No Görlis

Die Kreuzberger Band Britta hält am Indie fest. von jörg sundermeier

Ein Café in Kreuzberg. »Wir sind schon sehr indie«, sagt Christiane Rösinger. Die beiden anderen Frauen nicken. Es sind Barbara Wagner und Julie Miess, die zusammen mit Rösinger und der Schlagzeugerin Britta Neander die Band Britta sind. Indierock? In Zeiten von dicken Gitarren und dicken Hosen und fettem Elektrobass?

Kürzlich stellten Britta ihr drittes Album »Lichtjahre voraus« im Berliner Club Maria am Ufer vor. Mehrere hundert Leute sind zur Release-Party gekommen. Auf der Bühne steht die Band, Gitarre und Bass werden lässig getragen, es gibt bei diesen Frauen, die mehrheitlich das 30. Lebensjahr hinter sich gelassen haben, keine Pose. Vor Jahren, bei den ersten Auftritten, schien die Band introvertierter, ihre Performance war szeniger, von der Bühne herab wurden Leute aus dem Publikum direkt angesprochen, es herrschte eine Atmosphäre von: Wir sind unter uns. Diesmal aber steht die Gruppe anders da, selbstbewusst, geradeaus, eine Band auf einer Bühne.

Genau so stellen sie sich auf dem Plattencover dar. Waren die Bandfotos früher stets auf diese verwischte Art fotografiert, wie das bei Indierock-Produktionen üblich ist, um zu zeigen, dass man klein und fein, aber auch irgendwie man selbst ist und eine Seele hat, schauen die vier Frauen diesmal direkt in die Kamera mit klarem, offenem Blick, alle sind gut geschminkt und sitzen auf Ledersesseln, die gutbürgerliches Ambiente und Komfort vortäuschen. Das Ganze spielt vor einer holzverschalten Wand, die schon richtig gute Zeiten gesehen hat, die Frauen rauchen und signalisieren, kein Scheiß mehr, kein Zurückstecken, das ist unser Album, uns gefällt es – und da seid ihr. Genau so steht diese Band nun auch auf der Bühne.

In dem Titelsong »Britta – Lichtjahre voraus« heißt es: »Wir sind nicht beim Rock am Ring / Und wir sind nicht bei Rock am See / Wir wollen da gar nicht hin / Und es tut auch nicht mehr weh / Und wenn ich mich so umschau / Sowieso nur Bands mit Jungs / Und die wollen ja keine Veränderung.« Julie Miess betont, dass Britta eben nicht nur über Liebe und andere sentimentale Dinge singen, sondern dass sie sagen, was ihnen nicht passt. Die Band sei durch das viele Touren zusammengewachsen, sagt Christiane Rösinger. Anlässlich der Platte »Kollektion Gold« habe man eine Unmenge Konzerte gegeben, und so habe sich in der Band eine andere Routine eingestellt.

Für »Kollektion Gold« hat man sich seinerzeit auch bei den Majors umgetan, die jedoch eine solche Musik nicht haben wollten. Weder sind Britta eine Model-Allstarband noch sind sie enttäuscht dreinschauende Balladensänger. So ist »Kollektion Gold« schließlich doch bei Flittchen Records erschienen, einem Label, das von Rösinger mitbegründet wurde und auch die Platten der Lassie Singers vertreibt, Rösingers Ex-Band. Für »Lichtjahre voraus« dagegen hat man sich nur halbherzig darum bemüht, bei einer größeren und zahlungskräftigeren Firma unterzukommen, denn irgendwie hat sich die Band ganz gut damit arrangiert, dass mit Britta nicht das große Geld zu machen ist. Doch die Produktionskosten sollten zumindest wieder eingespielt werden, ansonsten müssen halt alle Bandmitglieder nebenher jobben. Früher haben Britta das bedauert und manchmal sogar ein wenig gejammert, inzwischen scheint das überwunden. Die vier Brittas machen Rock. Und schreiben Popsongs. Wie immer, wenn Christiane Rösinger textet, sind sehr viele Textzeilen dabei, die man mitsingen will. Die Songs haben ein hohes Identifikationspotenzial. Doch anders als andere von Liebe und Gesellschaft singende Bands wollen Britta nicht Vorbild sein. Sie reden über Erfahrungen und ersparen ihren Hörerinnen und Hörern ein peinliches »Christiane sagt, wie’s ist«-Gefühl.

