Es liegt ein Schleier über der Stadt

… den meine Mutter noch nicht weggewaschen hat. doris akrap über Emanzipation ohne Kopftuch

Gegner und Kritiker des Kopftuchs in Deutschland sind sich in einem einig: Das Kopftuch zeigt die Identität seiner Trägerin und ihre Herkunft an. Hätte es sonst nicht eine größere Diskussion gegeben, als der Bayerische Verwaltungsgerichtshof im März 2000 zwei Iranerinnen vorschrieb, sich mit Kopftuch für ihre Abschiebeunterlagen fotografieren zu lassen? Die iranischen Behörden verlangen für die Anfertigung von Ausweispapieren ein Passbild, auf dem die Frau verschleiert ist. Die beiden Iranerinnen hatten sich jedoch geweigert, dieses religiöse Symbol zu verwenden, und hatten sich auf ihr nicht religiöses Selbstverständnis berufen. Ihr persönliches Selbstverständnis war den deutschen Behörden aber schlichtweg egal. Während das Kopftuch auf einem deutschen Passbild verboten ist, wurde in diesem Fall die Legitimität des Schleierzwangs von Amts wegen unterstützt.

Bekanntlich ist das Tragen eines Kopftuchs im Schuldienst letzte Woche für nicht verfassungswidrig erklärt worden. In der Urteilsbegründung heißt es, ein gesellschaftlicher Wandel habe stattgefunden, der durch »religiöse Pluralität« entstanden sei. Immerhin, hier wird konstatiert, dass Deutschland ein Einwanderungsland sei und die Gesetze diesem Umstand Rechnung zu tragen hätten. Gleichzeitig wird angegeben, das Tragen eines Kopftuches müsse nicht unbedingt religiös motiviert, sondern könne auch als freiwilliger »Akt der Selbstbestimmung ohne Bruch mit der Herkunftskultur« intendiert sein. Alles Weitere sollen die Länder regeln.

In der Tat sieht man hierzulande immer mehr Frauen mit Kopftüchern. Aber ob dies etwas mit dem Einflussgewinn des Islamismus zu tun hat und das Kopftuch als religionspolitisches Symbol zu bewerten ist, darüber meinen die Richter sich kein Urteil erlauben zu können. Auch wenn sich das islamistische Kopftuch nach allen Regeln der Massenkultur verbreitet, ist es kein Kleidungsstück wie das T-Shirt mit RAF-Symbol. Es ist auch kein folkloristischer Trachtenlook, der bloß die Zugehörigkeit zu einem Alpenverein anzeigt. Das unfreiwillig, freiwillig oder selbstbestimmt angelegte Kopftuch ist ein politisches Kampfsymbol.

Aber die Multi-Kulti-Fraktion der deutschen Kopftuchbefürworter sieht das anders. Hier hat man wie immer viel übrig für Menschen, die sich am besten selbstbewusst und freiwillig zu ihrer Herkunftskultur bekennen. Und dafür eignet sich Fereshta Ludin, die Lehrerin afghanischer Herkunft, die das Urteil in Karlsruhe erstritt, hervorragend. Die Zeit schreibt, Ludin verkörpere das Gegenbild zu den bedenklichen Parallelgesellschaften mit eigenen Gesetzen, spricht die Frau doch, wie die Frankfurter Rundschau beipflichtet, »sanft und akzentfrei deutsch«. Seitens der Islamwissenschaft sei noch völlig ungeklärt, ob das Kopftuch überhaupt ein religiöses Symbol sei. Und schließlich gehe es darum, so die Argumentation von Heribert Prantl in der Süddeutschen Zeitung, das Selbstbewusstsein von muslimischen Frauen zu stärken, die sich gegen die traditionelle Rolle in häuslicher Abgeschiedenheit wenden.

Den Kruzifixanhängern und Leitkulturdemagogen sind diese Argumente vielleicht gerade noch ein Dorn im Auge, aber den radikalen Islamisten spielen sie geradewegs in die Hände.

