So sollen Männer sein

The Mars Volta haben ihren ersten Longplayer rausgehauen. von jens thomas

Man sollte aufhören, wenn’s am schlimmsten ist. Diesem Leitsatz folgte die Hardcore-Combo At The Drive-In (ATD-I) aus El Paso, Texas, vor zwei Jahren, als sie sich wegen interner Streitigkeiten auflöste. Dabei roch es doch nach purem Erfolg. Keine Band dieses Genres erntete damals mehr Applaus bei der Kritik; überstürzte Popularitätsvergleiche zu Gruppen wie Rage Against The Machine wurden gezogen.

Der böse Erfolg aber hatte die Band zerstört. Es waren die beiden Wuschelköpfe Cedric Bixler (Gesang) und Omar Rodriguez (Gitarre), die den nervenzerrenden Ruhm wohl nicht verkrafteten und das Projekt beendeten.

Das Erbe aber hängt ihnen bis heute nach. Ein Teil der Band fand sich in der Formation Sparta wieder und versuchte vergeblich an alte Erfolge anzuknüpfen. Die Wuschelkopffraktion Bixler/Rodriguez gründete The Mars Volta.

Und Mars Volta startet durch, jetzt hat die Formation ihren ersten Longplayer eingespielt. Wer sie schon live erlebt und ihre EP »Tremulant« gehört hat, konnte in etwa erahnen, in welche Richtung das Ganze gehen würde: experimenteller, progressiver Rock mit einer Kante Hardcore, versehen mit sämtlichen Spielereien, die durchgeknallten Musikern in kreativen Hochphasen einfallen können.

Wahren ATD-I-Fans wird das alles zu viel sein, ist das neue Konzept doch vom einfachen Strophe-Refrain-Schema weit entfernt.

Die neue The-Mars-Volta-Scheibe ist ein zerpflücktes Feld, sehr eloquent, langwierige Songs mit flächenförmigen Synthies münden bei ihnen in doch sehr komplexen Rock, der schwer tanzbar ist und manchmal etwas überfordert. Doch The Mars Volta begeistern trotzdem: Die Gitarrenarbeit von Rodriguez kann an Perfektion kaum überboten werden, die Breaks von Schlagzeugvirtuose Jon Theodore stimmen eins zu eins mit den Gitarrenanschlägen Rodriguez’ überein. Außerdem ist die Produktion gelungen, genauso wie viele melodische Einwürfe von Sänger Cedric Bixler, auch wenn sein Gesang ab und an melodiös überlastet ist, daher gequetscht wirkt und dann wirklich nervt.

Im Großen und Ganzen aber tut das nicht wirklich weh. Und eines unterstreichen The Mars Volta auf ihrem Album eindrucksvoll: Sie sind stil-multipel. Man kann sie in keine Schublade stopfen. Viel zu sperrig sind ihre Songs, zu konfus die Struktur. Sie beim gemütlichen Zimmeraufräumen nebenbei zu hören, kann man glatt vergessen. Immer wieder durchbrechen unerwartete, touretteartige Breaks wie bei »This Apparatus must be Unearthed« zarte Melodien und vertreiben mainstreamlastige Anwandlungen rigoros.

The Mars Volta machen, was sie wollen. Es ist ihnen egal, was von ihnen erwartet wird. Und genau das erwartet man von ihnen: die Erwartungen eben nicht zu erfüllen.

Das gelingt der LP rundum. The Mars Volta docken an den derzeitigen Rock-Trend an, stören ihn aber zugleich auf brutalste Weise. Sie schlagen ihn gewissermaßen mit seinen eigenen Waffen. Eine altbekannte Strategie: Die Macht des Faktischen nicht durch offenen Widerstand zu brechen, sondern sie im Sinne des »Subversive Mimikry« durch »ironische Überidentifikation« zu entwerten. Was durch Dissens nicht gelingen kann, klappt eben dann durch bewusst übertriebene Affirmation des zu Bekämpfenden.

So werden typische Rockklischees à la Pink Floyd wie bei »Roulette Dares (The Haunt of)« aufgesaugt, im folgenden Stück »Tira me a las Aranas« in verdrogten Klangwelten versenkt und bei »Drunkship of lanterns« durch experimentelles Gemetzel förmlich aus dem Sumpf getreten. Eine Taktik, die schon Jean Baudrillard propagierte, als er formulierte, dass man das System nur zerstören könne, wenn man es auf die Spitze treibt.

Das schaffen The Mars Volta. Sie überdehnen den Rockbogen gnadenlos. Mit eigenen Worten gesprochen heißt es dann: »We‘re a Rock‘n Roll Band …that wants to be a salsa band.« Man versuche eben ganz gezielt, standardisierten Rock zu vermeiden, auch wenn man definitiv eine Rockband sei.

Dass sie eine echte Rockband sind, unterstreicht alleine das Musiker- und Produzentenaufgebot. Red-Hot-Chili-Peppers-Bassist Flea zupfte die Saiten und Starproduzent Rick Rubin schob die Regler. Und dass unter der Fuchtel von Universal ein so querulanter und authentischer Rock entstehen konnte, ehrt The Mars Volta.

Trotz des Eigensinnes geben sich die Rocker textlich sensibel. Das Album ist einem alten, verstorbenen Freund namens Julio Venegas gewidmet. Ein Künstler, der sich umbringen wollte, überlebte, dann ins Koma fiel und anschließend starb. Ein Mensch, der für die musikalische Sozialisation von The Mars Volta wichtig war, wie sie sagen. Und das nächste Unglück folgte prompt: Soundmaster Jeremy Ward drückte sich nach der Red-Hot-Chili-Peppers-Tour mit einer Überdosis Heroin in den Tod.

Doch solche Drogensumpfgeschichten werden das Image von The Mars Volta nicht zerstören. Im Gegenteil: Drogenkarrieren wirken immer irgendwie verwerflich und zeugen von authentischem Rock’n-Roller-Dasein. Zudem ein Album, das dem verstorbenen Freund »ein Denkmal« setzen soll; hier sind also einfühlsame Musikanten am Werk, Eigenwille und Emphatie zugleich, eine gekonnte Mischung. So sollen die Männer von heute sein.

Spannend bleibt die Frage, wie es musikalisch weitergeht. Genauso interessant wird es sein, wie sie dann aussehen werden. Denn mit der musikalischen Neuorientierung ging auch eine optische Verwandlung einher. Sänger Cedric Bixler, zu ATD-I-Zeiten einst mit populärem Afro Aushängeschild für die extravagante Hardcore-Schar, hat sich in letzter Zeit mehr oder weniger zuwachsen lassen. Sein Lockenkopf ist zur dauerwellenartigen Hängematte verkommen, das Gesicht muss man hinter dichtem Bartwuchs suchen.

Doch wo immer die Jungs musikalisch wie optisch landen werden, The Mars Volta genießen in der Punk-Hardcore-Szene den Status der Unantastbaren, ähnlich wie die Schmuse-Rock’n-Roller Social Distortion um ihren glatt gegelten Sänger Mike Ness oder wie die gerade neu formierten Turbonegro. Und da tut auch das dicke Geldverdienen keinem wirklich weh. Man muss sein eigenes Ding nur rigoros genug durchziehen.

The Mars Volta: De-Loused in the Comatorium (Motor/Universal)