Subvention für die Stütze

Die EU-Kommission stimmt dem französischen Rettungsplan für Alstom zu. Für die Beschäftigten heißt das nicht viel. von bernhard schmid, paris

Die Vorarbeiter und Abteilungsleiter vergleichen zurzeit die Krankheits- und anderen Fehlzeiten aller Beschäftigten, um jene auszusortieren, die demnächst beim Arbeitsamt vorstellig werden können. So lautet eine Nachricht – vielleicht ist sie auch nur ein hartnäckiges Gerücht –, die derzeit im ostfranzösischen Belfort kursiert.

Dort hat seit 125 Jahren die führende Maschinen- und Anlagenbaufirma Alstom, die bis vor einigen Jahren noch auf die Namen Compagnie Générale de l’Electricité (CGE) und Alcatel hörte, ihren Hauptsitz. Doch dem Konzern, der unter anderem den französischen Hochgeschwindigkeitszug TGV baute, geht es schlecht: Im vorigen Geschäftsjahr verlor er 1,38 Milliarden Euro bei insgesamt 21 Milliarden Umsatz. Im Juli dieses Jahres gab die Direktion Alarm, nachdem für den Monat Mai die besonders schlechten Verkaufsziffern eingetroffen waren.

Daran, dass mangelnde Effizienz bei der Ausbeutung menschlicher Arbeitskraft geherrscht hätte, kann es nicht gelegen haben. Im Gegenteil macht Alstom mancherorts von »modernsten« Methoden der Prekarisierung und Flexibilisierung Gebrauch, insbesondere auf seinen Werften im Atlantikhafen von Saint-Nazaire. Das riesige Kreuzfahrtschiff »Queen Mary 2« etwa, das zum Jahresende auslaufen soll, wurde hier großenteils von ausländischen Subfirmen gebaut, die jeweils für nur wenige Monate Arbeitskräfte unter prekärsten Konditionen importierten, und oft unter arbeitsrechtlichen Bedingungen, wie sie in den Herkunftsländern üblich sind.

Das Ergebnis lässt sich an den sozialen Konflikten auf den Alstom-Werften in den Chantiers Navals de l’Atlantique in Saint-Nazaire ablesen. Im März 2003 streikten dort die Inder, im April die Griechen. Und Mitte August blockierten rumänische Arbeiter die Werft, die seit Monaten keinen Lohn von ihrem Arbeitgeber – einer rumänischen Firma, die kurz vor der Pleite stand – erhalten hatten.

Rote Zahlen allerdings schreibt der High-Tech-Konzern Alstom aus anderen Gründen. In seinem Sektor erfordern die hergestellten Produkte eigentlich Vertrauen auf die »Zuverlässigkeit« über einen längeren Zeitraum hinweg. Viele Alstom-Anlagen, wie der TGV oder Bestandteile für Atomkraftwerke, müssen mindestens 20 Jahre gewartet werden. Dabei ruft eine zunehmend auf kurzfristige Gewinnerwartungen ausgerichtete Unternehmenspolitik mitunter Widersprüche hervor, die ihren eigenen Protagonisten zum Verderben werden können.

Beispielsweise wurde im Jahr 1998 – bei Börseneinführung des neuen Konzerns GEC Alstom, der damals aus einer Fusion des französischen Elektro-Unternehmens Alcatel mit dem vergleichbaren britischen Unternehmen General Electric Company hervorging – einfach mal beschlossen, eine »Superdividende« von 1,22 Milliarden Euro an die Aktionäre auszuschütten. Durch solche und ähnliche Entscheidungen wurde das Eigenkapital des neuen Konzerns durch seine Eigentümer »ausgetrocknet«.

Als Alstom ohnehin angeschlagen war, riss die Krise in der US-Tourismusbranche nach dem 11. September 2001 den Konzern zusätzlich hinab. Der Bankrott des nordamerikanischen Kreuzfahrtunternehmens Renaissance, Ende September 2001, bedeutete den Verlust eines Großkunden für die Alstom-Werftbetriebe.

