Wir bleiben draußen

Mit dem polnischen EU-Beitritt sind auch die Grenzen dicht: Ukrainer brauchen nun Visa für Reisen in das westliche Nachbarland. von franziska bruder, l’viv

Als besonderer Service wird allen ukrainischen Reisenden auf dem Bahnhof der Hauptstadt Kiew deutlich vor Augen geführt, dass das Nachbarland Polen in Zukunft einem exklusiven Club angehört. Auf den Anzeigetafeln steht seit Anfang September nicht nur, wann Züge ankommen und abfahren, sondern auch, dass ukrainische Staatsbürgerinnen und Staatsbürger für die Einreise nach Polen ein Visum benötigen und dieses rechtzeitig bei der polnischen Botschaft beantragen sollten.

Die Visumseinführung steht natürlich im Zusammenhang mit dem EU-Beitritt Polens, durch den die polnische Ostgrenze zur Außengrenze der EU wird. Ab Oktober besteht Visumspflicht für Menschen aus Weißrussland, Kaliningrad und Russland. Mit der Ukraine wurde eine so genannte asymmetrische Regelung ausgehandelt: Visumseinführung für Ukrainer, aber keine Visumspflicht für Polen bei Einreise in die Ukraine. Dafür wird das Visum für Ukrainer kostenlos sein. Es kann bei einem der fünf polnischen Konsulate in der Ukraine beantragt werden. Wegen der Grenznähe wird der größte Andrang in L’viv erwartet. Bereits Anfang September zeigte das ukrainische Fernsehen Bilder von langen Schlangen und tumultartigen Zuständen vor der polnischen Vertretung in der Westukraine.

Es werden zwei verschiedene Visa ausgegeben: eines zur einmaligen und eines zur mehrmaligen Einreise. Letzteres werden aber, so der polnische Generalkonsul in L’viv, Janusz Jablonski, nur Bahnangestellte, Mitarbeiter von internationalen Speditionsfirmen, Geschäftsleute, die legal mit polnischen Firmen zusammenarbeiten, ukrainische Bürger mit Besitz oder engen Familienangehörigen in Polen und Rentner erhalten. Gerade die letzte Gruppe gibt Anlass zu der Hoffnung, dass der einzige Fußgängerübergang weiter benutzt werden kann. Denn es sind vor allem Bäuerinnen im Rentenalter, die den Kleinhandel betreiben, der das Überleben vieler Familien in der Westukraine absichert.

Viele der Dörfer der Westukraine sind nur schwer mit öffentlichen Verkehrsmitteln erreichbar, einige werden gar nicht von Bussen, geschweige denn von der Bahn angefahren. Daher ist allein die Prozedur der Visumsbestellung und -abholung beim polnischen Konsulat in L’viv sehr zeitaufwändig und beschwerlich. Die langen Schlangen am Konsulat bedeuten zusätzlichen Stress, da niemand wissen kann, ob er im Laufe des Tages überhaupt den Visumsantrag abgeben kann. Im Alltag werden für das offiziell »kostenlose« Visum durch korrupte Angestellte und den Zeitdruck schnell die Preise für eine Abfertigung festgelegt werden.

Die in ukrainischen Zeitungen als »polnisches Modell« bezeichnete Vorgehensweise ist von der ukrainischen Regierung modifiziert auch mit Ungarn, das nächstes Jahr ebenfalls EU-Mitglied werden wird, ausgehandelt worden und wird seit Anfang September praktiziert. Hier sind aber nach wie vor Verhandlungen im Gange, wie mit der Einreise von Privatpersonen umgegangen werden soll. Die ungarische Regierung möchte eine »Einladung« als Grundlage der Visumserteilung vorschreiben, was bislang von ukrainischer Seite abgelehnt wird. Weitere Verhandlungen laufen mit Litauen, der Slowakei und Tschechien.

