Tauben im Aufwind

Die Kritik an der US-Regierung wird lauter. Bei der Demokratischen Partei stehen Antikriegskandidaten hoch im Kurs. von tim blömeke

Die gute Nachricht zuerst: Die Mehrheit der US-amerikanischen Wähler hält die wirtschaftliche Lage der Nation mittlerweile wieder für wichtiger als den Kampf gegen den Terrorismus. Außerdem glauben 64 Prozent der Bevölkerung, dass der unter dem Vorwand der Terrorismusbekämpfung auf den Weg gebrachte Irakkrieg die Wahrscheinlichkeit terroristischer Angriffe auf die USA eher erhöht als verringert habe, die USA sich demnach mit dem Angriff einen herben Rückschlag bei der Terrorbekämpfung selbst zuzuschreiben haben.

In den vergangenen Wochen sind in der Innenpolitik der USA einige erstaunliche Entwicklungen zu verzeichnen. Zum einen wäre da die Darstellung der Bush-Administration in den wichtigsten Medien zu nennen. Schien es vorher und zumindest in der Frühphase des Irakkriegs noch so, als würden auch große und renommierte Medienbetriebe wie New York Times, Washington Post und Boston Globe zur Abbildung der Regierungspolitik in erster Linie Presseerklärungen aus dem Weißen Haus heranziehen, ist die Stimmung mittlerweile umgeschwenkt. Nicht mehr nur linksliberale Kommentatoren wie der Wirtschaftsprofessor Paul Krugman, der für die New York Times die Wirtschafts- und Finanzpolitik des Weißen Hauses mit tiefgreifender und ausgesprochen scharf formulierter Kritik verfolgt, nehmen Bush & Co. aufs Korn. Auch in ganz gewöhnlichen Artikeln werden heute wieder Zweifel an Kompetenz und Rechtschaffenheit der Regierung laut.

Im Mittelpunkt dieser Kritik stehen die Kriegs- und Finanzpolitik. Bush hat im Kongress weitere 87 Milliarden Dollar für die Irak- und Afghanistan-Einsätze gefordert. Von dieser Summe ist der Löwenanteil, etwa 67 Milliarden, ausschließlich für die laufenden Kosten der Besatzung bestimmt. 116 000 Soldaten mit Nahrung, Wasser und wegen der erhöhten Belastung alle zwei Wochen auszutauschenden Panzerketten zu versorgen, ist keine Kleinigkeit. Aber auch die 20 Milliarden Dollar Wiederaufbauhilfe stoßen auf Kritik. Bushs Absicht, in diesem Jahr für das Gesundheitssystem im Irak pro Kopf der Bevölkerung zehnmal mehr auszugeben als in den USA, halten neben Senatoren der Demokratischen Partei auch einige Journalisten für fragwürdig. Da massive Steuergeschenke an die heimische Oberschicht kombiniert mit durch die leichte wirtschaftliche Rezession bedingten Steuerausfällen der Regierung zudem in diesem Jahr ein Rekord-Staatsdefizit von annähernd 500 Milliarden Dollar bescheren, sind die Voraussetzungen für eine umfassende Kritik an der Regierung gut wie selten zuvor in der Karriere des George W. Bush.

Wie bestellt fällt in diese Phase der kometengleiche Aufstieg von Howard Dean, dem ehemaligen Gouverneur von Vermont und Anwärter auf die Nominierung als Präsidentschaftskandidat der Demokraten. In der Vergangenheit eher der politischen Mitte zuzuordnen, verdankt er seinen derzeitigen Status als heimlicher Star der Demokraten vor allem einem Umstand: Er war von Anfang an gegen den Irakkrieg. Zu seinen öffentlichen Auftritten erscheinen mitunter mehrere tausend Menschen, was zu diesem Zeitpunkt des Wahlkampfes äußerst ungewöhnlich ist. Im Zentrum seiner Wahlwerbung steht, wenig überraschend, eine Reihe von »16 Fragen an Präsident Bush«, mit welchen Dean die Informationspolitik der Regierung vor dem Irakkrieg attackiert und die Senatoren der Republikaner auffordert, ihre Blockade aufzugeben und die Bildung einer unabhängigen Untersuchungskommission zur Kriegspropaganda der Regierung zuzulassen.

