Sekte, Ma und Sterne

Die ewig junge Barbara Rütting wird Alterspräsidentin des Bayerischen Landtags. von colin goldner

Die frühere Filmschauspielerin und heutige Kochbuchautorin Barbara Rütting, 75, zieht für die Grünen in den Bayerischen Landtag ein. So weit die Meldung am Tag nach dem Wahlfiasko in Bayern, das der CSU eine satte Zweidrittelmehrheit der Sitze beschert hatte.

Barbara Rütting, eigentlich Waltraud Irmgard Goltz, wurde am 21. November 1927 in Berlin geboren, als »Skorpion mit Aszendent Zwilling«, wie sie in ihrer Vita stolz vermeldet. Manchen ist sie noch in Erinnerung als Leinwandstar der fünfziger Jahre. Sie spielte in über vierzig Filmen mit, durchaus seriöse darunter wie »Operation Crossbow« mit Sophia Loren oder »Stadt ohne Mitleid« mit Kirk Douglas. Die meisten ihrer Filme verstauben indes in den unteren B- und C-Schubladen und werden zu Recht nicht einmal mehr auf RTL gezeigt. Eingegraben ins kollektive Filmgedächtnis dagegen haben sich ihre Rollen als ewig ums Erbe betrogene Dummnuss in Edgar Wallaces »Der Zinker« oder »Neues vom Hexer«. Auch auf der Bühne feierte sie Erfolge, sie spielte bevorzugt und nicht ohne Talent psychisch gestörte Frauenfiguren, von Lady Macbeth über Hedda Gabler bis zu Strindbergs Fräulein Julie. Höhe- und zugleich Schlusspunkt ihres mimischen Schaffens war ein Fernsehauftritt in der Serie »Derrick« im Jahre 1981, nach dem nichts mehr kommen konnte.

Seit dem Niedergang ihrer Filmkarriere fühlt Rütting sich offenbar zunehmend zu autoritär strukturierten Organisationen und Psychosekten hingezogen: Neben ihrem Engagement für die vollwertköstlerische »Gesellschaft für Gesundheitsberatung« (GGB) des früheren SA-Mannes und späteren Bioladen-Vordenkers Max Otto Bruker (1909-2001), der laut Urteil des Oberlandesgerichtes Frankfurt als »Scharnierstelle zwischen Ökologie- und Naturkostbewegung auf der einen und Neonazi-Szene auf der anderen Seite« bezeichnet werden durfte – Rütting sitzt bis heute im Vorstand der Gesellschaft –, begeisterte sie sich auch für die ultrareaktionäre Heilsbotschaft des Maharishi Mahesh Yogi, und dessen »Naturgesetzpartei«. Der Maharishi ist nach wie vor blendend im Geschäft, mit ayurvedischen Pülverchen zur Behandlung von Krebs und Aids vor allem. Seine Jünger behaupten seit je, kraft transzendentaler Meditation und ohne technische Hilfsmittel »fliegen« zu können, was wesentlich zur Erlangung des Weltfriedens beitrage. Obgleich ihre öffentlich vorgeführten Flugeinlagen stets das gleiche Ergebnis zeigen, nämlich eine Art Froschgehopse mit überkreuzten Beinen, sammelten sie, dank fähnchenschwingender Barbara Rütting, bei der Europawahl 1994 mehr als 90 000 Stimmen.

Was Maharishis Fliegerpartei kann, so dachten sich die bayerischen Grünen, können wir schon lange. Im Vertrauen darauf, dass die ein oder andere Stimme gewiss zu holen sei in den esoterischen Heilpraxen, Meditationszentren und Buchläden, deren Kundschaft, politisch oft demonstrativ desinteressiert, sich vielleicht zum Urnengang aufraffe, wenn eine der ihren zur Wahl stehe, holten sie Barbara Rütting auf ihre Liste, die seit Jahren zum fixen Inventar der Szene zählt. Dies nicht im ersten Gliede, nein, Vorreiterin einer Bewegung war Barbara Rütting nie, auch wenn sie das von sich meint, eher Mitläuferin, Komparsin. Das freilich allenthalben und quer durch sämtliche Niederungen: Kaum ein Kongress für neues, besseres oder höherwertiges Dasein, den sie nicht werbewirksam angereichert hätte – ihr Bekanntheitsgrad sicherte ihr allemal einen Platz auf dem Podium, auch wenn sie gar nichts zu sagen hatte.

