Was tun, damit’s brennt

Ein Interviewband würdigt das 35. Jubiläum des Kaufhausbrands von Frankfurt. von alfred hackensberger

Heute gibt es in Deutschland nur noch wenige kritische Geister, für die eine Revolution eine absolute Notwendigkeit darstellt. Gewalt als Mittel zur Verbesserung der Gesellschaft ist in der Regel keine Diskussionsgrundlage mehr. Dies war in der Geschichte der BRD nicht immer so, wie das Buch »Wir kamen vom anderen Stern« zeigt, das zum »35jährigen Jubiläum« der Kaufhausbrandstiftung von 1968 erschienen ist. Die Brandbomben in den Frankfurter Kaufhäusern Schneider und Kaufhof gelten als Beginn des bewaffneten Kampfes in der BRD.

Das Erinnerungsbuch basiert hauptsächlich auf einem Gespräch mit Thorwald Proll, der bereits einen Tag nach dem Anschlag, am 2. April 1968, zusammen mit Andreas Baader, Gudrun Ensslin und Horst Söhnlein verhaftet und der Tat angeklagt worden war. Angereichert wird das Ganze mit einigen faksimilierten Flugblättern der Zeit, Dokumentationen zum Prozess, Zeitungsausschnitten, einigen Fotos und einer kleinen Chronik zum bewaffneten Kampf der Jahre 1963 bis 1977. Interviewt wird Thorwald Proll von Daniel Dubbe, einem Schriftsteller und Journalisten, der auch einige Drehbücher gemeinsam mit Uwe Schrader geschrieben hat. Um es vorwegzunehmen: Leider entwickeln sich in dem über 100 Seiten langen Gespräch selten wirklich interessante Dialoge, was wohl in erster Linie am Interviewer liegt, der anscheinend vor der Historie und seinem Gegenüber ehrfurchtsvoll in die Knie geht. Dabei gäbe es viel mehr zu erzählen, nicht nur für die Omas und Opas der Revolution, die sich ihren Teil dazu denken können, sondern gerade für die Nachgeborenen, für die jene Zeit zum großen Teil ein weißer Fleck auf der Landkarte ist.

Über die Beweggründe derjenigen, die an der Brandstiftung in zwei Kaufhäusern in Frankfurt beteiligt waren, erfährt man wenig. Daniel Dubbe ganz am Anfang des Buches: »Um sofort in medias res zu gehen: Wie seid ihr auf die Idee gekommen, ein Kaufhaus anzuzünden? Thorwald Proll: Die Frage meines Lebens. Die Antwort findest du vergebens.«

Ein netter Reim, aber das ist auch schon alles. Nachgefragt wird nicht. Interessanter wird es, wenn über den Prozessverlauf, über die Clownerien, politischen Statements und Störungen während der Verhandlungstage, die typisch für politische Verfahren dieser Zeit im Umkreis der Studentenbewegung sind, gesprochen wird. »Vor einer solchen Justiz verteidigen wir uns nicht«, das Schlusswort der Angeklagten, das Thorwald Proll alleine verfasste, ist im Anhang des Buches komplett nachzulesen.

Eine der nächsten Stationen ist Paris, wo Baader, Ensslin und Proll untertauchen und auf Geld und ein Auto warten. Die Haft war am 13. Juni 1969 bis zur Entscheidung über die Revision des Urteils zur Brandstiftung ausgesetzt worden.

Sie kommen in der Wohnung des Che-Guevara-Gefährten und späteren Mitterrand-Beraters Regis Debray unter, der gerade in Südamerika ist. Bei dem Namen Debray macht Daniel Dubbe einen seiner vielen Hofknickse großen Namen gegenüber: »Es muss euch doch was bedeutet haben, dass ihr ausgerechnet in dieser Wohnung aufgenommen wurdet?« Aber Thorwald Proll bleibt gelassen: »Ja, vielleicht. Weißt du, damals war es so: Wenn du etwas brauchtest, gingst du zu irgendjemandem hin, sagtest: Ich brauche Geld oder etwas Anderes.«

Nachts sind sie oft unterwegs, amüsieren sich. Wie Proll es schildert, ist es eine unbekümmerte Zeit in Paris, fern vom so genannten Fahndungsdruck. Sie können sich frei bewegen, erhalten sogar mehrfach Besuche aus Deutschland, was in späteren »Terroristen-Jahren« ein Ding der Unmöglichkeit ist. »Es kam ja nicht nur jemand und brachte das Geld und das Auto, sondern es kam ein ganzer Pulk von Leuten. Es kam nämlich eine Abordnung dieser Zöglinge, die wollten, dass wir zurückkommen. Sie wollten nicht einsehen, dass wir uns diese Illegalität als Ziel gesetzt hatten.«

