Im Alleingang sind wir stark

Die deutsche Friedenspolitik ist ebenso ein Teil des innerimperialistischen Konkurrenzverhältnisses wie die Kriegspolitik der US-Regierung. von werner rätz

In der Öffentlichkeit hat sich alles auf die Frage reduziert, wann sich der US-Präsident George W. Bush und der deutsche Bundeskanzler Gerhard Schröder wieder treffen. Als ob den Vertretern der mächtigsten Länder der Welt eine Alternative dazu bliebe, gelegentlich ihre Politik abzusprechen. Den öffentlichen Aufwand um diesen Vorgang könnte man also getrost ignorieren.

Aber auch in der Friedensbewegung und der Linken scheint die Beschäftigung mit dem Verhältnis zwischen Deutschland, Europa und den USA nebensächlich zu bleiben. Sie hatte schon vor und während des Irakkrieges keine herausragende Rolle gespielt. Heute scheint sie endgültig wieder bei einigen Spezialisten abgelegt zu sein. Das war und ist problematisch, behindert es doch die Einsicht in mancherlei Interessen, Wünsche, Absichten verschiedenster Akteure.

Seit Beginn des Irakkonflikts kritisierte die Friedensbewegung fast einhellig die »unilateralistische« Politik der USA. Ihre Missachtung internationalen Rechts gefährde die internationalen Beziehungen, indem sie zur Nachahmung einlade. Eine gewaltsame Durchsetzung der Interessen durch den jeweils Stärkeren führe zu einer Brutalisierung und Militarisierung zwischenstaatlicher Verhältnisse. Die Friedensbewegung befand sich mit dieser Kritik in merkwürdiger Übereinstimmung mit der »Weltgemeinschaft«, der eigenen und mancher anderen Regierung.

Das ist zwar noch kein Beweis für eine falsche Position – schließlich kann man ja aus unterschiedlichen Gründen zum gleichen Ergebnis gelangen. Doch leider wurde die Frage nach den Begründungen und Motiven der Regierungen, die gegen den Krieg agierten, kaum gestellt. Damit blieb ein großer Teil der Bewegung unfähig, über eine Kritik hinauszukommen, die etwa der deutschen Regierung vorwarf, ihre Kriegsgegnerschaft lediglich öffentlich vorzugeben, aber nicht wirklich und konsequent zu praktizieren. So zutreffend dieser Vorwurf auch war, so wenig wurde damit einsichtig, warum sie auf diese Weise agierte.

Damit blieb der von Regierungsseite gewollte Eindruck bestehen, Deutschland sei gegen Krieg als Mittel internationaler Politik, zögerlich zwar, aber immerhin. Nebenbei bemerkt war dieser Eindruck in der europäischen Friedensbewegung weiter verbreitet als in Deutschland selbst. Nicht selten kam von dort die Aufforderung, dass die Friedensbewegung endlich die Regierung von Bundeskanzler Schröder deutlicher unterstützen solle.

Gleichzeitig gab es eine strukturell ähnliche Verkürzung in der Betrachtung der Motive der US-Regierung für den Krieg. Völlig richtig wurde auf die neue Militärstrategie der USA verwiesen, die Krieg als alltägliches, ja fast bevorzugtes Mittel der Politik definiert. Es trifft zweifellos zu, dass die USA ihre Interessen heute vor allem durch militärische Überlegenheit zu wahren versuchen. Sogar Henry Kissinger, sicher keineswegs ein Friedensfreund, verweist auf die geradezu revolutionären Auswirkungen der neuen Doktrin, Staaten schon anzugreifen, bevor sie eine Gefahr darstellen können. Dies stellt seiner Meinung nach »das gesamte System des Westfälischen Friedens von 1648 infrage«. Warum verändern die USA die Grundlagen der internationalen Beziehungen derart radikal?

Die Antwort mancher traditioneller Linker, es gehe um Öl und das große Geschäft, vermag nicht zu überzeugen. Natürlich spielt die strategische Kontrolle der großen Ölvorräte eine wichtige Rolle. Aber es gab genügend Möglichkeiten, die so ausgerichteten Interessen der USA zu realisieren, ohne derart weit reichende Konsequenzen zu riskieren. Eine Mischung aus militärischer Drohung, verschärftem politischen Druck und begrenztem Gewalteinsatz wäre sicher sowohl mit den Verbündeten als auch mit der internationalen Gemeinschaft machbar gewesen. Die Bush-Regierung wählte aber den Krieg.

Der Hinweis, dass sich vor allem die Rüstungskonzerne gute Geschäfte mit dem Krieg versprachen, greift ebenso zu kurz. Die Möglichkeit, die entsprechenden Konzerne mit lukrativen Aufträgen zu versorgen, bietet sich auch beim neuen Weltraum- und vielen anderen Rüstungsprogrammen.

Ebenfalls unbefriedigend ist die häufig formulierte These, die Bush-Administration überschaue gar nicht die Konsequenzen ihres Handelns. Auch wenn manche Abläufe in Irak dafür sprechen, dass oft stümperhaft gearbeitet wurde, ist doch klar, dass im Weißen Haus erfahrene Personen sitzen, die genau wissen, was sie wollen. Mir scheint, dass sich in dem entsprechenden Argument viel eher ein tiefes Ressentiment gegen angeblich »kultur- und traditionslose US-Amerikaner« verbirgt als eine vernünftige Annahme.

