Globale Vertriebene

Seite an Seite mit der Regierung kämpft die Gesellschaft für bedrohte Völker für Frieden und Vertriebene. von jörg kronauer

Neurechts bis völkisch?« Tilman Zülch, der Generalsekretär der Gesellschaft für bedrohte Völker, bleibt gelassen. »Das ist skurril«, meint der 64jährige Gründer der zweitgrößten deutschen Menschenrechtsorganisation zu dem Vorwurf, den Antifaschistinnen und Antifaschisten immer wieder an ihn und seine Organisation richten. Viele Konservative hielten ihn für einen Linken, fährt der Menschenrechtsaktivist fort, ein Sozialdemokrat habe ihn einmal gar verdächtigt, Kommunist zu sein. Nun plötzlich »neurechts bis völkisch«?

Die Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV) ist keine gewöhnliche Menschenrechtsorganisation. Nicht Einzelschicksale seien das Zentrum ihrer Aktivitäten, erklärt die Pressesprecherin des gemeinnützigen Vereins den Unterschied: »Wir wollen ethnischen und religiösen Minderheiten als Gruppen zu Hilfe kommen.« Das ist der Punkt, um den sich bei der Organisation aus Göttingen alles dreht: Das ethnische, völkische Kollektiv, dessen Rechte gestärkt werden sollen. Andere Menschenrechtsorganisationen stellen dagegen das Individuum in den Mittelpunkt, unabhängig von seiner biologischen Abstammung.

Nach ihrer Satzung kämpft die GfbV »gegen jeden Versuch, ein Volk, seine Sicherheit, sein Leben, sein Recht auf Eigentum und Entwicklung, Religion sowie seine sprachliche und kulturelle Identität zu zerstören«. Die Rede vom »Volk« als eigenständigem Wesen, das über ein eigenes Leben verfüge, eine eigene Identität sowie eigene Rechte beanspruchen dürfe, gehört zum Kernbestand völkischer Ideologie. In der GfbV wird sie teilweise in drastischer Form vertreten. So wirft die GfbV Südtirol der französischen Regierung »fortgesetzten Ethnozid« vor, weil sie die Dialekte regionaler Minderheiten nicht ausreichend fördere.

Unter dem Vorwand des Einsatzes für die Menschenrechte lässt sich völkisches Denken unauffällig transportieren. So unauffällig, dass die GfbV im März den Göttinger Friedenspreis erhielt. Dabei hat die europaweite Renaissance völkischen Denkens in den vergangenen 15 Jahren den Frieden nun wirklich nicht gefördert. Dass die GfbV jahrelang den Nato-Militäreinsatz im ehemaligen Jugoslawien propagandistisch vorbereitete, spielte für die Jury offenbar keine Rolle; wichtiger waren vielleicht ihre guten Kontakte zur Bundesregierung.

»Ich habe die Laudatio sehr gerne übernommen, weil ich die Gesellschaft für bedrohte Völker für eine außerordentlich wichtige Organisation halte«, erklärte die Parlamentarische Staatssekretärin im Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ), Uschi Eid (Grüne), bei der Preisverleihung.

Das Lob war ernst gemeint. Menschenrechte gehören zum Arsenal der deutschen Außen- und Machtpolitik. Sie ermöglichen es, sich in die inneren Angelegenheiten fremder Staaten einzumischen, dienen dazu, missliebige Regierungen unter Druck zu setzen, und helfen im schlimmsten Fall – siehe Jugoslawien – bei der Legitimation eines Krieges. Menschenrechtsorganisationen, die im Ausland tätig sind, bieten sich da als Lieferantinnen von Beweismaterial an.