Als das Warten ein Ende hat und Geld und das Auto da ist, mit Astrid Proll, seiner Schwester, am Steuer, lässt Thorwald Proll die anderen alleine fahren. »Nein, nein, ich hab schon gedacht: Wir fahren immer weiter. Wir bewegen uns immer weiter. Aber als Astrid dann da war, das Auto, plötzlich gab’s da so ein ... Ich war irgendwie plötzlich gar nicht dazu in der Lage. Ich wollte das nicht. Ich fühlte mich isoliert, nehme ich mal an. Es war vielleicht meine Schwäche. Jedenfalls bin ich dageblieben und meine Schwester hat meinen Platz eingenommen. Sie hat das Auto gefahren. Ich konnte nichts machen.«

Im Herbst 1970 trat Thorwald Proll seine dreijährige Haftstrafe in Deutschland an, während die anderen den Kampf der Stadtguerilla begannen und die RAF gründeten.

Im letzten Drittel von »Wir kamen vom anderen Stern« erzählt Proll aus der Perspektive des Außenstehenden, der einmal dazu gehörte, aber natürlich noch sympathisierte. »Ja, Sympathie hieß Mitleiden. Nicht Mitwissen. Ich war Verwandter, und ich war Freund. Ex-Freund. Dann war ich Alleingelassener. Ich nahm das alles sehr persönlich.«

Proll erzählt über das Gefühl beim Anblick der Fahndungsplakate (»Ulrike Meinhofs Steckbrief war der erste seit Kriegsende 1945«), über Kontakte mit Illegalen (»Vielleicht wollten sie nur mit jemand anderem sprechen, auf intelligentere Art, oder sie brauchten Zuspruch«) und von der Verhaftung seiner Schwester Astrid (»Ist mir natürlich nahe gegangen«). Peinlich wird es nur im letzten Drittel des Buches, für Daniel Dubbe, wie auch für Thorwald Proll, als sich beide an psychologischen Deutungen versuchen und sich dabei besonders auf Andreas Baader stürzen. Da machen sie Reich-Ranicki und bürgerlicher Kulturbeflissenheit alle Ehre. Für Proll war »Andreas zu Beginn wie ein Brandoscher Held, einsam mariniert, von Vorbildern träumend, Liebe eher versäumend. Am Ende wird er eher wie ein Netschajewscher Held werden: Misstrauisch, unberechenbar, grübelnd und düster, der Freiheit Leiden büßt er«. Noch besser kommt es, als Dubbe im Anschluss die tief schürfende Frage stellt: »Was ist überhaupt Tragik?« Sein Geschick als Interviewer beweist er noch einmal an anderer Stelle, als Thorwald Proll berichtet, dass er Baader in dessen illegaler Zeit von einem Balkon aus auf der Straße beobachtet hat. »Welche Etage?« fragt da der wissbegierige Reporter Dubbe nach.

Trotz allem bekommt man einiges von der politischen Stimmung der sechziger und siebziger Jahre mit, als sich Menschen nicht nur damit zufrieden gaben, friedlich zu protestieren, sondern versuchten, Verantwortung als Einzelne für die weltweite Misere zu übernehmen und nicht auf den Anderen zu warten, bis der etwas tat. Sicherlich war das Ganze etwas übereilt und unüberlegt, dazu, jedenfalls am Anfang, von naiver Unprofessionalität und später auch elitär, was eben marxistische Philosophie so mit sich bringt.

Schade an diesem Buch »über 1968, Andreas Baader und ein Kaufhaus«, wie es im Untertitel heißt, ist nur, dass die beiden Gesprächspartner viel zu selten »kritische Distanz« herzustellen versuchen. 35 Jahre nach den Ereignissen hätte man wirklich mehr erwarten können. Stefan Austs Buch, »Der Baader-Meinhof-Komplex« ist z.B. die einzige Quelle, aus der der Interviewer Dubbe sein Gegenüber Proll mit Aussagen konfrontiert. Vielleicht ist es auch die Tatsache, dass beide aus der gleichen Generation kommen. Bei einem jüngeren Fragesteller wäre Proll sicherlich nicht mit diesem Statement durchgekommen, dass er und Andreas Baader, Gudrun Ensslin und Horst Söhnlein die »fantastischen Vier der Studentenbewegung« gewesen seien. Zum einen zeugt das von einem sehr schlechten Musikgeschmack, zum anderen versteht man einfach nicht, was damit gemeint sein soll. Jedenfalls ich nicht. Aber vielleicht bin ich einfach zu jung dafür.

Daniel Dubbe und Thorwald Proll: Wir kamen vom anderen Stern. Nautilus, Hamburg 2003, 125 S., 9,90 Euro