Transformation des gut Gemeinten

Die Wehrmachtsausstellung ist angekommen. Und zwar in Peenemünde, wo die Nazis die V2 bauen ließen. Statt den Verbrechen der Deutschen widmen sichdie Ausstellungsmacher inzwischen dem deutschen Opfer. von andreas benl

Die deutsche Reue heißt ... Stalingrad. Kein Vergleichen, kein Verzeihen, nichts wieder gutzumachen. Die Versöhnungsverweigerung des Philosophen Vladimir Jankélévitch.« Diesen Titel sollte ein Vortrag des israelischen Soziologen Natan Sznaider und des Publizisten Günther Jacob aus Hamburg für das Rahmenprogramm der Wehrmachtsausstellung in Peenemünde tragen. Angesichts des restlichen Programms zogen Sznaider und Jacob ihre Zusage jedoch zurück.

Das Programm sei selbst »Teil des von Jankélévitch befürchteten Versöhnungstrends«, schrieben sie in der taz. In Peenemünde stünden »Vorträge über den Holocaust neben Erinnerungen an Stalingrad und Referate über Zwangsarbeit neben Gedenkveranstaltungen für Soldaten und Zivilisten, die bei alliierten Luftangriffen ums Leben kamen«. Angesichts dieser Gleichsetzung von Opfern und Tätern gebe es nichts zu diskutieren.

Tatsächlich ist das Opfer-Täter-Gedenken an einem Ort nazideutscher Waffenproduktion der vorläufige Endpunkt einer Gedenkkultur, die vom Hamburger Institut für Sozialforschung (HIS) in den vergangenen acht Jahren maßgeblich gefördert und mitgestaltet wurde.

Geschichte der Wehrmachtsausstellung

Die 1995 vom HIS erstmals gezeigte Ausstellung »Vernichtungskrieg. Verbrechen der Wehrmacht 1941 bis 1944« entwickelte sich schnell zum Publikumsmagneten und schien die deutsche Gesellschaft zunächst zu spalten. Immerhin wurden dort die aktive Rolle der Wehrmacht im völkisch-antisemitischen Vernichtungskrieg gegen die Sowjetunion und Jugoslawien dargestellt und auf unzähligen von der Roten Armee und den Partisanen beschlagnahmten Schnappschüssen deutscher Landser die »Taten des Jedermann«, wie der Leiter des HIS, Jan-Philipp Reemtsma, sie nannte, dokumentiert und kommentiert.

Die Gestaltung der Ausstellungsfläche in Form eines eisernen Kreuzes konnte als Verweis auf die Kontinuitäten von Wehrmacht und Bundeswehr interpretiert werden. Damit bohrte die Ausstellung in einer nationalen Wunde, die rechte Historiker in den achtziger Jahren vergeblich zu schließen versucht hatten, und erinnerte zum Gram der Konservativen an eine »Vergangenheit, die nicht vergeht«, wie der Historiker Ernst Nolte es formulierte.

Als die Ausstellung Anfang 1997 vom sozialdemokratischen Oberbürgermeister Christian Ude ins Münchner Rathaus geholt wurde, erreichte die Polarisierung ihren vorläufigen Höhepunkt. Der damalige Münchener CSU-Vorsitzende, Peter Gauweiler, initiierte eine schwarz-braune Kampagne gegen den angeblichen Versuch, »die Strafmaßnahmen von Nürnberg gegenüber Deutschland noch zu verschärfen und einen moralischen Vernichtungsfeldzug gegen das deutsche Volk zu führen«. So konnte man es im CSU-Organ Bayernkurier lesen. Schließlich marschierten 5 000 Konservative und Nazis gegen die Wehrmachtsausstellung durch München, denen 10 000 liberale und linke DemonstrantInnen entgegentraten.

Die Sorge der Rechten, dass die Darstellung der Verbrechen der deutschen Volksgemeinschaft ein vernichtendes Urteil über die »deutsche Identität« nach sich ziehen müsse, erwies sich jedoch als falsch. Am 13. März 1997, nur wenige Wochen nach dem Eklat in München, fand im Deutschen Bundestag eine Debatte über die Wehrmachtsausstellung statt, in deren Verlauf sich ein stilbildender deutscher Familiendiskurs entwickelte, an dem sich alle beteiligen konnten.

