Sleeper Cell

Hauptquartier, Meldung 3248

Der Tag ist heiß. Unsere Augen tränen wie verrückt. Wir haben die Hitze und Sonne mal gemocht. Jetzt machen sie uns nur noch fertig. Ich sitze im Fond unseres Wagens und studiere Gehirnfilme. Hannah sagt, ich sei krank, obwohl ich mich in solchen Momenten wie Gott fühle: Befreit vom Komfort, den sie alle Wahrheit nennen.

Hannah hat mit dem Hauptquartier gesprochen. Sie sind überzeugt, dass ich ein bisschen Erholung brauche. Zwei Wochen. Das ist alles.

Hannah fragt jetzt, ob wir bei Starbucks oder In-N-Out-Burger halten sollen. Ich antworte nicht. Ich bin ein bisschen angespannt, das stimmt schon; man wird eben nicht jeden Tag in so eine Art Betty-Ford-Klinik für Popkult-Geschädigte eingeliefert. Doch wenn ich es mir genau überlege, dann liefert dich niemand grundlos ein, der dich liebt. Davon ging ich jedenfalls aus. Sonst hätte mich Hannah auch gleich umbringen können. Peng.

Was sie in der Sleeper Cell nicht mehr akzeptieren wollte, war meine intakte Überzeugung, dass die Hinwendung der Aufmerksamkeit auf Berühmtheiten, Stars und das Regime des Images zentral für die Funktionsweise des kollektiven Gehirns sei. Hannah hält dies für krank. KRANK.

Unsere Fahrt endet in einem abgelegenen Seitental der Mojave-Wüste, nahe der Ortschaft Yucca Valley. Ein helles modernes Gebäude glänzt jetzt im Fels. Die Serrano-Klinik liegt eingebettet zwischen riesigen Felsformationen, wo Wandzeichnungen von Serrano-Indianern entdeckt wurden, tausende von Jahren alt. Nur bestimmte Schamanen durften diese Petroglyphen zeichnen und dabei dokumentieren, was sie während der Wüstentrance erlebten.

Diese Klinik soll einer Kette von exklusiven Erholungsheimen angehören, die der Betty Ford-Klinik nahe stehen und sich auf die gleichen ethischen Werte berufen: Je mehr du bezahlen kannst, desto kränker machen wir dich.

Es stimmt schon, meine Lage hat sich in den letzten Tagen wieder verschlechtert. Die Gehirnfilme sind wieder da. Und dann kam noch dieser Bombenteppich aus Rückblenden dazu: Die verdammte Los Angeles Times hat vor wenigen Tagen mal wieder eine kleine Geschichte über mich gebracht. Bloß weil ich vergangenen Mittwoch nach drei Jahren Abwesenheit per offiziellem Auftrag bei einem Gruppeninterview im Four Seasons Hotel aufgetreten war – Gespräch mit Quentin Tarantino wegen »Kill Bill«. Die L.A. Times hatte mich als »The Bad Guy of German Journalism« betitelt, dazu die alte Nummer laufenlassen, wie ich die deutschsprachige Welt über mehrere Jahre mit der neuen Cameron, dem neuen Brad, dem neuen Bruce angefixt haben soll. Dabei soll ich u.a. in Abgründe geschaut haben, in die niemand vor mir geschaut hat. Es wurden in dieser Story auch ehemalige Kollegen von mir zitiert, Leute wie Ulf Poschardt oder mein ehemaliger Agent Matthias Landwehr, die sollen behauptet haben, ich sei in Hollywood wahnsinnig geworden.

Es ist jetzt kurz nach vier Uhr nachmittags. Die Wüste sieht um diese Zeit noch ein bisschen sinnloser aus. Ein Betreuerteam in weißen Anzügen empfängt uns vor der Einfahrt. Mein Name wird ausgerufen. Hannah ist verschwunden. Ich werde von einem großen, kräftigen Menschen, einem Betreuer, auf eine menschenleere Terrasse geführt. Er weist mir einen Liegeplatz mit Fernsicht zu.

Vor mir liegt jetzt ein Tal, so eine Art amerikanische Urlandschaft, wüst, flach, verlassen. Es herrscht totale Geräuschlosigkeit, wirklich sehr schön, während über mir die Kronen der Palmen leicht kreisförmig schwanken. Das ist vorerst alles.

»Sleeper Cell« erscheint als anonymer Kolumnenroman.