»Für den Sinn unserer Arbeit!«

Ein Papier aus Frankreich bereichert die Debatte über die prekär Beschäftigten im Kulturbereich – und darüber hinaus. eine dokumentation

In Frankreich geht der Streik der prekär beschäftigten Kulturarbeiter, der Intermittents du spectacle, weiter. Sie wehren sich gegen das Protokoll Unedic (Arbeitslosenversicherung) vom 26. Juni 2003, das von drei Gewerkschaften und den Unternehmern unterzeichnet wurde. Damit werden die bisherigen Rechte der Intermittents auf Arbeitslosenunterstützung eingeschränkt (vgl. Jungle World, 26 und 32/03): Sie müssen nunmehr in zehn bzw. zehneinhalb Monaten (statt bislang zwölf) 507 Stunden Arbeit nachweisen, um acht statt bislang zwölf Monate lang Unterstützung zu bekommen. Das in Frankreich installierte Modell der so genannten kulturellen Ausnahme wird damit in Frage gestellt.

Mit spektakulären Besetzungs- und Streikaktionen haben die Intermittents den ganzen Sommer lang Widerstand gegen diese Zumutungen geleistet. Sie haben lokale Koordinationen organisiert, die landesweit vernetzt sind. Und sie thematisieren die Frage der prekären Arbeit über den kulturellen Sektor hinaus.

Die Koordination der Intermittents und Prekären Île de France legt nun eine Analyse dieses Protokolls Unedic vor und stellt ihre Vorschläge für die politische Orientierung der Streikenden zur Diskussion.

Diese Vorschläge oszillieren zwischen Interessenverteidigung der Intermittents, Ausweitung der Sonderregelungen auf andere prekär Beschäftigte und zaghafter Kritik der (künstlerischen) Arbeit.

Aus dem Abwehrkampf gegen die Bemühungen, immer mehr Menschen aus dem System der sozialen Sicherung zu drängen, entsteht bei ihnen die Perspektive einer freien Arbeit im Kulturbetrieb.

Wir dokumentieren das Papier nur unwesentlich gekürzt. Es erschien unter dem Titel »Quels droits pour les salariés à l’emploi discontinu?« (Welche Rechte für die Lohnabhängigen mit diskontinuierlicher Beschäftigung?). Die Redaktion.

Wir sind Darsteller, Interpreten, Techniker. Wir beteiligen uns an der Produktion von Theaterstücken, Tanz- und Zirkusschauspielen, Konzerten, Schallplatten, Dokumentar- und Spielfilmen, Fernsehshows, Reality-TV, Abendnachrichten und der Werbung, die das alles umgibt. Wir stehen vor und hinter der Kamera, auf der Bühne und in den Kulissen, wir sind auf der Straße, in den Klassenzimmern, den Gefängnissen, den Krankenhäusern. Die Strukturen, in denen wir beschäftigt sind, reichen von Non-Profit-Projekten bis zu börsennotierten Unterhaltungskonzernen.

Als Beteiligte sowohl an der Kunst wie auch an der Industrie sind wir einer doppelten Flexibilität unterworfen: flexible Arbeitszeit und flexible Entlohnung.

Die Regelung zur Versicherung und zur Arbeitslosigkeit (der Intermittents du spectacle) ist ursprünglich aus dem Bedürfnis entstanden, ein kontinuierliches Einkommen zu sichern, das die Diskontinuität von Beschäftigungsverhältnissen abfedert. Die Regelung ermöglicht es, die Produktion flexibel zu gestalten und die Mobilität der Lohnabhängigen zwischen verschiedenen Projekten, Sektoren und Beschäftigungen sicherzustellen.

Wir haben das Protokoll, das die Regelung reformieren soll, aufmerksam gelesen, und die Konsequenzen abgeschätzt, die aus der Verschärfung der Zugangsbedingungen zur Unedic (Arbeitslosenversicherung) resultieren. Auf der Basis der Zahlen der Unedic sind wir zu dem Schluss gekommen, dass 35 Prozent der gegenwärtigen Leistungsempfänger künftig von den Leistungen ausgeschlossen werden. (…)

Aber vor allem haben wir ein beunruhigendes Paradox aufgezeigt: Das Protokoll verschont nur eine Kategorie von Lohnabhängigen, nämlich die Gruppe mit regelmäßigen Verträgen übers Jahr. Die bisherige Anwendung der Regelungen (Annex 8 und 10) war manchmal zweideutig: Das neue Protokoll sorgt für eine Klärung, indem es ihre wesentliche Funktion zerstört. Ursprünglich sollte es darum gehen, in Bereichen, in denen die Profitlogik nicht an erster Stelle steht, eine Kontinuität des Einkommens zu sichern. Nunmehr werden allein die rentabelsten Unternehmen – insbesondere die der audiovisuellen Industrie – weiterhin aus Arbeitskräften Profit ziehen, die mehr als je zuvor gezwungen sind, den »Inhalt« und die Arbeitsbedingungen der vorgeschlagenen Beschäftigungen zu akzeptieren.