Ein wichtiges Thema bleibt auch auf »Lichtjahre voraus« das Pärchenleben. Wandten sich die Lassie Singers noch aggressiv gegen die Pärchenlüge (»Pärchen verpisst euch, keiner vermisst euch«), hat sich jetzt eine gewisse Gelassenheit eingestellt. »Kindheit und Jugend, erste Irritationen / Krankheiten, Allergien, Operationen / Studium und Arbeit, Autos, die man hatte / Das erste Mal, die erste Platte // So viele Fragen müssen wir uns stellen / Denn nur durch Fragen lernen wir uns kennen / Wenn alles gefragt ist, alles gesagt ist / Ist alles getan / Dann machen wir Schluss / Und beim Nächsten / Fängts wieder von vorne an« (»Fragen«). »Das ist doch gut, wenn man merkt, dass man von Liebe reden kann und dabei die Gesellschaft nicht ganz vergisst«, sagt Rösinger. Und tatsächlich: Der Betrug, den Liebe zwangsläufig auch beinhaltet, wäre bedeutungslos, wenn niemand darauf hereinfiele. »Wer dran glauben will, der glaubt daran / Mit eurer Liebe bin ich fertig / Mich kriegt ihr nicht mehr dran.«

Zwei Neuerungen gibt es auf »Lichtjahre voraus«, zum einen steuert der Schriftsteller David Wagner einen Songtext bei (»Was alles fehlt«), zum anderen covern Britta das wunderbare »Wir müssen hier raus« von Ton Steine Scherben. Vieles von dem, was in diesem Song gesagt werde, stimme so nicht mehr, doch die Kraft, die dieser Song aus dem Unbehagen an den Verhältnissen schöpfe, sei sehr mitreißend, erklärt Barbara Wagner. Ein Freund von ihr müsse bei diesem Stück immer weinen, für ihn sei es, so behauptet er, wie »Vom Winde verweht« für seine Mutter.

Auf der Release-Party spielen Britta ein paar ältere Stücke, vor allem aber die neuen. Gäste kommen auf die Bühne, und nach über einer Stunde sagt Barbara Wagner: »Ich kann nicht mehr, sind wir bald fertig?« Diese Band weiß, dass das Popgeschäft Arbeit ist, und verbirgt es nicht vor ihrem Publikum.

Nach dem Konzert, das irgendwie wunderschön war, fordert das Publikum Zugaben. Die erste ist »Wir müssen hier raus«, sehr druckvoll gespielt, und es erscheint einen Moment so, als könne Rösinger jetzt zur Revolution aufrufen und das Publikum würde folgen. Aber das passt ja nicht nur zur Idee von Britta.

Dann zum Abschluss eine Coverversion des Hits von PR Kantate, »Görli Görli«, mit einem teilweise neuen Text. Und siehe da, PR Kantate ist im Publikum, kommt auf die Bühne und singt den Refrain mit. Und bewegt sich in HipHop-Manier, die Arme vorgestreckt, die Finger nach unten, Federbewegungen aus dem Knie heraus. Vier gestandene, sehr souveräne Frauen stehen um ihn herum und spielen ihre Instrumente. Plötzlich hält er inne. Das ist eine Rockband, erkennt er. Schnell macht er, ein paar Bewegungen nur, die Luftgitarre. Sieht auch scheiße aus. Dann lässt er die Arme sinken, federt noch ein bisschen in den Knien und singt einfach nur noch mit. Die Band spielt mit ihm. Dann ist das Stück vorbei. Und kurzzeitig sah ein junger Mann sehr alt aus neben dieser Band.

Britta: Lichtjahre voraus (Flittchen Records)