Die GfbV erfüllt diese Rolle durchaus. »Wir arbeiten immer wieder mit der Bundesregierung zusammen«, erklärt ihre Pressesprecherin und verweist auf »Beratungsgespräche« in Berlin. Dem Forum Menschenrechte, das sich zweimal jährlich zum »Gedankenaustausch« mit dem Außenminister trifft, gehört die GfbV an, sie rühmt sich eines guten Verhältnisses zur Vorsitzenden des Bundestags-Menschenrechtsausschusses, Christa Nickels (Grüne) und zur Entwicklungsministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul (SPD). In Joseph Fischers Kritik an der Menschenrechtslage in der Volksrepublik China erkennt die Göttinger Zentrale auch die eigene Vorarbeit wieder. Regierungsgegnerinnen und -gegner sehen darin jedoch ein Druckmittel des Außenministeriums gegen den potenziellen Weltmachtkonkurrenten aus Asien.

Mit Asien wird sich die GfbV wohl zunehmend beschäftigen müssen – jedenfalls erwartet dies das Auswärtige Amt. Als der damalige Staatsminister im Außenministerium, Ludger Volmer (Grüne), vor zahlreichen deutschen Nichtregierungsorganisationen am 25. Juni 2002 das neue Asien-Konzept der Bundesregierung vorstellte, stand auch ein Vertreter der GfbV auf der Teilnehmerliste. Zu dem Konzept, das sich an der Neuordnungspolitik auf dem Balkan orientiert, erklärte Volmer: »Dabei kommt Ihnen, den Vertretern der Nichtregierungsorganisationen, eine ganz besondere Stellung zu!« Die GfbV dürfte zufrieden sein.

Zufrieden ist sie, so ist aus Göttingen zu erfahren, auch mit den Plänen für ein Zentrum gegen Vertreibungen. »In der Weltgeschichte ist die Vertreibung der Deutschen aus Osteuropa 1945 bis 1948 der schwerste Fall«, behauptete 1998 der damalige stellvertretende politische Leiter der GfbV, Andreas Selmeci. Kurz darauf forderte er in der nationalrevolutionären Zeitschrift wir selbst: »Vertreibung nicht länger dulden!«

Tilman Zülch beschwerte sich zur selben Zeit, das »Tribunal der Siegermächte« habe »Vertreibungsverbrechen an den Ost- und Sudetendeutschen« nicht verurteilt. Vor zwei Jahren forderte die GfbV-Generalversammlung die Bundesregierung auf, »auf europäischer und internationaler Ebene politische Schritte (zu) unternehmen, damit (…) sämtliche Gesetze und Verordnungen, durch welche die Vertreibung der Deutschen nach dem 2. Weltkrieg angeordnet bzw. nachträglich legalisiert wurde, von den heutigen EU-Beitrittskandidaten im östlichen Mitteleuropa als historisches Unrecht anerkannt und aufgehoben werden«.

Während die GfbV auch mit einem Zentrum gegen Vertreibungen in Wroclaw einverstanden wäre, wie es etwa Günter Grass fordert, gehört Zülch seit drei Jahren zu den offiziellen Förderern eines Berliner Zentrums. Er hat inzwischen neben dem Bundesverdienstkreuz am Bande zwei hohe Auszeichnungen von Vertriebenenverbänden erhalten, ein strategisches Bündnis mit dem BdV scheint sich abzuzeichnen. Zülch sei »so etwas wie ein globalisierter Heimatvertriebener«, meint der Vorsitzende der Sudetendeutschen Landsmannschaft Bernd Posselt liebevoll.

Die GfbV – neurechts bis völkisch? »Wer Menschenrechtsarbeit ernst nimmt, muss sich damit abfinden, dass er heute von links und morgen von rechts angefeindet wird«, erklärt Zülch. Morgen von rechts? Das wäre erstaunlich.

»Zülch gehört zu denjenigen Menschenrechtsaktivisten, die ihren Prinzipien über Jahrzehnte treu geblieben sind und die Dinge klar und offen beim Namen nennen«, schreibt der alternde Nationalrevolutionär Werner Olles anerkennend in der Jungen Freiheit. Die völkische Politik der Göttinger Menschenrechtsorganisation, die für ethnische Kollektive kämpft, sagt ihm zu.