Wer guckt den?

Laut einer neuen Umfrage ist »Beckmann« die beliebteste Talkshow im deutschen Fernsehen. Kann das stimmen? von martin schwarz

Man kann es der armen Frau nicht verdenken. Als Susanne Juhnke, die Frau des derzeit wohl in einem unergründlichen Paralleluniversum dahinlebenden Harald Juhnke, am letzten Donnerstag zu einer Aufzeichnung von Reinhold Beckmanns gleichnamiger Verbal-Freakshow eingeladen wurde, erlitt die 64jährige Prominente angesichts von Beckmanns einfühlsamer Fragetechnik gleich mal einen medienrelevanten Nervenzusammenbruch: »Ich kann nicht mehr. Ich bin am Ende, ich stehe das nicht durch«, wurde sie in der Bild-Zeitung zitiert.

Die Gattin Juhnkes fühlte sich durch die Fragen des 47jährigen notorischen Antitalents Beckmann offenbar in jene schreckliche Panik getrieben, die sensible Fernsehzuseher jeden Montag ab 23 Uhr durchmachen müssen: Beckmann angucken, Beckmann hören müssen, von der bloßen Existenz Beckmanns zu wissen. Dabei hatte der mit einer wahrlich antiseptischen Persönlichkeit ausgestattete und vom Sportjournalismus kommende Beckmann gerade erst angesetzt, Frau Juhnke in einen Zustand zu versetzen, den ihr Mann seit nunmehr knapp zwei Jahren auskosten muss: den des chronischen Nervenzusammenbruchs. Beckmann ließ nämlich Bilder von Harald zeigen, wie er eben früher war, Harald als netter Familienmensch, als Liebhaber edlen Champagners und als Alkoholiker, der im Wodka-Rausch seine Frau beschimpft.

Es mag in der Natur der grassierenden Talkshow-Epidemie liegen, die jeweiligen Gäste an den Rand des psychischen Ausnahmezustands zu bringen, aber das Problem von Beckmann ist: Er vermittelt den Eindruck, als passiere ihm das alles eher unabsichtlich. Der Mann ist ganz sicher kein Inquisitor, wie es einst Michel Friedman war, bis der die Nase voll hatte, und er ist ganz bestimmt kein blondierter Journalistendarsteller wie Sabine Christiansen. Nein. Beckmann rutschen die investigativen Fragen eher so raus, er lebt vom Charme des zivilisierten Tourette-Syndrom-Patienten und bleibt dabei auch noch erstaunlich unflexibel in seiner Fragerei. Elton John etwa befragte er einmal für die Welt am Sonntag – noch dazu kurz nach dem 11. September 2001. Es ist nicht weiter verwunderlich, dass sich Beckmann dafür interessierte, wo Elton John gerade war, als er von den Anschlägen in New York und Washington erfahren hat: »In der Küche. In meinem Haus in London. Ich habe am Tisch gesessen und in der Zeitung geblättert, als mein Freund David anrief und sagte: ›Schalte den Fernseher ein, du wirst es nicht glauben.‹« Hier wäre jetzt eine gewisse journalistische Kreativität gefragt, damit das Gespräch nicht vollends im seichten Geplänkel verendet, aber ein echter Beckmann hat kein Problem damit: »Und? Haben Sie’s geglaubt?« fragt er ungerührt. Worauf der hauptberufliche »Diana ist tot und Rosen sind rot«-Stimmbandakrobat Elton John die nicht besonders originelle Antwort gab, er hätte zuerst gedacht, es handele sich um »Independence Day« oder »Armageddon«. Was man alles aus Leuten herausholen kann, wenn man nur über das nötige journalistische Feingefühl verfügt!

Einen ähnlichen Beweis für eine autistische Attitüde lieferte Beckmann erst im August während der Moderation einer großen Gala anlässlich des 40jährigen Bestehens der Bundesliga. Da wollte Beckmann von Uwe Seeler wissen, wer »in der 40jährigen Geschichte der Bundesliga als erster vom Platz flog«. Uwe Seeler, sichtlich irritiert, gleichsam aber auch hilflos in unmittelbarer Nähe des leibhaftigen Beckmann, antwortete: »Das will ich jetzt doch nicht raushauen, die Beerdigung ist ja erst ein paar Tage her«. Das wäre der Augenblick für den gewöhnlich schlecht informierten Sportjournalisten gewesen, das Thema zu wechseln, aber Beckmann dürfte wohl gerade einen intellektuellen Blackout gehabt haben und fragte weiter: »Na? Wer?« Es war die Fußballlegende Helmut Rahn, gerade frisch beerdigt. Strike!

Von seinen Fähigkeiten, seiner Wichtigkeit und der Brillanz seines Talk-Formates »Beckmann« ist der Moderator, der Zuseher und Gäste seit 1999 zum Verzweifeln bringt, dennoch überzeugt. Besonders das »neue Konzept« ist es, das nach seinen eigenen Worten für den Erfolg verantwortlich zeichnet. Die Komplexität des revolutionären Konzepts der Talkshow bedarf tatsächlich einer eingehenden Erläuterung: Im Studio sitzt ein Moderator auf einem Sessel. Vor ihm steht ein Tisch. Gäste kommen einzeln ins Studio und setzen sich auf einen Sessel gegenüber dem Moderator. Nach der Begrüßung beginnt der Talkmaster, seine Fragen zu stellen, und der Gast antwortet.

Unterbrochen wird das Volllabern der Gäste und Zuschauer lediglich durch wichtigtuerisches Nippen an einem Wasserglas, das die Studioregie vorher hat servieren lassen. Beckmann dient als unterhaltungstechnische Sonde, die in die unergründlichen Weiten des Fernsehuniversums vorstößt. Denn wer hat das sonst noch? Einen Tisch, Stühle, einige Wassergläser, einen Moderator und mehrere Gäste, und das Ganze noch kühn arrangiert in einem echten Fernsehstudio! Johannes B. Kerner, Sandra Maischberger, Maybrit Illner, Sabine Christiansen und etwa zwei Dutzend andere Komparsen für die programmatische Zurschaustellung Prominenter? Wahrscheinlich nicht. In einer Kategorie bleibt Beckmann dennoch unfreiwillig einzigartig: Er vermittelt den Charme eines an Land gespülten Wals, der ziemlich navigationslos durch den Ozean gedriftet war, bevor er angespült wurde. Die ARD sieht das naturgemäß anders und veröffentlicht auf ihrer Website eine Hymne auf ihn, die mit der bitteren Realität nichts zu tun hat: »Mit seinem Talent, auf die unterschiedlichsten Charaktere und Persönlichkeiten individuell einzugehen, hat Reinhold Beckmann seine Talkshow im Ersten zu einer der ersten Adressen gemacht.« Das wirft natürlich die Frage auf, ob die PR-Texter der ARD die Sendung jemals gesehen haben. Beckmann mag viele Talente haben, die er vermutlich nur in der öffentlichkeitsfreien Lebenszone auskostet. Vielleicht ist er gar ein begnadeter Hammerwerfer, Schnorchler, Waschmaschinenmechaniker oder Pokerspieler. Im Studio aber kann er diese Talente offensichtlich nicht nutzen.

Umso verwunderlicher, dass seine Sendung laut einer repräsentativen Umfrage der Zeitschrift TV Hören und Sehen jetzt zum besten Talkformat gekürt wurde, knapp gefolgt übrigens von Kerner. Die hochwertigste Sendung im deutschen Fernsehen ist laut dieser Umfrage übrigens die »Sesamstraße«. Durch Deutschland muss ein Ruck gehen.