Eisiger Wind aus Süden

Nach der gescheiterten WTO-Runde in Cancún wollen EU und USA ihre Interessen in bilateralen Verhandlungen durchsetzen. Das muss nicht immer klappen. von danièle weber

Wer jetzt feiert, feiert auf dem Rücken der Schwächsten.« Die neue Stimme des Südens gehört der deutschen Landwirtschaftsministerin Renate Künast (Grüne). Ihre Analyse gilt einem historischen Ereignis: Am Abend des 14. September war die 5. WTO-Runde im südmexikanischen Cancún gescheitert (Jungle World, 39/03). Seit diesem Sonntag streitet man sich nun in Politik und Wirtschaft darüber, wer aus dieser Niederlage der WTO Nutzen zieht.

Jubel brach vor allem im Lager der globalisierungskritischen Organisationen aus. »Welthandelsgespräche werden nie mehr so sein wie bisher«, freut sich etwa Phil Bloomer von der britischen NGO Oxfam. »Kein Deal ist besser als ein schlechter«, ist Walden Bello von Focus On The Global South überzeugt. Letztlich seien es die USA und die EU gewesen, die das »Entgleisen der WTO, das wir immer gefordert haben«, verursacht hätten. Jubel gab es auch bei den Verhandlungspartnern aus dem Süden. »Das ist nicht das Ende. Das ist der Beginn einer besseren Zukunft für uns alle«, freute sich die ecuadorianische Handelsministerin Ivonne A-Baki.

Doch die Retourkutsche der USA und der EU ließ nicht lange auf sich warten. Künftig werde man mehr bilaterale Handelsabkommen anstreben, drohten sowohl der US-Handelsbeauftragte Robert Zoellick als auch EU-Handelskommissar Pascal Lamy. »Zahlreiche Länder dachten, es würden Geschenke verteilt«, lautet Zoellicks schadenfroher Kommentar. »Nun sehen sie sich mit der kalten Wirklichkeit ihrer Strategie konfrontiert und kommen mit gar nichts nach Hause.« Der »Wildwuchs bilateraler Abkommen«, weiß auch Renate Künast, schädige vor allem die ärmsten Staaten. Von Handelsblatt bis Financial Times sind sich die Kommentatoren einig: Bei solchen Zweier-Gesprächen zieht stets der Schwächere den Kürzeren.

Vergessen wird dabei gerne, dass es in Cancún vor allem die ökonomisch starken Staaten waren, die eine Neudefinition der Regeln des Multilateralismus im Rahmen der WTO verhinderten. Sowohl die Vereinigten Staaten von Amerika als auch die Europäische Union zeigten in den Konferenzsälen kaum Verhandlungsbereitschaft. Im Hauptstreitpunkt, den Exportsubventionen für Agrarprodukte, gaben sich USA und EU solidarisch und hielten eisern an ihren Positionen fest.

Damit, dass ihnen ein eisiger Wind aus dem Süden entgegenblasen könnte, hatten sie jedoch kaum gerechnet. Noch nie waren die Länder des Südens so selbstbewusst und vereint am Verhandlungstisch erschienen wie in Cancún. Die WTO dürfe nicht dazu dienen, die Interessen der reichen Länder »wie ein Bulldozer« durchzusetzen, fasste der Regierungschef Malaysias, Mahathir Mohamad, den Standpunkt des Südens zusammen.

Angefangen hatte die Rebellion der Schwellen- und Entwicklungsländer die so genannte Gruppe der 21, zu der neben China, Indien und Südafrika vor allem südamerikanische Länder, darunter Argentinien, Brasilien und Mexiko, gehören. Bereits Anfang September hatte die G 21 klargemacht, dass sie nicht von ihrer Forderung nach Streichung der Subventionen abrücken würde.

Auch die oft eingesetzte Taktik, die Länder des Südens in eingeschränkten kleinen Ministerrunden, den berüchtigten »Green-Room meetings«, weichzuklopfen, ging diesmal erstaunlicherweise nicht auf. Im Gegenteil: Es bildeten sich weitere Südallianzen, deren Forderungen gar über die der G 21 hinausgingen. Einig ist sich der Süden darüber, dass er ohne Einigung über den Agrarbereich über die vom Norden eingeforderten Singapur-Themen wie Investitionsabkommen oder Handelserleichterungen gar nicht erst mit sich reden lasse.