Die Feststellung Otto Schilys, sein jüdischer Schwiegervater, der als sowjetischer Partisan gegen die Deutschen gekämpft hatte, sei das einzige Familienmitglied gewesen, das »für eine gerechte Sache sein Leben eingesetzt hat«, wurde von den anderen Abgeordneten als Aufforderung verstanden, von ihrer eigenen Nazivergangenheit oder der ihrer Väter zu erzählen. Die grüne Katholikin Christa Nickels wollte den Vorwurf der Nestbeschmutzung nicht auf sich sitzen lassen, nur weil sie dem Auditorium eröffnet hatte, dass »Papa« bei der SS war. Denn ebenso schlimm wie das, »was in Majdanek passiert war«, sei gewesen, »was man mit Männern, zu denen auch mein Vater gehört hat, gemacht hat.«

Im Tausch gegen die Anerkennung der Tatsache, dass es so etwas wie »Verbrechen der Wehrmacht« gegeben habe, sollten auch die Leiden der Täter besprochen werden, »die ungeheuren Strapazen dieses Krieges, nicht nur die physischen, auch die psychischen, etwa der Tod der Kameraden«, wie der Ausstellungsleiter Hannes Heer schrieb.

Vor allem Heer akzeptierte die ihm zugewiesene Rolle als »Therapeut der Republik« (taz) dankbar. Er und andere Mitarbeiter des HIS arbeiteten daran, die einst von dem konservativen Historiker Michael Stürmer beklagte »Schwerhörigkeit zwischen den Generationen« in der Frage des Nationalsozialismus in einen »Dialog der Generationen« zu überführen. Der Preis für die Versöhnung in der deutschen Familie war die Gleichsetzung von Tätern und Opfern als »Zeitzeugen«.

Wichtiger noch als diese nationale Sinnstiftung nach innen war der moralische Mehrwert, den die vermeintlich rückhaltlose Auseinandersetzung mit der Rolle der Wehrmacht im Nationalsozialismus nach außen abwerfen sollte. Der Herausgeber der Zeit, Theo Sommer, schrieb 1997: »Je eindeutiger wir die Vergangenheit annehmen und je offener wir darüber diskutieren, desto selbstverständlicher dürfen wir ein halbes Jahrhundert nach Hitlers Krieg wieder aufrechten Ganges in der Reihe der Völker auftreten. So betrachtet, können uns die Bilder der Wehrmachtsausstellung frei machen.«

Der Versuch, diese Geschichtskonzeption zur Staatsräson zu erheben, konnte jedoch unter einer konservativ-liberalen Bundesregierung nicht funktionieren, der immer noch der Ruch der Verdrängung anhaftete. Schon in der Bundestagsdebatte zur Wehrmachtsausstellung wurde deshalb der Vorwurf des nationalen Verrats von links an die Nationalkonservativen zurückgegeben. Gerald Häfner von den Grünen brachte das nationale Totalversagen der Rechten auf den Punkt, als er die CSU attackierte, die die Nürnberger Prozesse als »Siegerjustiz« bezeichnete, »während wir alle uns gegenwärtig um einen internationalen Strafgerichtshof für das frühere Jugoslawien und Ruanda einsetzen, damit Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen das Völkerrecht, gegen das Menschenrecht in Zukunft endlich abgeurteilt werden können«.

Rot-grüne Geschichtsreform

Hier kündigte sich an, dass auch auf geschichtspolitischer Ebene ein gewaltiger »Reformstau« überwunden werden musste. Diese Aufgabe fiel 1998 der neuen rot-grünen Bundesregierung zu, die die Legitimation der außenpolitischen Machtentfaltung Deutschlands wegen Auschwitz einführte.

Der Publizist Wolfgang Pohrt schrieb anlässlich des so genannten Historikerstreits 1987, dass »noch unverfrorener als die Verharmlosung der Vergangenheit nur der Wille ist, aus einer nicht verharmlosten Vergangenheit nationales Selbstbewußtsein zu schöpfen«. Die von den Rechten »weggefilterten Schmutzpartikel aber waren ein notwendiges Ferment für das nationale Sendungsbewusstsein, welches aus dem Mund jener linken und linksliberalen Bundesdeutschen spricht, die Schuld mit Verantwortung verwechseln (...) und deshalb gern von einer besonderen Verantwortung der Deutschen für Israel, für die Palästinenser, für den Weltfrieden und etliche andere Dinge reden.«

Doch zunächst war es der deutsche Kriegseinsatz gegen Jugoslawien, der die Neuorientierung deutscher Geschichtspolitik evident machte. Musste Helmut Kohl Anfang der neunziger Jahre noch zähneknirschend feststellen, dass man die Bundeswehr nicht ohne weiteres dorthin schicken könne, wo einst die Wehrmacht gewütet hatte, so war der dritte deutsche Angriff auf Serbien im 20. Jahrhundert für die rot-grüne Regierung geradezu ein Paradebeispiel antifaschistischer Wiedergutmachung, um die »Fratze der eigenen Geschichte« (Rudolf Scharping) in Belgrad vergessen zu machen. Auf die Idee, ausgerechnet im jugoslawischen Kriegsgegner eine »serbische Volksgemeinschaft« zu sehen, die Deutschland als Mitglied einer Neo-Anti-Hitler-Koalition bekämpfen müsse, wäre eine christlich-liberale Regierung nie gekommen.

