Draußen auf Kaution

Rap bewährt sich mal sanft im Soul und mal hart im vorzeitigen Gangsta-Revival. von tim stüttgen

Es scheint so, als sei 2003 für Schwarze Musik ein gutes Jahr, in dem viele amerikanische Künstler wieder neue Dinge ausprobieren. Vorgemacht haben es die funkigen Neptunes, der Chicagoer MC Common auf »Phrenology« und The Roots mit ihren stilistisch anspruchsvollen Alben; nun entwickeln sich weitere Szene-Protagonisten weg vom klassischen Rap.

Einer von ihnen ist Dudley Perkins. Aufgewachsen in dem Dorf Oxnard an der amerikanischen Westküste, hatte er ein paar Mitschüler, die HipHop-Geschichte schreiben sollten. Das heute als Underground-Klassiker geltende Debüt des Trios Lootpack erschien vor vier Jahren. Ihr erfrischender Stil erregte Aufsehen, besonders Produzent Madlip kann sich seitdem über fehlende Aufträge nicht mehr beklagen. Seine innovativen Produktionen bescherten ihm zuletzt sogar eine Einladung des Jazz-Labels Blue Note, für das er altes Material remixen sollte. Eine im Rahmen der Geschichte von TripHop nicht gerade originelle Aufgabe, die Madlip jedoch auf smarte Art und Weise löst. »Shades of Blue« ist einfach zu vielschichtig und originell, um in die Unverbindlichkeit vieler »Klassiker im Remix«-Aufnahmen abzugleiten.

18 Monate nach dem Erfolg des Lootpack-Debüts entschied sich ein weiteres Mitglied der Posse, ein eigenes Album zu veröffentlichen: Declaime. Auch er rappte über die Beats des genialen Madlip und machte eine bekiffte, atmosphärisch spannende HipHop-Platte. Zwei Jahre später stellt er »A Lil’ Light« vor, sein erstes Soul-Album. Entstanden ist es nach gewohntem Rezept: »Ich freestylte das Album, alle Texte sind improvisiert.« Dudley Perkins, wie er sich auf diesem Album nennt, ist auch niemand, den man einen großen Soul-Sänger im Sinne Marvin Gayes nennen würde. Wie unter der Dusche leiert er seine Texte nach Lust und Laune herunter, ohne darauf zu achten, ob er immer die richtige Note trifft. Und trotzdem – oder gerade deswegen – funktioniert es. Es ist irgendwie immer noch Rap und ähnelt doch schon dem Gesang. In einfachen Songstrukturen verfasst Perkins Oden an seine gute, alte Mama und den kleinen Sohnemann, beschwört das große Gefühl für den Allmächtigen in »Lord’s Player« und bezieht sich auf den galaktischen Sun Ra mit »Gotta Go«. Dieses Mal hat sich Perkins einfach ein paar alte Beats von der CD des Workaholics ausgesucht, um mit ihnen zu jammen. Unterstützt wurde er dabei nur von ein paar Tontechnikern und massenweise Marihuana, was auf dem Album hörbare Spuren hinterlassen hat. Wie auch die Spex formulierte: »Lang ist es her, das THC so programmatisch zur Inspirationsquelle erklärt wurde wie hier.«

Ein anderer Musiker, der durchs heilige Gras in kreative Höhen aufstieg, ist Ishmael Butler. Als Leader der HipHop-Kultband Digable Planets nahm er schon mal einen Grammy entgegen. Schon immer deutlich musikalischer als der Rest der Szene, von psychedelischem Jazz beeinflusst und ausgestattet mit explizit politischen Texten, gilt das New Yorker Kollektiv heute als legendär. Nach nunmehr acht Jahren meldet sich Butler unter dem Namen Cherrywine zurück und hat mit HipHop nur noch denkbar wenig zu tun. »Bright Black« ist soundästhetisch in den Achtzigern angesiedelt. Elektronische Beats, minimaler Bass und Keyboard-Figuren verbreiten ein kühles Flair, über dem angefunkte Gitarrenlicks und die charismatische Stimme von Butler thronen. Wo bei den Souljams von Dudley Perkins eine spontane, naive Leidenschaft regiert, windet sich die coole Clubmusik von Cherrywine in einem abstrakten Minimalismus. Klischees von Drogen, Gangstern und Parties kommen zwar vor, aber in den Clubsound mischen sich auch skeptische Töne. Cherrywine stellt den Hedonismus der HipHop-Kultur in Frage, ohne explizit zu moralisieren. »Ich springe lieber in andere Charaktere und inszeniere Szenarien, um etwas zu illustrieren. Auf diese Weise wird der Song dreidimensional und ich urteile nicht mehr auf die herkömmlich platte Art und Weise.«

