Patrioten unter Waffen

Gegen den haitianischen Staatspräsidenten Aristide macht eine Guerillagruppe aus ehemaligen Militärs mobil. von hans-ulrich dillmann, santo domingo

Es war ein klassischer Hinterhalt. Die Fahrzeugkolonne des haitianischen Innenministeriums hatte die Grenz- und Provinzstadt Belladère verlassen, als sie südlich des Lac de Péligre von einer großen Gruppe bewaffneter Männer in Militäruniformen gestoppt wurde. Vier der Insassen, zwei Angestellte des Innenministeriums, ein Fahrer und ein Begleitpolizist wurden aus den Fahrzeugen gezerrt. »Sie wurden regelrecht hingerichtet«, erklärt der Generalkonsul der Republik von Haiti in Santo Domingo, Edwin Paraison. Der politische Direktor und Pressesprecher des Innenministeriums, Felix Jean Maynet Personen, konnte sich schwer verletzt retten. Er wird derzeit in der Dominikanischen Republik in einer Spezialklinik behandelt.

In Haiti wachsen die Probleme. Die Opposition fordert den Rücktritt des Staatspräsidenten Jean Bertrand Aristide, die »internationale Gemeinschaft« hat dem Land den Geldhahn »wegen undemokratischer Verhältnisse« zugedreht. Nun hat sich an der haitianischen Grenze zur Dominikanischen Republik auch noch eine Guerillagruppe etabliert, die die ungeliebte Präsidentschaft des ehemaligen Armenpriesters Aristide mit Waffengewalt beenden möchte. Der Angriff ereignete sich in der Zentralprovinz des Landes, etwa 100 Kilometer nordöstlich der Hauptstadt Port-au-Prince. Die Delegation hatte zuvor in der haitianischen Grenzstadt Belladère an der Vereidigung des neuen Bürgermeisters von Lascahobas, einem Dorf in der Zentralprovinz Plataeu Central, teilgenommen. Danach wollte sie in den Ort fahren, um den Bürgermeister offiziell in sein Amt einzuführen.

Nach Informationen des Rundfunksenders Radyo Ginen sollen die Angreifer ehemalige Armeeangehörige sein. Sie stünden unter der Führung des früheren Militärobersten Oriel Jean, berichtet die dominikanische Tageszeitung Hoy. Er sei ein Experte für den Guerillakrieg. Premierminister Yvon Neptune bestätigte im haitianischen Rundfunk den Überfall auf die Regierungsfahrzeuge und die Existenz einer bewaffneten haitianischen Oppositionsgruppe. »Wir werden alles unternehmen, um die Aktionen dieser Banditen, die im Plateau Central operieren, zu unterbinden.«

Dass eine Gruppe von Bewaffneten die Gegend Pernal zwischen Lascahobas und Belladère »unter ihrer Kontrolle« habe, bestätigt Generalkonsul Paraison. Es seien etwa 100 Personen, »ehemalige Angehörige der aufgelösten haitianischen Armee«. »Wir wissen, wer dahinter steckt. Sie leben in der dominikanischen Hauptstadt Santo Domingo und sind ehemalige Offiziere«, sagt der konsularische Vertreter der Nachbarrepublik. Bereits mehrmals hat er im Namen von Staatspräsident Aristide bei der dominikanischen Regierung interveniert, um das »Treiben« der Ex-Militärs aus Haiti zu unterbinden.

De facto ist die über 350 Kilometer lange Grenze, die die beiden Länder auf der Karibikinsel Hispaniola trennt, kaum zu kontrollieren. Und wer mit Kennern der Situation spricht, dem wird bestätigt, dass mancher dominikanische Militärangehörige insgeheim mit seinen zwangspensionierten Kollegen sympathisiert. »Die Gruppe hat ihr Rückzugsgebiet in der Dominikanischen Republik«, versichert ein politischer Beobachter mit der Bitte, seinen Namen nicht zu nennen. »Dafür spricht auch, dass der Wagen, mit dem Angehörige der bewaffneten Gruppe später flohen, zuvor im dominikanischen Grenzbereich gestohlen worden war.«

Im haitianischen Bergland nahe der Grenze zur Dominikanischen Republik haben sich in den letzten Monaten die Zusammenstöße zwischen »bewaffneten Gruppierungen« und Polizeieinheiten gehäuft. Bisher seien über 20 Menschen bei bewaffneten Angriffen der Gruppe getötet worden, teilte Innenminister Jocelerme Privert im haitianischen Fernsehen mit. Ende November des vergangenen Jahres wurde in dieser Region der Regionalrichter von Belladère überfallen und ermordet. Zwei der angeblich am Attentat Beteiligten konnten unmittelbar danach gefasst werden. 14 Tage später wurde die Polizeistation von Lascahobas, wenige Kilometer von dem haitianisch-dominikanischen Grenzort entfernt, angegriffen. Bei dem nächtlichen Überfall wurden vier Gefangene befreit, darunter nach Angaben eines Polizeisprechers die beiden des Mordes an dem Richter Verdächtigen. Anfang Mai dieses Jahres besetzte ein bewaffnetes Kommando das Wasserkraftwerk von Péligre in der Zentralregion. An dem Überfall seien mindestens 20 Personen in Militärkleidung beteiligt gewesen, berichtete die Nachrichtenagentur Agenca Haitïenne de Presse (AHP). Die Schaltzentrale wurde dabei zerstört, die Wachtposten wurden getötet.

Zwei Tage zuvor hatte die Polizei in der dominikanischen Grenzstadt Dajabón den ehemaligen Polizeikommissar von Cap Haitïen, Guy Phillipe, den früheren Ausbilder an der Polizeiakademie, Presler Toussaint, den ehemaligen Botschafter Haitis in der Dominikanischen Republik, Paul Arcelin, und den Bankier Hans Germain kurzfristig festgenommen. Sie hätten, sagte ein Sprecher der haitianischen Botschaft, ein konspiratives Treffen abgehalten.

Der Name Guy Phillipe taucht immer wieder auf, wenn es um den Widerstand gegen Staatspräsident Aristide geht. Seit Oktober des Jahres 2000 lebt er im Exil. Der ehemalige Leibwächter von Regierungschef Preval soll damals einen Anschlag auf den Staatschef geplant haben. Phillipe wird von der haitianischen Regierung auch beschuldigt, einer der Hintermänner des Angriffs auf den Präsidentenpalast am 17. Dezember 2001 gewesen zu sein.

Um Guy Phillipe zu treffen, muss man schon einige Umwege auf sich nehmen. Natürlich habe er nichts mit dem Anschlag »haitianischer Patrioten« zu tun, erklärt er lachend. Die Gruppe habe bereits vor Monaten die Region des Zentralhochlandes nahe der dominikanischen Grenze unter ihre Kontrolle gebracht. Sie betrachte die Region als »befreite Zone« und werde es auch in Zukunft nicht dulden, dass sich dort Vertreter des »Regimes von Aristide« aufhalten, sagt der 35jährige und stößt eine Drohung aus: Wenn Staatspräsident Aristide nicht zurücktrete und die »internationale Gemeinschaft« nicht endlich eingreife, dann werde Haiti im Laufe des Jahres liberianische Verhältnisse erleben.