Rot-Grün eroberte die Deutungsmacht über den Vernichtungskrieg der deutschen Volksgemeinschaft. Überlebende Opfer und Kritiker aus dem Ausland mussten sich fortan nach ihren unlauteren Motiven befragen lassen, sofern sie widersprachen.

Zum Entsetzen mancher Antifaschisten taugte auch die Präsentation des deutschen Vernichtungskrieges auf dem Balkan seit 1941 keineswegs als Einspruch gegen den Krieg von 1999. Im Institut für Sozialforschung widersprach niemand, als bei der Ausstellungseröffnung in Köln die damalige Oberbürgermeisterin Renate Canisius (SPD) behauptete, »erstmals« sei auch »unsere Bundeswehr« an dem Versuch beteiligt, »mit Waffengewalt eine Schneise zum Frieden zu schlagen. Lassen Sie uns auch in diesem Geiste des Schutzes der Menschenwürde die heutige Ausstellung betrachten.« Selbstverständlich gehört Canisius vier Jahre später zu den UnterzeichnerInnen des Aufrufs einer Kölner Initiative gegen den Krieg der Amerikaner im Irak.

Die überarbeitete Wehrmachtsausstellung

Angesichts der von Konservativen wohlwollend oder zumindest verblüfft aufgenommenen außen- und geschichtspolitischen Durchbrüche der rot-grünen Regierung schien der Wehrmachtsausstellung von jener Seite keine Gefahr mehr zu drohen. Als jedoch im Oktober 1999 der polnische Historiker Bogdan Musial die korrekte Beschriftung einiger in der Ausstellung gezeigter Bilder bezweifelte (sie dokumentierten angeblich keine Verbrechen der Wehrmacht, sondern des sowjetischen NKWD), wendete sich das Blatt. Die Frankfurter Allgemeine Zeitung und andere Zeitungen unterstützten Musial, der darüber hinaus behauptete, die Ausstellung sei »agitatorisch« und »vorurteilsbeladen.«

Was Naziaufmärsche und deutschnationale Ausfälle nicht vermocht hatten, bewirkten jetzt bürgerliche Medien und ein historischer Expertendiskurs: Im November 1999 verhängte Reemtsma ein Moratorium über die Ausstellung, die erst nach einer Überprüfung durch eine Historikerkommission wieder eröffnet werden sollte. Obwohl die Kommission die Ausstellungsmacher vom Vorwurf der bewussten Fälschung freisprach, entschied sich Reemtsma für die Erstellung einer völlig neuen Ausstellung.

Die neue Konzeption, die das HIS schließlich im November 2000 präsentierte, stellte jedoch keine Rückkehr zum klassischen totalitarismustheoretischen deutschen Geschichtsrevisionismus dar, sondern eine Frontbegradigung. In einer Pressemitteilung zur Ausstellung in Peenemünde zitiert das HIS den Hamburger Politikwissenschaftler Peter Reichel: »Die vorherige Ausstellung polemisierte, emotionalisierte und polarisierte. Die neue Ausstellung versachlicht, differenziert und kontextualisiert den Blick auf Wehrmacht und Weltkrieg.«

Schon der neue Titel: »Verbrechen der Wehrmacht. Dimensionen des Vernichtungskrieges 1941–1944« zeigt die Verschiebung der Akzente. Aus dem Untertitel sind die »Verbrechen« an den Anfang gerückt und werden mit »dem damals geltenden Kriegs- und Völkerrecht« kontrastiert. Nicht mehr der durchaus polemische Verweis auf die Einmaligkeit des Vernichtungskrieges gegen den »jüdischen Bolschewismus« steht im Vordergrund, sondern die Abweichung von der »damals geltenden« juristischen Norm, die selbstverständlich auch andere zu verschiedenen Zeiten an unterschiedlichen Orten verletzt haben.

Damit wurde die Ausstellung zum historisch-didaktischen Pendant jener besonders von Deutschland betriebenen Universalisierung des Nürnberger Gerichtshofs, die sowohl im Krieg gegen Jugoslawien wie im Frieden gegen die USA zum Einsatz kommt und deren Verhinderung der Grüne Gerald Häfner einst den Nationalkonservativen vorwarf.