Dabei verzichtet das Projekt vollends auf DJs und Samples. Live ist live. Butler genießt die Erfahrung, Konzerte zu geben und mit seinem Quartett unterwegs zu sein. Auch wenn manch ein Nostalgiker die Mischung aus warmem Jazzflair und afrozentristischer und utopisch-politischer Stellungnahme aus den alten Tagen der Digable Planets vermissen wird: Selten finden sich in der schwarzen Popmusik ambivalentere, vielschichtigere Entwürfe, die über die Idee von »Clubsound« hinausgehen.

Doch natürlich sind Zwittervokalisten zwischen HipHop, Soul und Funkmusik nichts wirklich Neues. Ein Crooner, der es schon immer vorzog, lieber die Hooks von Rap-Platten einzusingen, anstatt typische Solo-Dramen zu veröffentlichen, ist der Westküsten-Hustler Nate Dogg. Als Sohn eines Pastors lernte er seine ersten Gesangslektionen in der Kirche, bevor er mit den Gangsta-Rap-Prominenzen Warren G und Dr. Dre die Gruppe 213 gründete. Wenige Kapitel später war G-Funk das angesagte HipHop-Ding, und Nate Dogg verschönte Klassiker wie Dr. Dres »The Chronic« oder die erste Platte von Snoop Doggy Dogg. Jetzt endlich erscheint »Music & Me«, das gelungene Debütalbum des stämmigen Entertainers. Unterstützt wird er dabei von einer Gästeschar, die prominenter nicht sein könnte. Große Rap-Namen wie Ludacris, Xzibit oder Kurupt unterstützen den Macho, und auch alte Freunde wie Snoop Dogg und Dr. Dre dürfen nicht fehlen. Eine Gästeliste, die für andere unbezahlbar gewesen wäre. Auch wenn Dogg mit gewohntem Größenwahn stereotype Geschichten von Gangstern, Reichtum, der großen Liebe und leicht bekleideten Frauen erzählt, gebärdet er sich im Interview als bescheidener, zurückhaltender Typ. »Das ist doch alles Entertainment. Ein Job. Heute haben die Leute kapiert, dass auch wir schwarzen Ghetto-Jungs etwas Kohle verdienen müssen. In echt bin ich aber alles andere als ein Zuhälter. Ich habe eine Freundin und Kinder, um die ich mich kümmere.« Auch wenn es bemerkenswert ist, dass ein Rap-Star seinen sonst so gehüteten Anspruch auf Authentizität aufgibt und sich als Entertainer outet, der die alten Rollenklischees nur noch performt, macht das seine gewohnt reaktionären Frauenphantasien natürlich nicht besser. Angesichts dieses Vorwurfs fällt Herrn Dogg dann auch nicht mehr ein, als auf seiner Professionalität und dem Unterschied zwischen Leben und Musik zu beharren. Dogg will nicht mehr als eine klassisch gute Show hinlegen. Und das gelingt ihm auch.

Passend zum Erfolg des Eminem-Protegés 50 Cent hat Gangster-Rap jetzt sein erstes Revival, und das altmodische, aber im kommerziellen Rap-Business nie aus der Mode gekommene Player-Format eines Nate Dogg kommt gerade recht. Ohne Interesse an Progression spult Dogg sein Programm runter und schafft genau das, was er will: gelungenen HipHop-Soul mit Pop-Appeal und hohem Unterhaltungswert. Sein vielseitiges Timbre und die Lust an immer neuen Phrasierungen zur zwingenden Melodie trägt einen lässig durch den Sommer.

Die spannenden Hybriditäten von HipHop und Soul sollten aber niemanden dazu verleiten, die alten Helden zu ignorieren. Gerade haben die Isley Brothers »Body Kiss« veröffentlicht. Die altbekannten Vertreter des Schlafzimmersounds haben unter der Schirmherrschafft von Songwriter und Produzent R. Kelly eine weitere Perle in ihrer mittlerweile über fünfzig Jahre langen Karriere auf den Markt geworfen, die einen noch mal schmachtend nachvollziehen lässt, was die HipHop-Jungs vorm Schlafengehen hören.

Dudley Perkins: A Lil’ Light.

(Stones Throw / Grooveattack)

Madlip: A Shade Of Blue. (Blue Note)

Cherrywine: Bright Black. (Dcide / Baby Grande)

Nate Dogg: Music & Me. (Elektra)

Isley Brothers: Body Kiss. (Dreamworks)