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Beitritt mit Krise

Lettland I. Nur wenige Tage nach dem Ja der Letten zum EU-Beitritt steht die lettische Regierung um Ministerpräsident Einars Repse vor dem Aus. Der ehemalige Zentralbankchef ist erst seit elf Monaten im Amt, diese kurze Zeit habe allerdings ausgereicht, um seine Unfähigkeit zur Regierungsführung zu beweisen, hieß es in einer gemeinsamen Erklärung der Koalitionspartner. Repse selbst lehnte einen Rücktritt ab und sagte daraufhin zu lettischen Medien, man werde die Regierungsarbeit notfalls mit einer Minderheitenregierung weiterführen. Die Regierungskrise brach wegen einer missglückten Personalentscheidung zur Besetzung der Spitze des Anti-Korruptionsausschusses aus. Die im Zuge der Abstimmung im Parlament als Chefin des Anti-Korruptionsausschusses abgelehnte Juta Strike wurde anschließend von Repse per Dekret als Sekretärin der Behörde eingesetzt. Diese Maßnahme hatte unter anderem den Vorwurf des Chefs der Ersten-Partei Eriks Jekabsons ausgelöst, Lettland entwickle sich unter Repse in Richtung einer Diktatur.

Ruhe in Frieden, SS!

Lettland II. Rund 5 000 Menschen haben am vergangenen Samstag an der Einweihung eines Friedhofs für Angehörige der lettischen Waffen-SS in Lestene, nicht weit von Riga entfernt, teilgenommen. Die Zeremonie wurde vom lettischen Fernsehen live übertragen, unter den Gästen waren auch mehrere Parlamentsabgeordnete. Die rund 11 000 Namen auf einer Gedenktafel seien eine »Anklage gegen die Sowjets und Nazis«, sagte der Vorsitzende des lettischen Soldatenbundes und frühere Waffen-SS-Soldat, Nikolajs Romanovskis. Die Letten seien gezwungen worden, unter ausländischen Fahnen zu kämpfen.

Nach der Besetzung ihres Heimatlandes durch die Sowjetunion 1940 betrachteten viele Letten den Einmarsch der Deutschen 1941 als Befreiung. Etwa 140 000 Letten meldeten sich auf Seiten der Deutschen im Kampf gegen die Sowjetunion zur Waffe, die meisten von ihnen dienten in der Waffen-SS. Während der Nazi-Besatzung wurden die rund 70 000 Juden in Lettland ermordet.

Glückauf!

Polen. Rund um das polnische Bergbaugebiet Katowice ging am Freitag vergangener Woche nichts mehr. 2 000 Bergleute blockierten für mehrere Stunden alle wichtigen Straßen der Region. Dazu kamen die Eisenbahnarbeiter, die sich mit den Kumpels solidarisch erklärten und kurzerhand eine Stunde die Zugverbindung nach Warschau lahm legten. Es war bereits der vierte Protesttag der Bergarbeiter in diesem Monat. In den kommenden Jahren sollen mehrere zehntausend Arbeitsplätze im Bergbau wegfallen. Für Anfang des nächsten Jahres plant die Regierung, das Bergwerk bei Bytom zu schließen. Dadurch würden 8 500 Menschen ihren Arbeitsplatz verlieren. In der Region liegt die Arbeitslosigkeit bereits bei über 30 Prozent. Die Regierung hat angeboten, die Entlassenen könnten in anderen Gruben unterkommen. Jedenfalls diejenigen, die sich nicht mit einer Abfindung abspeisen lassen oder zwangsweise in den Frühruhestand geschickt werden. Die meisten Bergarbeiter halten das Angebot bei der hohen Arbeitslosigkeit für blanken Unsinn. Aufgeschreckt von den Protesten, die von vielen in der Bevölkerung gut geheißen werden, forderte Staatspräsident Aleksander Kwasniewski die Regierung auf, die Sorgen der Bergarbeiter ernst zu nehmen.

Staatsmann des Jahres

Italien. Mehr als elf Millionen Italiener durften Anfang vergangener Woche ihren Regierungschef in einer Satiresendung als Sänger und Kabarettisten in einem Video erleben, in dem er, ganz in Weiß gekleidet, vor einigen Gästen am Swimmingpool seiner Villa in Sardinien ein Liebeslied darbot. Wenige Tage darauf versuchte Silvio Berlusconi bei einem Wall-Street-Besuch am Rande der UN-Vollversammlung in New York US-amerikanische Investoren nach Italien zu locken: Die Kommunisten seien jetzt weg und außerdem gebe es in Italien »hinreißende« Sekretärinnen, richtig »erstklassige Mädchen«.

Dass Berlusconi vergessen zu haben scheint, wie viele Juden und Oppositionelle während der faschistischen Diktatur in Italien ums Leben kamen, hat seine Unterstützung des Irakkriegs und Israels wieder gutgemacht. Zumindest für die amerikanische Anti Defamation League, die vergangene Woche Berlusconi mit dem so genannten Distinguished Statesman Award auszeichnete. Abraham Foxman, Vorsitzender der Organisation, sagte, Berlusconi habe mehr Verständnis und Feingefühl gezeigt als jeder andere europäische Staatschef. Drei Nobelpreisträger, Paul Samuelson, Franco Modigliani und Robert Solow, hatten Berlusconis Auszeichnung in einem in der New York Times veröffentlichten Brief als schockierend bezeichnet. Immerhin.

Europa protestiert

Großbritannien, Frankreich, Türkei u.a. In mehreren europäischen Metropolen haben zehntausende Menschen gegen die Besatzungspolitik im Irak protestiert. In London zogen rund 100 000 Menschen vom Hyde Park zum Trafalgar Square. Die Demonstranten forderten ein Ende der Kampfhandlungen und den Rücktritt von Premier Tony Blair. In Anspielung auf die Affäre um das aufgebauschte Regierungsdossier zu den irakischen Massenvernichtungswaffen hieß es auf den Plakaten in London »No more lies«, und aus Blair wurde »B.liar«. Bei der Abschlusskundgebung kritisierten unter anderen Londons Bürgermeister Ken Livingstone und Regisseur Ken Loach die Irak-Politik der britischen und der US-Regierung. Auch in Paris gingen mehrere tausend Menschen auf die Straße, um gegen die Besetzung des Irak zu demonstrieren. In Istanbul versammelten sich rund 3 000 Demonstranten, um gegen die Militärpräsenz der USA im Irak zu protestieren. Zugleich gaben sie ihre Unterstützung für die Intifada kund. Der Protest richtete sich auch gegen ein mögliches militärisches Engagement der Türkei im Irak. Noch hat die türkische Regierung nicht entschieden, ob sie Soldaten als Teil einer Stabilisierungstruppe ins Nachbarland entsenden wird.