Souveräne Beschimpfung

Relaunch der Woz

»Vieles neu! Alles besser!« So verabschiedete sich die alte Woz vor wenigen Wochen von ihren Lesern. Und mit der Schlagzeile »Medien im freien Fall« meldete sie sich als neue Woz eine Woche später zurück.

Die Woz ist die linke Wochenzeitung in der deutschsprachigen Schweiz, und es gibt sie seit 22 Jahren. Hätte sie weitergemacht wie bisher, davon ist das Woz-Kollektiv überzeugt, hätte es sie keine weiteren 22 Jahre mehr gegeben. Also hat man sich in Zürich zu einem Neustart entschlossen. Monatelang wurde bei den Lesern für eine Erhöhung der Kapitaldecke geworben, und was man den letztlich einzahlenden 400 Lesern versprach, war die Aussicht auf eine neue Wochenzeitung: besser, journalistischer, dicker, alles.

650 000 Franken kamen zusammen, und während in der Schweiz sogar die traditionsreiche Neue Zürcher Zeitung zehn Prozent der Stellen abbaut, verkündete die neue Woz dies: »Wagemutig verhalten wir uns antizyklisch, haben vier neue Stellen geschaffen und eine neue Woz entworfen – mit viel Spaß und der unbezahlbaren Freiheit, das zu tun, was uns wichtig erscheint.«

Wichtig, schaut man sich die erschienenen Hefte an, ist der neuen Woz zunächst mal die neue Woz. Auf Seite eins der ersten relaunchten Nummer werden gleich zwei neue Bücher von Woz-Autorinnen vorgestellt – im (vermutlich richtigen) Vertrauen darauf, dass die Leserschaft, die Reportagen der Autorinnen liest, auch deren Bücher lesen möchte.

Auf der letzten Seite der neuen Woz findet sich die vielleicht genialste Innovation: die Rubrik »Blattkritik«. Was üblicherweise auf Redaktionskonferenzen stattfindet, die Kritik der letzten Nummer, macht die Woz öffentlich. Gastautoren rezensieren die letzte Ausgabe der Woz, und damit es auch ein ordentliches Schlachtfest gibt, sind das: »Politische Freunde und Feinde, Schriftstellerinnen, Medienprofis und begnadete Großmäuler.« Und die hauen auch drauf. »Mief aus den drögen siebziger Jahren«, schreibt einer, »Kaum ein Text, in dem etwas aufblitzt, Ironie beispielsweise«, beschwert sich eine andere.

Der souveräne Umgang mit Kritik charakterisiert die neue Woz vielleicht am deutlichsten: dass man nicht mehr buckelt, um von den im Bedarfsfall als »bürgerlich« geschmähten Blättern ernst genommen zu werden, sondern selbstbewusst seinen Platz in der Medienlandschaft einnimmt: Wir, die Woz, drucken eure Blattkritik.

Die neue Woz kommt auch journalistischer daher. Es wird einfach keine Politanalyse mehr gedruckt, wenn sich viel mehr mit einer Reportage mitteilen lässt. Wie sich etwa Feminismus und Frauenbewegung in der Schweiz in den letzten dreißig Jahren verändert haben, zeigt die Woz in einer netten Geschichte über Vreni Voiret, die 1969, nachdem sie Drittplatzierte einer Miss-Wahl wurde, gegen den Fleischbeschau protestierte.

Aus vier Büchern, also Zeitungsteilen, besteht die neue Woz: Das letzte heißt »Leben«, genau, »Leben«, wie es in Deutschland schon die Zeit als große Innovation feierte und tatsächlich fast ein ganzes Jahr lang recht lesenswert gestaltete, bis die Ideen ausgingen.

Diese Gefahr droht der neuen Woz auch. Aber wem eigentlich nicht?

martin krauss