Aber sie war auch selbst auf der Suche nach spiritueller Erfüllung. So begeisterte sie sich etwa für das Brandenburger »Zentrum für experimentelle Gesellschaftsgestaltung« (Zegg), eine autoritär strukturierte Sex- und Psychosekte mit Sitz in Belzig bei Berlin. Zegg-Begründer Dieter Duhm: »Eine Frau ist, wenn sie ihre weibliche und universelle Identität gefunden hat, eine natürliche Anlaufstelle für alle Männer«, sie werde »ganz von selbst die Liebesdienerin vieler junger Männer sein«, weil das »ihre natürliche Funktion ist«. Von der rechtslastigen Esoterikkommune Findhorn in Schottland, wo ein New-Age-Guru namens David Spangler als neuer Christus verehrt wird, war sie derart angetan, dass sie öffentlich erwog, dorthin zu ziehen.

Schon Ende der Achtziger hatte sie versucht, nach diesem Vorbild in Österreich eine eigene »Lebens- und Arbeitsgemeinschaft« zu begründen, mit der esoterischen Elite, den »Besten aus aller Welt«, was allerdings gründlich misslang.

Seit Herbst 1995 ist sie Anhängerin des Osho-Rajneesh-Kults und trägt als solche den Sektennamen »Ma Anand Taruna«, was so viel heißt wie »Mutter der Glückseligkeit durch ewige Jugend«. Rütting ist begeistert: »Für immer jung, ist das nicht herrlich?« Mehrfach trat sie anschließend in der Talkshow von Jürgen Fliege auf, um der Welt ihre neu gewonnenen spirituellen Erkenntnisse mitzuteilen: »Nicht das Recht zur Faulheit ist in unserer Gesellschaft angesagt, sondern die Pflicht zum Fleiß.«

Anfang 2000 heuerte sie als Meditationslehrerin in der umstrittenen Krebs-Klinik der Hackethal-Erben im bayerischen Riedering an. Bevorzugt brachte sie den Patienten die so genannte »Lach-Meditation« nach Osho Rajneesh bei, was allerdings das Ende der Klinik ein paar Monate später nicht aufhielt. Kritik an ihren Umtrieben in der rechten Psychoszene weist sie als »üble Verleumdung« zurück: Sie gehöre »keiner Sekte und keiner Religion« an.

Der grüne Wahlcoup mit Barbara Rütting war ein voller Erfolg. Die Partei stellt nun, wenn die Grünen sonst schon nichts zu melden haben im Bayerischen Landtag, in dem die CSU dank neu gewonnener Zweidrittelmehrheit tun und lassen kann, was ihr beliebt, die Alterspräsidentin. Rütting, bald 76, darf also am 6.Oktober die erste Sitzung einläuten. Im Übrigen ist die Rütting-Strategie der Grünen nicht neu, seit je setzt man auf das esoterisch angehauchte Wählerpotenzial, auch die endlose Verzögerung des seit Jahren geplanten »Lebensbewältigungshilfegesetzes«, das zumindest den allergrößten Unsinn innerhalb der gewerblichen Psycho- und Wunderheilerszene verhindern könnte, geht auf sein Konto. Nicht wenige der führenden Grünen, Bundestagsvizepräsidentin Antje Vollmer vorneweg, hatten und haben auch keinerlei Scheu, ihre persönliche Affinität zu esoterischen Hirngespinsten in aller Öffentlichkeit zu bekennen, vergleichbar dem demonstrativen Bekenntnis zu einer der christlichen Großreligionen bei Unionspolitikern. Die bayerische Spitzenkandidatin der Grünen, Margarete Bause, verstieg sich gar dazu, als Stargast in Winfried Noes Fernsehshow »Sternenhimmel« aufzutreten, um dort nach ihrer und der Zukunft ihrer Partei zu fragen. Astrologie als Wahlhilfe: Immerhin schaffte sie prognosegemäß den Sprung in den Bayerischen Landtag. Von Rütting war in Noes Vorhersagen allerdings noch nicht die Rede: Sie war zum Zeitpunkt seiner Horoskopeschau noch gar nicht Parteimitglied.