Eigentlich sollte man denken, die schlechten Nachrichten gehörten wenigstens, was die Arbeitsplätze betrifft, bereits wieder der Vergangenheit an. Denn am Montag voriger Woche stimmte die Brüsseler EU-Kommission doch noch dem so genannten Rettungsplan für Alstom zu, den die französische Regierung vorgelegt hatte. Voraus ging eine zeitweise scharfe Polemik zwischen Paris und Brüssel. Der für das Konkurrenzrecht zuständige EU-Kommissar Mario Monti hatte zunächst mit einem Veto wegen Behinderung des freien Wettbewerbs, der eben grundsätzlich auch den Untergang des wirtschaftlich Schwächeren oder Angeschlagenen beinhaltet, gedroht.

Am Ende hatte sich faktisch die Pariser Haltung durchgesetzt. Nach dem ursprünglichen Plan, der Anfang August vorgestellt wurde, hätte der französische Staat 300 Millionen Euro Kapitaleinlage bei Alstom leisten sollen, womit er ein knappes Drittel der Gesellschaftsanteile hielte. Zudem sollte er damals 200 Millionen Euro an Krediten mit mittelfristiger Laufzeit geben.

Um den Anforderungen der EU-Kommission zu genügen, griff die französische Regierung auf eine juristische Eigentümlichkeit zurück, in Gestalt einer so genannten Wandeleinlage: Wenn eine vorab festgeschriebene Bedingung eintritt, in diesem Fall das spätere grüne Licht aus Brüssel, bilden die 300 Millionen vom Staat eine Kapitaleinlage. Bleibt die Bedingung aber aus, dann verwandeln sie sich in einen Langzeitkredit über 20 Jahre, der dann zurückbezahlt werden muss.

Zugleich mit den 300 Millionen, die Paris dafür ausgibt, gewährt der Staat nunmehr 500 Millionen Euro an Krediten mit teils mittlerer, teils längerfristiger Laufzeit. Damit hat sich die Staatsintervention gegenüber dem ursprünglichen Plan, der wegen Verstoßes gegen marktliberale Lehrsätze beanstandet wurde, sogar noch ausgeweitet. Statt 500 Millionen sind nun 800 Millionen Euro staatlicher Mittel eingeplant.

Gerechtfertigt wurde der staatliche Eingriff vor allem mit dem Argument der Sicherung bedrohter Arbeitsplätze. Derzeit beschäftigt der Alstom-Konzern weltweit 118 000 Lohnabhängige, davon 28 000 in Frankreich und 11 000 in Deutschland.

Doch um die Arbeitsplätuze der abhängig Beschäftigten geht es in Wirklichkeit zuletzt. Tatsächlich beinhaltet der jetzige Rettungsplan keinerlei verbindliche Regel in Sachen Beschäftigungssicherung, was vor allem die Gewerkschaften wie die CGT bei Alstom beklagen. Und die Arbeitsplatzentwicklung bei Alstom weist ohnehin eine deutliche Tendenz nach unten auf, auch ohne brachialen Einschnitt durch einen Bankrott.

Im Jahr 2001 zählte der Konzern weltweit noch 143 000 Beschäftigte. In diesem Jahr sind es bereits 25 000 weniger, und ein weiterer Abbau von Arbeitsplätzen ist garantiert, da die Kredit gebenden Banken auf rasche Sanierung drängen. Glaubt man den Zahlen der Wirtschaftszeitung Les Echos, dann werden dem Konzern in naher Zukunft mit 75 000 nur noch die Hälfte der Beschäftigten verbleiben, die er noch im vorletzten Jahr zählte.

Ein Mitarbeiter am Hauptsitz in Belfort wird von der französischen Presse mit den Worten zitiert: »Wollen Sie die Wahrheit wissen? Die 800 Millionen vom Staat werden dazu dienen, die Sozialpläne und Entlassungen für uns zu finanzieren.«