Vor allem die ökonomische Bedeutung des neuen WTO-Mitglieds China, so die Einschätzung vieler Wirtschaftsexperten, habe den Südallianzen ein neues Gewicht gegeben. Wie dauerhaft diese Gruppe an einem Strang ziehen wird, muss sich allerdings noch zeigen. Denn dass arme Entwicklungsländer aus Afrika oder Asien andere Interessen als Schwellenländer wie China, Brasilien und Indien haben, liegt auf der Hand. Immerhin, in einem Punkt sind sie sich einig: Die Abschaffung der Exportzölle ist unabdingbar. Darüber, welche Schutzzölle für die eigenen Produkte erlaubt sein sollen, dürften die Interessen hingegen auseinander gehen.

Vorerst bleibt offen, ob und wann es überhaupt zu neuen WTO-Gesprächen kommen wird. »Die Runde ist nicht tot«, so EU-Handelskommissar Pascal Lamy. »Sie liegt aber auf der Intensivstation.« Experten aus den USA mutmaßen, dass die WTO über ein Jahr bräuchte, um sich von Cancún zu erholen. In der Zwischenzeit, so die Ankündigung, geht der allgemeine Run auf bilaterale Abkommen los.

Noch ist allerdings nicht ausgemacht, ob der Süden in allen bilateralen Gesprächen den Kürzeren ziehen wird. Denn immer dann, wenn EU und USA nicht vereint auf WTO-Runden auftreten, liefern sie sich einen erbitterten Kampf um die Märkte. Zumindest den Schwellenländern könnte diese Konkurrenz nutzen, um ihre eigene Position zu stärken. Die Verhandlungen zwischen der EU und den Mercosur-Ländern (Argentinien, Brasilien, Paraguay und Uruguay) wurden beispielsweise mit Blick auf die WTO-Runde auf Eis gelegt – unter anderem, weil die Mercosur-Staaten auf der Abschaffung der EU-Agrarsubventionen beharrten. Nach Cancún könnten sie nun mit neuem Selbstbewusstsein in die Verhandlungen ziehen.

Problematisch sind bilaterale Abkommen vor allem für die wirtschaftsschwachen afrikanischen Staaten. Zweifellos wäre für sie ein multilaterales Abkommen mit einem Regelwerk, das ihnen eine gewisse Sonderbehandlung einräumt, von Vorteil. Doch wie wahrscheinlich ist es, dass innerhalb dieser WTO ein solches Abkommen zustande kommt? Das WTO-Treffen sei gegen die Interessen der armen Länder gerichtet, betonte der Handelskommissar der Afrikanischen Union (AU), Vijay Makhan. Wenn diese Entwicklung anhalte, müsse Afrika politisch über den Wert der WTO-Mitgliedschaft entscheiden.

Dass der geplatzte Deal innerhalb der WTO sich für die afrikanischen Staaten als Niederlage entpuppen könnte, weiß jedoch auch der afrikanische Handelskommissar. Denn wie die EU, der wichtigste Handelspartner Afrikas, in bilateralen Gesprächen auftritt, ist bestens bekannt. Bekannt ist auch, wie die EU solche Abkommen als Druckmittel einsetzt, gerade in WTO-Verhandlungen. Bislang konnte etwa die so genannte AKP-Gruppe (afrikanische, karibische und pazifische Staaten), mit der die EU besondere Handelsbedingungen verabredet hat, in WTO-Runden an der kurzen Leine gehalten werden. In Cancún klappte das nicht. Das mag vor allem daran liegen, dass manche Entwicklungsländer die Verhandlungspraktiken der EU besser durchschauen.

Als »mittelalterliche Organisation« verhöhnte Pascal Lamy die WTO nach dem Scheitern in Cancún. Er verschweigt jedoch bewusst, dass gerade die EU dazu beigetragen hat, dass dies so bleibt. Der EU war es lange gelungen, innerhalb der WTO als der »softere Partner« im Vergleich zu den USA aufzutreten. Damit ist es nun vorbei. »Sowohl die Handelsvertreter der USA als auch der EU wollen uns zum Schlachthof führen«, fasste eine Delegierte des Südens im Juli in Genf die Taktik der beiden Großen zusammen. »Letztere mag subtiler und höflicher vorgehen, das Resultat ist jedoch dasselbe.«