Ich gehe also davon aus, dass auf beiden Seiten Regierungen agierten, die wussten, was sie taten, und taten, was sie so auch wollten. Und das war in etwa und unzulässig verkürzt folgendes: Unter Führung der USA wurde mit (eigentlich überflüssigen) militärischen Mitteln allen denkbaren unbotmäßigen Regierungen der Welt gezeigt, was sein kann, wenn »wir« nur wollen.

Dies geschah auf der faktischen Ebene in enger Zusammenarbeit auch mit jenen Regierungen, die gegen den Krieg waren. Schließlich hatten selbst die heutigen Kriegsgegner und Freunde der Uno im Jugoslawien-Konflikt das Völkerrecht und das Uno-System als veraltet und völlig ineffektiv verhöhnt – damals galt es als ungeeignet zum Schutz der Menschenrechte, heute als unfähig zum Schutz vor dem Terror. Aber während man damals eine gemeinsame Inszenierung ablieferte (auch wenn hinter den Kulissen heftig Ränke gesponnen wurden), so wählte man diesmal die umgekehrte Aufstellung mit verborgenem Konsens und öffentlichem Theaterdonner.

In beiden Fällen ging es um die grundsätzliche Definition von internationaler Macht und die konkrete Gestaltung ihrer Verhältnisse. In beiden Inszenierungen hat die Bundesregierung eine wesentliche Rolle gespielt. Die Entwicklung der internationalen Beziehungen von 1945 bis 1990 lässt sich als langsame Rückkehr des besiegten Deutschland zur internationalen Macht beschreiben. Dies geschah zwar in einem engen Bündnis mit seinen vormaligen kapitalistischen Kriegsgegnern, aber unaufhaltsam und auf deren Kosten. Diese Entwicklung wurde nur möglich, weil die alten und neuen Verbündeten über drei wesentliche Kontrollelemente verfügten, die sie der BRD unter keinen Umständen erlassen wollten: die europäische Integration, eine klare Absage an Atomwaffen und eine enge Beschränkung der militärischen Rolle Deutschlands.

Spätestens seit Anfang der neunziger Jahre arbeitete das vereinigte Deutschland zielgerichtet an der Durchbrechung der militärischen Restriktion und kehrte auf die Schlachtfelder der Welt zurück. Trotz dieser konsequenten Entwicklung und obwohl Deutschland einige große Erfolge dabei erzielte, vergrößerte sich der Abstand zu den militärischen Kapazitäten der USA in einem solchen Maße, dass auch die europäischen Verbündeten davon betroffen waren. Während des Krieges gegen Jugoslawien und im Kosovo ging es der Bundesregierung noch darum, militärische Einsätze der Bundeswehr international wieder salonfähig zu machen.

Dafür nahm man in Berlin auch in Kauf, dass die USA auf dem Balkan eine dominierende Rolle spielten. Tatsächlich unternahm die Bundesregierung alles, um den Einfluss der USA nicht zu groß werden zu lassen.

Augenblicklich ist das Bedürfnis der Bundesregierung nicht vorrangig auf die Eröffnung neuer militärischer Aktionsfelder ausgerichtet. So ergriff Schröder die Chance, im Wahlkampf schon mal zu üben, wie man sich als Friedenskraft präsentiert. Und siehe da, es wirkte. Nein, nicht nur aus innenpolitischen Motiven – diese Hilfe für den laufenden Bundestagswahlkampf war zwar willkommen, spielte aber nach dem Wahltag keine Rolle mehr. Frankreich, Russland, China – die halbe Weltgemeinschaft hörte aufmerksam den neuen Tönen aus Berlin zu. Macht- und Interessenpolitik ließen sich als Friedenspolitik verkaufen, Großmachtansprüche wurden gestärkt, indem man den Verzicht auf Alleingänge forderte. Ohnehin konnte Deutschland kein Interesse an der weiteren Stärkung des Militärischen bei der Bestimmung internationaler Macht haben, nun bot sich obendrein die Chance, dieses Element vielleicht sogar ein wenig zurückzudrängen. Schröders Friedenspolitik ist ebenso ein Teil des innerimperialistischen Konkurrenzverhältnisses wie die Kriegspolitik der Bush-Regierung. Jeder setzt auf das, was er am besten kann oder am meisten hat.

Dabei wird das gemeinsame Interesse an der imperialen Beherrschung der Welt nicht in Frage gestellt. Die Zusammenarbeit in der Nato oder mit Großbritannien in der EU läuft weiter. Dabei geht es nicht nur um die transatlantische Konkurrenz, sondern auch um die europäische. Und das heißt nicht, dass Deutschland kein Augenmerk auf das Militär mehr legen würde: Der Aufbau sowohl der Nato- wie auch der europäischen Interventionskräfte wird verstärkt betrieben. In seiner Rede zur Ankündigung der Agenda 2010 am 14. März hat Bundeskanzler Schröder deutlich gemacht, dass er der internationalen Handlungsfähigkeit Deutschlands höchste Priorität beimisst und der soziale Kahlschlag auch zu deren Sicherung durchgeführt wird. In beidem unterscheidet er sich in nichts von der Regierung der USA.

Wer also die USA einer militaristischen, imperialistischen Politik anklagt, hat Recht. Wer es dabei unterlässt, Deutschland und Europa Gleiches vorzuwerfen, hat etwas nicht verstanden oder steht auf deren Seite.