Ausgerechnet das Kopftuch zum Symbol für die Selbstbestimmung muslimischer Frauen zu erklären, verspottet geradezu jegliche emanzipatorische Bewegung in den traditionell muslimischen Gesellschaften. Gerade das Abwerfen des Schleiers von Huda Schaarawi in Ägypten war das Fanal für den Kampf der Frauen um Gleichberechtigung in den verschleierten Teilen der Welt. 1979 protestierten im Iran unter Lebensgefahr zehntausende Frauen gegen den Schleierzwang und das Rauchverbot. Zuletzt kam es im Januar dieses Jahres im Iran zu heftigen Auseinandersetzungen mit der Polizei und Paramilitärs anlässlich von Kundgebungen gegen die Zwangsverschleierung, bei denen halb verbrannte Kopftücher auf zentralen Plätzen abgelegt wurden.

Selbst in den Staaten laizistischer Tradition, der Türkei und Frankreich, wird seit einigen Jahren der politische Machtkampf des Islam mit Hilfe des Kopftuchs geführt. Die von der türkischen Regierungspartei AKP geplante Hochschulreform, die die Kopftuchvorschriften liberalisieren soll, löste letzte Woche eine innenpolitische Krise aus. Die Rektoren der Universitäten hatten sich mit Armeegenerälen getroffen, um deutlich zu machen, dass sie das Kopftuch mit allen Mitteln zu verhindern gedenken. Bis zum Regierungsantritt der AKP gab es nach jedem islamischen Freitagsgebet Demonstrationen, auf denen die eindringlichste Parole »Kopftuch, Kopftuch« war. In Frankreich werden seit Jahren Debatten und Rechtsverfahren geführt, die sich um die Durchsetzung des Kopftuchs in Schulen, in privaten Unternehmen und auf dem Passfoto bemühen.

Es ist bezeichnenderweise das Kopftuch und nicht der männliche Vollbart, es ist der Körper der Frau und nicht der des Mannes, der als Waffe der islamistischen Mission eingesetzt wird. Davon, dass kopftuchtragende Frauen nicht auf die Straße gehen dürfen, war nie die Rede. Im Gegenteil, das verhüllte Frauenhaar ist das Symbol, das sichtbar die Durchsetzung islamistischer Vorstellungen verkündet, und nicht nur im Supermarkt, sondern gerade in der Schule, dem Ort, der einen der wichtigsten Räume für religiöse Mission darstellt.

Die Grundlage, auf der Fereshta Ludin ihr Recht auf ein Kopftuch im Unterricht überhaupt erst einfordern konnte, ist der besondere Umstand, dass Deutschland eben kein säkularer Staat ist. In diesem Land hat bekanntlich nie eine Revolution gegen Thron und Altar stattgefunden. Die einzige Rebellion gegen Rom, mit dem Ergebnis, dass Luther seine Haushälterin heiraten konnte, wurde zu dem Preis erkauft, dass neben 20 Millionen Toten im 30jährigen Krieg die protestantischen Kirchen sich unter landesherrliche Oberhoheit stellen mussten und also ihre Unabhängigkeit von Rom verloren und sich vom deutschen Staat abhängig machten. Nach 1945 konnten sich die Kirchen vor den Alliierten als unschuldige Institutionen inszenieren, so ihren politischen Einfluss geltend machen und die Verfassung dementsprechend mitgestalten. Aus der Weimarer Verfassung wurde zwar das Staatskirchenverbot übernommen. Das Gebot der »religiös-weltanschaulichen Neutralität« ist laut Bundesverfassungsgericht aber eher »als eine offene und übergreifende, die Glaubensfreiheit für alle Bekenntnisse fördernde Haltung zu verstehen« und nicht als strikte Trennung zwischen Staat und Kirche.

Auf die vom Verfassungsgericht den Bundesländern überlassene Entscheidung darüber, Gesetze gegen das Kopftuch in Schulen einzuführen, gab es auch positive Reaktionen. Für Berlins Innensenator Ehrhart Körting ist das Kopftuch Ausdruck einer »aggressiven Grundhaltung« der islamischen Fundamentalisten, und deshalb werde er in Berlin das Verbot gleich auf alle Landesbediensteten ausweiten. Wenn sich die Berliner Morgenpost allerdings von kopftuchtragenden Amtsangestellten »beeinflusst und gar bedrängt« fühlt und das Kultusministerium in Baden-Württemberg letzte Woche erfreut meldete, dass nun weiterhin die christlichen Traditionen in den landeseigenen Schulen gewahrt werden können, dann kann man sich vorstellen, dass nicht hinter allen Kopftuchverboten eine laizistische Intention steckt.