Mir san mir

Am liebsten hätten die Bayern ihren König zurück. Zur Not tut es auch die CSU, die bei der Landtagswahl auf eine Zwei-Drittel-Mehrheit hoffen darf. von thies marsen

Über 45 Jahre ist es her, dass mit Wilhelm Hoegner in Bayern ein Ministerpräsident regierte, der kein Parteibuch der Christlich-Sozialen Union (CSU) sein Eigen nannte. Doch Hoegners Koalition aus SPD, FDP, dem Bund der Heimatvertriebenen und der Bayernpartei (BP) zerbrach, weil die BP sich zu Geheimverhandlungen mit der CSU im Hinblick auf einen Frontenwechsel verleiten ließ. So wie die Bayernpartei die Viererkoalition verraten hatte, verriet die CSU schließlich die Bayernpartei.

Heute ist die BP eine unter vielen Splitterparteien, die CSU regiert seit Jahrzehnten allein. Und derzeit spricht nichts dafür, dass sich daran in den nächsten Jahrzehnten irgendetwas ändern wird. Im Gegenteil, zehn Tage vor der bayerischen Landtagswahl am 21. September scheint eine Zwei-Drittel-Mehrheit möglich zu sein.

Ministerpräsident Edmund Stoiber kann Umfragen zufolge darauf hoffen, das Rekordergebnis von Alfons Goppel zu übertreffen, der im Jahr 1974 für die CSU 62,1 Prozent holte. Dabei würde schon ein Stimmenanteil von knapp über 60 Prozent für die Zwei-Drittel-Mehrheit im Landtag reichen. Zumindest wenn keine der kleinen Parteien die Fünf-Prozent-Hürde schafft, aber ihr Stimmenanteil insgesamt bei rund zehn Prozent liegt. Glaubt man den Prognosen, werden tatsächlich sowohl die Freien Wähler als auch ÖDP, BP, FDP und die Republikaner mehr oder weniger knapp scheitern.

Dann droht die ohnehin schon enorme Machtfülle der bayerischen Staatspartei eine neue Qualität zu erhalten: Wenn es die CSU auf über zwei Drittel der Sitze im Maximilianeum schafft, dürfte sie nicht nur alleine über die Immunität von Ministern und Abgeordneten entscheiden, sie könnte auch den Datenschutzbeauftragten und den Rechnungshofpräsidenten abberufen und sogar die bayerische Verfassung ändern. Für eine Verfassungsänderung müsste allerdings anschließend noch eine Volksabstimmung stattfinden.

Die Gründe für die immer noch wachsende Popularität der CSU sind mannigfaltig: Da wäre die ungebrochene Königstreue vieler Bayern, die gerne ihren Ludwig II. zurückhätten. In Ermangelung einer absolutistischen Erbmonarchie finden sie sich eben mit einer absolutistischen Demokratie ab, in der die Vererbung auch keine untergeordnete Rolle spielt: Monika Hohlmeier, die Tochter von Franz Josef Strauß, ist Schulministerin, Alfons Goppels Sohn Thomas ist CSU-Generalsekretär.

Die CSU hat es zudem geschafft, sich geradezu als Verkörperung Bayerns zu gerieren. Sie wirbt mit Sprüchen wie: »Die CSU – Bayerns größter Standortvorteil« oder »In Bayern sind die Ferien am schönsten. Warum wohl? CSU«. Perfekt verbindet die Partei Patriotismus (»Mir san mir«) und Ressentiment (»Saupreißn«).

Auch diese tief im Bewusstsein verankerte Melange ist ein Relikt der bayerischen Geschichte, das seinen Ursprung hat im Aufbegehren einer rückständigen Agrar- und Standesgesellschaft gegen übermächtige auswärtige Machthaber. Schon die Freikorps nach dem Ersten Weltkrieg und die Nationalsozialisten wussten dies für ihre Interessen zu nutzen. Und Stoiber kann sich wunderbar als Kämpfer gegen die rot-grüne Vorherrschaft Berlins produzieren. Heute noch weiß in Bayern jedes Kind, dass alles Übel aus dem Norden von den Preußen kommt, schließlich ist schon König Ludwig von Bismarcks Schergen gemeuchelt worden.

Aber natürlich droht auch aus anderen Himmelsrichtungen Gefahr fürs bayerische Gemüt. Früher durfte der Osten als Feindbild herhalten, heute ist es der Süden. Allerdings wurde der Scheinasylant mangels Masse inzwischen vom Islamisten abgelöst.