Gouverneure von Einzelstaaten treten häufiger zu Präsidentschaftswahlen an (siehe George Bush), allerdings nicht unbedingt Gouverneure von Zwergstaaten wie Vermont. Die Zugkraft eines Außenseiters wie Howard Dean zwingt aussichtsreich erscheinende gemäßigte Kandidaten wie den Kongressabgeordneten Tom Gephardt und den Senator John Kerry aus Massachusetts, ihre Positionen so weit wie möglich der Deans anzupassen. Sie benutzen die etwas bemüht wirkende Argumentation, der Angriff sei im Prinzip richtig gewesen (weshalb sie trotz der rundweg falschen Begründungen zugestimmt hätten), die Planungen für die Zeit nach dem Sieg jedoch mangelhaft. Bleibt die Frage, warum die Regierung den Krieg mit derart unverfrorenen Lügen auf den Weg prügeln musste, wenn die Demokraten ohnehin einverstanden waren, aber dieses Problem werden die Kandidaten wohl selbst lösen müssen.

Ein weiteres Anzeichen für den wachsenden Unmut zumindest der Anhänger der Demokraten unter den Wählern bezüglich der Irakpolitik ist die Tatsache, dass ein weiterer Antikriegskandidat auf Anhieb den Sprung in die Spitzengruppe der Anwärter auf die Nominierung durch die Demokraten geschafft hat: General Wesley Clark. Der wie Ex-Präsident Bill Clinton aus Arkansas stammende ehemalige Nato-Oberbefehlshaber und Kommandeur der Allianz im Krieg gegen Serbien, der als »Architekt« des Bosnien-Friedensprozesses gilt, hat Mitte vergangener Woche seine Kandidatur bekannt gegeben. Er gehört wie Howard Dean zu den wenigen, die von Beginn an die Gründe für den Irakkrieg in Zweifel gezogen hatten.

Er wird unter anderem vom Ehepaar Clinton und dem Autor und Filmemacher Michael Moore unterstützt. Dieser preist ihn in einem Offenen Brief als Freund von Bürgerrechten und Gleichstellungsmaßnahmen (affirmative action), Multilateralisten und Gegner des Abtreibungsverbots und der Steuergeschenke an die Reichen. Gegenüber Dean zeichne ihn aus, dass er auch die hohen Militärausgaben kritisiere, die Bezeichnung »Liberaler« nicht scheue und zum Thema Schusswaffenkontrolle den launigen Satz parat hatte: »Für alle, die eine Vorliebe für Sturmgewehre haben, es gibt einen Platz für euch – die Armee der Vereinigten Staaten.« Außerdem habe Dean keine klare Überzeugung zur Abschaffung der Todesstrafe.

Bei so viel Lob von einem, dessen politische Urteilskraft sich weitgehend auf die Bedienung der Vorurteile von Antiamerikanern in der ganzen Welt beschränkt (»Stupid White Men«), ist Misstrauen angebracht. Und in der Tat, die Wochenzeitung The Nation, die Howard Dean unterstützt, hat einen Vorfall vom Ende des Kosovo-Krieges ausgegraben, als Clark beinahe eine russische Militäreinheit hätte bombardieren lassen, die den Flughafen von Pristina besetzen wollte. Verhindert worden sei die Bombardierung durch die Weigerung des britischen Generals Michael Jackson: »Sir, I’m not starting world war three for you.« Anschließend soll Clark dem US-Admiral James Ellis den Befehl gegeben haben, den Flughafen mit Apache-Helikoptern besetzen zu lassen. Ellis weigerte sich ebenfalls. Wenig später wurde Clark vom Pentagon seines Amtes enthoben.

Im Gegensatz zum Wahlkampf 2000 drängt sich bei der Betrachtung der Kandidaten der Eindruck auf, dass das Rennen um die Präsidentschaft im nächsten Jahr nicht erst bei der Auszählung spannend werden dürfte. Das öffentliche Interesse ist größer, und es gibt einige bedeutende inhaltliche Unterschiede zwischen Bush und den Kandidaten der Demokratischen Partei – vorausgesetzt, die Demokraten nominieren nicht den Konservativen Joe Lieberman. Er wäre Vizepräsident von Al Gore geworden, wenn dieser nicht bei der letzten Wahl gegen George W. Bush den Streit um die Auszählung der Stimmen verloren hätte.

Wie sich eine Ankündigung der anderen demokratischen Amtsanwärter, die verbliebene Kontrolle über den Irak der Uno zu überantworten und die Steuersenkungen der Bush-Administration zurückzunehmen, auf die Wahlkampfspenden auswirken würde, ist allerdings nicht bekannt. Keiner der aussichtsreichen Kandidaten für die Nominierung hat diese Forderungen bisher verbindlich in sein Programm aufgenommen.