Dabei würden einzig die kollektiven sozialen Rechte Folgendes garantieren: die Freiheit der Personen, die Kontinuität der Arbeit auch außerhalb der Beschäftigungsperioden, die Realisierung auch der unwahrscheinlichsten Projekte, die Diversität und die Innovation. Mit der Zustimmung zu dem Protokoll hat die Regierung die Entscheidung getroffen, die notwendige »Investition« in die Freiheit der Kunst abzuschaffen. Das von ihr vorgeschlagene Ausgleichssystem, eine Mischung aus Mäzenatentum und gnädig gewährten Subventionen, wird das niemals ersetzen können. Als Angriff auf die kollektiven Rechte führt diese »Reform« eine bestimmte Idee der kulturellen Ausnahme ein: eine Vitrinenkunst mit ihren besonders geförderten Vorzeigeprojekten einerseits und eine Industrie standardisierter Kultur andererseits, die auf dem Weltmarkt konkurrenzfähig ist.

Dynamik, Erfindungsreichtum und Kühnheit, welche die (künstlerische) Beschäftigung charakterisieren, beruhen aber auf der gewollten und durch die interprofessionelle Solidarität erkämpften Unabhängigkeit und dem Erhalt annehmbarer Existenzbedingungen.

Zahlreiche prekär beschäftigte Kulturarbeiter kennen die Missbräuche, aber auch und vor allem die Ungleichbehandlungen des gegenwärtigen Systems und halten eine Reform für wünschenswert. Die Zahlen der Unedic werden weiter auf undurchsichtige und höchst parteiliche Weise präsentiert, die aus Missbräuchen herrührenden Verluste werden nicht ermittelt. Grundlegender noch: In dieser strikt buchhalterischen Sichtweise ist die Beschäftigung die einzige Berechnungsgrundlage; es wird nur ausgezahlt, was dem Volumen der abgeführten Sozialabgaben entspricht. Der darüber hinausgehende Teil des gesellschaftlich produzierten Reichtums wird nicht berücksichtigt.

Als Prinzipien einer neuen Reform haben wir hingegen definiert: die Besonderheit unserer Berufspraktiken muss geachtet werden, und wir lehnen es ab, dass die Zahl der Leistungsempfänger als Anpassungsvariable benutzt wird.

Gemäß dieser Prinzipien haben wir Vorschläge ausgearbeitet, die eine künftige Regelung mit der Praxis in Übereinstimmung bringt:

(Verzichtet man auf die Details der komplexen Regelungen, geht es im Kern um Folgendes: Ausweitung der Zugangskriterien für Arbeitslosenunterstützung, Versicherung auf Gegenseitigkeit; Neuverteilung der Rechte unter den Leistungsempfängern, insbesondere durch Schaffung einer Ober- und Untergrenze für kumulierte Einkünfte aus Lohn und Entschädigungsleistungen, Anm. der Red.)

Diese Forderungen sollten nicht mit einem Kampf um Privilegien verwechselt werden: Flexibilität und Mobilität, die sich tendenziell verallgemeinern, müssen nicht notwendig Prekarität und Elend mit sich bringen.

Ist es nicht symptomatisch, dass in das, was ein Modell für andere Kategorien von Prekären sein könnte, systematisch eine Bresche geschlagen werden soll? Die Ausarbeitung eines auf der Realität unserer Praktiken basierenden Arbeitslosenversicherungsmodells ist eine offene (Diskussions-) Grundlage für alle Formen der Wiederaneignung, der Verbreitung und Ausweitung des Kampfes auf andere Bereiche.

Dieser Konflikt hat bei uns zu einer vertieften Reflexion über unsere Berufe geführt. In einer Epoche, in der die Verwertung der Arbeit mehr und mehr darauf beruht, dass die Individuen sich mit all ihren subjektiven Ressourcen in ihre Beschäftigung einbringen, und in welcher der dieser Subjektivität zugestandene Raum immer mehr eingeschränkt und formatiert wird, stellt dieser Kampf einen Akt des Widerstands dar: Es geht darum, dass wir uns den Sinn unserer Arbeit auf persönlicher und kollektiver Ebene wieder aneignen.

koordination der intermittents und prekären île de france