Mit dem in Aussicht gestellten EU-Beitritt der Türkei hat die CSU im aktuellen Landtagswahlkampf einmal mehr ein Thema gefunden, über das sich rassistische Ressentiments schüren lassen, ohne sie allzu deutlich auszusprechen. Ausgerechnet die CSU, die stets gute Beziehungen zu kriminellen Regimes pflegte – ob Chile unter Pinochet, Uganda unter Idi Amin oder Südafrika während der Apartheid –, sorgt sich plötzlich um Menschenrechte. Es bestünden nach wie vor Zweifel an der Rechtsstaatlichkeit der Türkei, sagte Stoiber der Süddeutschen Zeitung. Worum es eigentlich geht, formulierte der Vorsitzende der CSU-Landesgruppe im Bundestag, Michael Glos, so: Die Türkei gehöre »nicht zum deutschen und europäischen Kulturraum«.

Ihre zum Teil offen ausländerfeindliche und rassistische Rhetorik – man denke nur an Stoibers Warnung vor einer »durchrassten Gesellschaft« – hindert die bayerische Staatsregierung indes nicht daran, auch für Bayern eine Art Green Card einzuführen, wenn es dem Interesse des Kapitals dient.

»Wirtschaftskompetenz« heißt das Zauberwort, das die Schwarzen sich und ihren jeweiligen Führungspersönlichkeiten verliehen haben. Zwar stimmt es, dass die CSU das Agrarland Bayern zum Industriestandort gepusht hat, durch die Ansiedlung von Rüstungs- und Atomindustrie, durch verheerende Großprojekte wie den Münchner Flughafen, den Main-Donau-Kanal oder die verhinderte Wiederaufbereitungsanlage in Wackersdorf sowie jüngst durch die Förderung eng mit der Staatspartei verbandelter Medien- und Biotechnologie-Unternehmen.

Doch die Wirtschaftsbilanz der vergangenen Jahre ist alles andere als positiv: Rüstungskonzerne wie Siemens entlassen viele Leute, die fränkische Elektroindustrie geht ebenso Pleite wie die Stahlindustrie der Oberpfalz; das geplante Biotech-Zentrum in Martinsried im Südwesten Münchens gleicht einer ausgestorbenen Goldgräberstadt, und der Medienkonzern Kirch konnte seine Insolvenz nur durch Massenentlassungen und einen Notverkauf abwehren. Als sei es damit nicht genug, hat Stoiber das Kapital der Bayerischen Landesstiftung durch die Spekulation mit den Aktien der Hypo-Vereinsbank, die er um jeden Preis haben wollte, um Einfluss auf die Kreditvergabe zu erhalten, praktisch pulverisiert. Trotzdem gilt er, wie die Bundestagswahl 2002 bewies, sogar über Bayern hinaus als »wirtschaftskompetent«.

Die Stärke der CSU hat natürlich auch mit der Schwäche ihrer Gegner zu tun. Während die Grünen derzeit leichten Aufwind spüren und dank der gehobenen Mittelschicht der Städte sowie der Biobauern und Ökounternehmer auf dem Lande immerhin auf einen Stimmenanteil von acht Prozent hoffen können, zeigt sich die SPD von ihrer allerschwächsten Seite. Ihren Spitzenkandidaten Franz Maget kennt kaum jemand. Und wenn er sich für den Wahlkampf Unterstützung aus Berlin holt, machen ihn die angereisten SPD-Bundespolitiker nur lächerlich.

So verkündete Bundesverkehrsminister Manfred Stolpe vorige Woche bei seinem Besuch in München, dass der Bund mehr Geld für den umstrittenen Transrapid zum Münchner Flughafen zur Verfügung stellen wolle. Dass die bayerische SPD das Projekt ablehnt, war ihm offensichtlich entgangen oder egal. Der »Superminister« Wolfgang Clement verkündete in Franken, der strukturschwache Landstrich müsse sich gefälligst selbst helfen. Und Kanzler Gerhard Schröder lobte bei seinem Wahlkampfauftritt in Rosenheim nicht etwa Maget, sondern Stoiber.

Kein Wunder, dass die SPD nach den Prognosen derzeit bei katastrophalen 21 Prozent liegt. So bleibt Maget nur noch, bei jeder Gelegenheit eindringlich vor einer Zwei-Drittel-Mehrheit der CSU zu warnen und auf ein paar Mitleidsstimmen für seine Partei zu hoffen. Schließlich hätten sogar die meisten CSU-Wähler etwas gegen eine solche Allmacht Stoibers. Verkehrte Welt in Bayern: Die SPD redet die CSU noch stärker, als sie ohnehin ist. Und Stoiber hat inzwischen eine Gegenstrategie entworfen – er redet die CSU schwach: »Eine Mehrheit für die CSU von 60 Prozent ist absolut irreal.« Schön wär’s.