet? Tja, nicht ganz. Nach dem gewohnten Flirt aus der Zelle heraus klingelt das Telefon. Ein Irrer ist am anderen Ende der Leitung, der sich nicht nur bestens mit Stus verlogenem Leben auskennt, sondern auch noch ein Präzisionsgewehr auf ihn gerichtet hat. Legt Stu auf, ist er tot.

Ein perfekter Ausgangspunkt für 80 Minuten klassischen Thrill auf engstem Raum. Stu soll gestehen. All die Lügen, die Betrügereien, die Sünden. Im Verlauf der souverän inszenierten eskalierenden Situation stirbt ein Zuhälter vor der Tür der Zelle, erscheinen Polizei und Fernsehteams, die in dem Glaskasten einen Verrückten vermuten. Doch dieser sitzt woanders.

Im amerikanischen Original heißt Schumachers Film »Phone Booth«. Das bedeutet nicht nur »Telefonzelle«, sondern ist auch ein Verweis auf den Attentäter von Abraham Lincoln, John Wilkes Booth.

Das Spannende an Schumachers mittlerweile dreiunddreißigster Arbeit ist aber die Verabschiedung des klassischen guten Helden als Titelfigur. Wie »25 Stunden« von Spike Lee, einer anderen sehr konventionellen und doch aktuellen Arbeit in diesem Jahr, lebt auch »Nicht auflegen« von räumlicher und zeitlicher Verdichtung. Sein Protagonist ist ein Arschloch, ein Typ, der nun für seine Sünden zu büßen hat. Und mehr als seine Würde zurückgewinnen kann er in diesem Spiel nicht. Wo Lee noch offensiv die Trümmer des World Trade Center ins Bild schob, um das Schwanken seiner Hauptfigur mit dem Wanken Amerikas in Verbindung zu bringen, bleibt Schumacher konkret am Plot. Aber er verfolgt vielleicht ein ähnliches Erzählinteresse: Im Zentrum New Yorks sieht sich ein ehemals Mächtiger mit seiner Ohnmacht konfrontiert. Und die Welt schaut dabei zu. Möglicherweise ist die kompakte Inszenierung einer schmissigen Drehbuchidee nicht der einzige Grund, warum »Phone Booth« so gut funktioniert.

tim stüttgen

»Nicht auflegen«, USA 2003. Regie: Joel Schumacher. Start: 7. August