Der dritte Mann

Ermittlungen im Mordfall Lindh

Wie mitten in einem Déjà-vu-Erlebnis muss sich der schwedische Rechtsanwalt Gunnar Falk in der vorletzten Woche gefühlt haben. Der Jurist hatte die Verteidigung des mittlerweile freigelassenen Mannes übernommen, der zunächst beschuldigt worden war, die Außenministerin Anna Lindh erstochen zu haben.

Bereits kurz nach dessen Inhaftierung hatte die schwedische Boulevardpresse die komplette Lebensgeschichte des Per-Olav S. veröffentlicht – trotz massiver Kritik seines Anwalts an den gegen geltendes Presse- und Persönlichkeitsrecht verstoßenden Schlagzeilen. Denn Gunnar Falk verteidigte schon einmal einen Mann, der kurz im Verdacht stand, einen Spitzenpolitiker umgebracht zu haben. Auch damals musste der angebliche Attentäter nach kurzer U-Haft wieder freigelassen werden.

Die sozialdemokratische Tageszeitung Arbetaren musste dem Unschuldigen wenig später ein Schmerzensgeld in Höhe von umgerechnet 20 000 Euro zahlen, da das Blatt den Namen und ein Bild des Unschuldigen veröffentlicht hatte. Das schwedische Presserecht ist immerhin das älteste der Welt, bereits 1916 wurde ein Presserat installiert, der sich um Verstöße und Beschwerden von Bürgern kümmert. Auch im Fall des Per-Olav S. gab es massive Verstöße gegen das geltende Presserecht. Die Zeitung Aftonbladet nahm entsprechende Vorwürfe immerhin so ernst, dass der Chefredakteur und der Chef vom Dienst die Berichterstattung auf einer ganzen Seite im Blatt rechtfertigten.

Der Konkurrenzdruck sei in diesem Fall enorm gewesen, erklärten sie, schließlich habe das ganze Land ein starkes Interesse an den Beweggründen des mutmaßlichen Täters gehabt. Immerhin, so entschuldigten sich die beiden Journalisten, sei der Name des Verdächtigen nicht genannt worden.

Letzten Mittwoch nun wurde ein 24jähriger Mann unter dringendem Tatverdacht verhaftet. An seiner Baseballkappe befand sich Blut, das nach einer DNA-Untersuchung eindeutig Lindh zugeordnet werden konnte, erklärte die Anklagebehörde. Weitere Beweise sprächen eindeutig dafür, dass der Mann die Außenministerin ermordet habe.

Zudem scheint er auch ein Motiv zu haben. Denn auch wenn die Boulevardzeitung Aftonbladet ausdrücklich weder Namen noch Foto des Verdächtigen veröffentlicht – im Gegensatz zur seriösen Dagens Nyheter –, so sind doch wieder viele Details aus seinem Leben bekannt geworden.

Der Mann soll, wie viele serbischstämmige Schweden, Anna Lindh gehasst haben. Die Außenministerin hatte im Kosovo-Krieg mit der traditionellen Neutralitätspolitik ihres Landes gebrochen und am 25. März 1999 bei einem Treffen der EU-Außenminister in Berlin erklärt: »Die Nato-Angriffe auf serbische Ziele im Kosovo sind meiner Meinung nach unausweichlich – die Alternative wäre noch mehr Gewalt der Serben gegen die albanische Bevölkerung gewesen.«

Zum ersten Mal, so der Konfliktforscher Wilhelm Agrell, sei die schwedische Gesellschaft damals für einen Krieg gewesen, »anders als bei den Irak-Kriegen war von der Friedensbewegung nichts zu hören. Die serbischen Einwanderer waren die einzigen, die protestierten.« Der psychisch labile Tatverdächtige habe Anna Lindh gehasst, bestätigten Freunde bereits. Und fügten hinzu: »Er war es aber sicher nicht. Die Polizei hat den falschen Mann erwischt.«

elke wittich