Die Abschottung funktioniert zielgerichtet. Einerseits soll die Grenze gegen so genannte illegale MigrantInnen noch stärker gesichert werden, andererseits werden von der Europäischen Union mit dem Programm Tacis Millionen Euro in die Errichtung neuer Zollstationen an der polnisch-ukrainischen und ungarisch-ukrainischen Grenze investiert, um die schnellere Abfertigung des Warenverkehrs zu gewährleisten.

Auch laufen seit dem 15. Juni an der polnisch-ukrainischen Grenze Experimente zur vereinfachten Zollregelung, die ironischerweise als »grüner Korridor« bezeichnet werden. Die erklärtermaßen auf Geschäftsleute und Touristen abzielende Regelung sieht vor, dass nach Abgabe der Erklärung, man habe nichts zu verzollen, die Autos ohne weitere Kontrolle zügig durchgewunken werden. An einem neuen Grenzübergang im L’viver Verwaltungsbezirk werden seit dem 20. August zudem nur noch auf polnischer Seite die Dokumente überprüft. Die ukrainische Regierung überlegt ferner, Visa für Touristen aus der EU, den USA und Kanada sowie Japan und der Schweiz generell zu streichen.

Die weitgehenden Zugeständnisse sind nur mit der Hoffnung auf eine Liberalisierung der Visumsregelung der EU zu erklären – eines der strategischen Ziele der ukrainischen Außenpolitik. Die EU hat bislang immer versichert, dass eine liberalere Regelung vor allem von der Entwicklung der ukrainisch-russischen Grenze abhängen werde sowie von der weiteren politischen Orientierung der Ukraine. Dementsprechend führt die Ukraine Verhandlungen mit Russland über die Rücknahme von Flüchtlingen, die über die gemeinsame Grenze einreisen. Und in russischen Massenmedien liest man auch schon mal, dass die Ukraine für eine liberalere Regelung der EU bereit sei, die Visumspflicht für Russen einzuführen.

Mitte September unterschrieb der ukrainische Staatspräsident Leonid Kutschma gemeinsam mit den Regierungschefs Russlands, Weißrusslands und Kasachstans einen Vertrag zur Schaffung eines gemeinsamen Wirtschaftsraumes. Dieser hat im Prinzip ähnliche Vorgaben wie die EU. Perspektivisch sollen eine gemeinsame Währung, Zollfreiheit und transnationale Institutionen eingeführt werden. Günter Verheugen, der als EU-Beauftragter eigens vor dem Gipfeltreffen der GUS-Staaten Mitte September nach Kiew reiste, warnte, dass eine Entwicklung des gemeinsamen Wirtschaftsraumes hin zu einem Zollbündnis die Beziehungen zur EU wie auch den Beitritt der Ukraine zur Welthandelsorganisation ernsthaft erschweren würde. Auch der amerikanische Botschafter in Kiew, John Herbst, betonte einen Tag vor Vertragsunterzeichnung, dass dieses Projekt »nicht den Interessen der Ukraine« entspräche. Allerdings enthält der Vertrag keinerlei zeitliche Vorgaben und jedes Land kann selbständig bestimmen, wann es konkrete Schritte zur Realisierung des Projektes unternimmt.

Statt konkreten Aussagen zur weiteren Gestaltung der Visumsregelung gibt es auf Seiten der EU lediglich Überlegungen, für die zukünftigen Nachbarn einen neuen Visumstyp einzuführen, den Personen kostenlos erhalten können, die auf der anderen Seite der Grenze Verwandte haben. Dieses Visum soll allerdings die Bewegungsfreiheit auf jeweils 50 Kilometer hinter der Grenze beschränken.

Auf dem Treffen hochrangiger Vertreter mittel- und osteuropäischer Länder sowie der EU Anfang September in Krynica, dem polnischen Davos, betonten der polnische Regierungschef Leszek Miller sowie Staatspräsident Aleksander Kwasniewski die strategische Bedeutung der Ukraine. Das hört sich gut an. Allerdings ist ganz klar, dass sich das Land entscheiden muss: Entweder es verbindet sich mit der EU oder mit Russland.