Bereits die Ursprungsausstellung war 1995 unter dem Titel »Gewalt und Destruktivität im Spiegel des Jahres 1945« in den Rahmen einer anthropologisierenden Totalitarismustheorie gestellt worden, der sich jedoch als zu steril für eine deutsche Debatte um die nationale Identität erwies. Schlossen die Stichworte »Auschwitz«, »Gulag« und »Hiroshima« die deutschen »Gewaltopfer«, wenn überhaupt, doch nur am Rande ein.

Gedenken in Peenemünde

Die Gedenkspektakel in der Nazi-Raketenschmiede Peenemünde auf Usedom versprechen nun wesentlich mehr. 300 000 Besucher pilgern jährlich zu der »V2-Gedenkstätte« (Schweriner Volkszeitung) im Historisch-Technischen Informationszentrum (HTI) Peenemünde, um dort die Leistungen deutscher Ingenieurskunst zu bestaunen. 1992 musste die geplante Feier des 50jährigen Jubiläums des Starts der ersten V2-Rakete wegen internationaler Proteste abgesagt werden. Seitdem wurde die apologetische Musealisierung der »Wiege der Raumfahrt« durch einige Verweise auf die 20 000 KZ- und Zwangsarbeiter, die für die Produktion der Raketen sterben mussten, und die 5 000 vor allem britischen Bombenopfer ergänzt.

Das HIS hält die Präsentation der Wehrmachtsausstellung in diesem Ambiente nach Auskunft seiner Pressesprecherin Regine Klose-Wolf für »die optimale Entscheidung«. Auch die Kulturveranstaltungen des Rahmenprogramms scheinen keine Bauchschmerzen zu bereiten: »Stalingrad – Erzählen aus dem Kessel«, »Erinnern an Bombenkrieg und Vertreibung« und schließlich das »Glockenläuten« mit einer »Andacht zum Bombenangriff« am 18. August stellen offensichtlich den neuesten Stand deutschen Gedenkens dar. Schließlich ließe sich nicht verhindern, »dass der Nationalsozialismus nun langsam historisiert werde« und damit »Frageverbote« über die Leiden der Deutschen entfielen, sagte Peter Klein als Ausstellungsverantwortlicher für das HIS.

Zwar kommt es in Ostdeutschland durchaus vor, dass Nazis und Vertreter der Zivilgesellschaft am »Volkstrauertag« gemeinsam Kränze abwerfen; der Veranstaltungskalender der »Pommerschen Aktionsfront« unter dem Motto »Opa war in Ordnung« ist jedoch nicht als Ergänzung des Rahmenprogramms gedacht, sondern richtet sich gegen »Reemtsmas Schandausstellung in Peenemünde«.

Wöchentliche Infostände und mehrere Nazidemos sollen die Ausstellung begleiten. Sehr zum Unverständnis des HIS, das in seiner Presseerklärung davon spricht, dass der »Reduktionismus« der ersten Wehrmachtsausstellung »zugunsten einer Komplexität der Dokumentation aufgegeben worden sei. Sie eigne sich daher auch nicht mehr als Zielscheibe gewalttätiger Rechtsextremisten und berühre keine nationalkonservativen Empfindlichkeiten.«

Was die Nazis immer noch zu Sozialfällen der Gedenkkultur macht, ist ihre strikte Ablehnung der »abstrakten Schuldanerkenntnis«, wie Sznaider und Jacob es nennen, die das unabdingbare Unterpfand für den deutschen Opferkult ist. Diese Verstocktheit hat ihren Preis. Denn was ist schon die nazistische Schmähung der »angloamerikanischen Luftgangster« (Joseph Goebbels) gegen die Rede des Historikers Jörg Friedrich von den »Einsatzgruppen« des Bomber Command, die deutsche Luftschutzkeller in »Gaskammern« und »Krematorien« verwandelt hätten; eine Rede, die man nicht führen kann, wenn man behauptet, es habe Gaskammern gar nicht gegeben.

Mit einem »Kombi-Ticket« können die BesucherInnen auf Usedom nun zuerst die V2 als Vorläufer einer »europäischen Verteidigungsidentität« bewundern, um dann in der Wehrmachtsausstellung über einen verlorenen Krieg zu meditieren, der, wie der CDU-Politiker Alfred Dregger schon 1985 feststellte, angesichts materieller Unterlegenheit »ebenso dumm wie verbrecherisch« war. Die deutsche Reue heißt Stalingrad.