Brave Dritte Welt

Heidemarie Wieczorek-Zeul erhört die »voices of the poor«. Ihr Lob der Entwicklungsländer ist von Bevormundung kaum zu unterscheiden. von martina backes

Wenn Heidemarie Wieczorek-Zeul von sich hören lässt, dann sehr entschieden. Entweder es gibt Applaus oder Rügen werden verteilt. So begrüßte sie die »Standhaftigkeit der Entwicklungsländer« beim Gipfeltreffen der WTO in Cancún ebenso deutlich wie die Ergebnisse der nur eine Woche später stattfindenden Jahrestagung des IWF und der Weltbank in Dubai. Gerügt wurden in jüngster Vergangenheit vor allem die USA wegen der Subventionen an ihre Baumwollfarmer.

Zur Erinnerung: Der Legende nach steht Heidemarie Wieczorek-Zeul mit ihren friedenspolitischen Überzeugungen als »rote Heidi« für den linken Flügel der SPD. Die Leiterin des kleinsten Bundesministeriums trat das ruinöse Erbe ihrer Vorgänger aus der CSU an. Sie strebt an, die »Entwicklungshilfe« aus der Projektitis herauszuführen und als globale strukturpolitische Rahmensetzung in »große Verantwortung« zu stellen. Schließlich nimmt sie die von der Parteilinken lange geforderte Stimme des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) im Bundessicherheitsrat wahr.

Das alles hat ihr die Sympathie vieler politischer Initiativen eingebracht. Doch nüchtern betrachtet ist das entwicklungspolitische Engagement des BMZ geradezu erschütternd. Die Rhetorik, die die Sozialdemokratin an den Tag legt, ist Ausdruck einer Politik, die wie die ihrer Vorgänger gutmütterliche bis paternalistische, wenn nicht gar bevormundende Züge aufweist.

Ein Arbeitsschwerpunkt des BMZ ist der zivile Friedensdienst. Dieser »Akzent« der rot-grünen Entwicklungspolitik solle »zur Verhinderung und zum Abbau struktureller Ursachen gewalttätiger Konflikte und zum Aufbau von Mechanismen gewaltfreier Konfliktbearbeitung beitragen«, erklärte die Ministerin bei ihrem Amtsantritt. Doch die zum Teil im Eilverfahren ausgebildeten Friedensfachkräfte des BMZ und des Auswärtigen Amtes haben bestenfalls die Funktion eines Trostpflasters für die Krisenregionen. Schlimmstenfalls ergänzt ihr Einsatz konventionelle militärische Operationen, wie zum Beispiel in Afghanistan.

Die rote Heidi, stets am »Prinzip des sozialen Rechtsstaates europäischer Prägung« festhaltend, bereicherte Willy Brandts »Entwicklungspolitik als vorsorgende Friedenspolitik« um die modernen Konzepte der »Konfliktbearbeitung«, der »Zivilgesellschaft« und der »Global Governance«. Die »feste Verankerung« dieser Konzepte bei IWF, Weltbank, EU und UN ist Wieczorek-Zeuls großes Ziel.

Mit der EU und der UN sollen vor allem die regionale und die globale Konkurrenz zur US-Weltordnungspolitik gestärkt werden. Die bemühte Rhetorik des »präventiven Vorbeugens« statt der zu »bloßer Reparatur« verdammten Nachsorge entpuppt sich bei genauem Hinsehen als ein Schachzug im Kampf um hegemoniale Macht.

Auch werden die vermeintlich europäischen Werte des zivilen Miteinanders einem neokolonial-imperialistischen Dirigieren gegenübergestellt, wenn die Ministerin beharrlich fordert, auf die »voices of the poor« zu hören. So geschah es etwa, als es in Dubai um die Mitspracherechte der Entwicklungsländer ging. Und so geschieht es auch, wenn demokratische Strukturen als Kriterium der Mittelvergabe im BMZ gefordert werden.

Dabei ist es geradezu lächerlich, den in Dubai ausgehandelten Stimmenzuwachs der Entwicklungs- und Schwellenländer bei Weltbank und IWF von 40 auf 43 Prozent als deutschen Erfolg zu bejubeln. Und wenn bevorzugt jene »Partnerländer« Finanzspritzen erhalten, in denen »die inneren Verhältnisse demokratischen Standards genügen«, oder sie damit belohnt werden, »künftig auch noch stärker zur Kooperation im Sicherheitssektor bereit (zu) sein«, ist kein Unterschied zur US-amerikanischen Einteilung der Staaten in gute und böse mehr zu erkennen.

Auch die Rüge für die US-Agrarpolitik wegen der Subvention ihrer Baumwollfarmer diente der vermeintlichen Abgrenzung von der sturköpfigen US-Politik. Das geradezu euphorische Beklatschen des »standhaften Eintretens« des westafrikanischen Baumwoll-Quartetts für seine Interessen in Cancún zielte in dieselbe Richtung. Wieczorek-Zeul wertete dies als »ein Zeichen dafür, dass die Entwicklungsländer ihr Schicksal selbst in die Hand nehmen«, sich also gegen den Goliath USA zur Wehr setzen.

Verschwiegen wird dagegen, dass europäische Futtermittelhersteller seit dem Verbot von Tiermehl infolge der BSE-Krise die Ölkuchen aus Baumwollsamen in Westafrika aufkaufen. Damit entziehen sie den lokalen Ölmühlen den Rohstoff, viele indirekt von der Baumwollwirtschaft abhängige Menschen haben dadurch kein Einkommen mehr. Keine Rede auch davon, dass die EU und die USA viele westafrikanische Kleinbauern erst dazu brachten, Baumwolle für den Export zu produzieren, indem sie die lokalen Märkte für Getreide und Rindfleisch durch Preisdumping zerstörten.

Die heutige Entwicklungspolitik ist kein bisschen weniger eigennützig als zu Zeiten der Strategie der nachholenden Entwicklung. Empowerment wird zunehmend als Ermächtigung zum Wettbewerb realisiert. Die Zusammenarbeit mit privaten und öffentlichen Akteuren im Trikont dient in erster Linie dazu, die deutsche Wirtschaft zu stärken.

So geschah es beispielsweise durch die Förderung nachhaltiger Energieformen im Süden. »Deutschland ist prädestiniert für diesen Energieansatz«, hieß es in Wieczorek-Zeuls Beitrag zum Umweltgipfel in Johannesburg. Schließlich »wollen wir die Errungenschaften nicht für uns behalten, sondern teilen«. Nicht zur Debatte stand, dass die von Deutschland mit dem Kyoto-Protokoll eingegangenen Verpflichtungen zur Reduktion der Treibhausgase zu einem Teil auch im Ausland realisiert werden dürfen und die deutsche Wirtschaft somit in doppelter Hinsicht profitiert: durch weniger Auflagen und durch einen öffentlich gestützten Zugang zu neuen Märkten. Nach einer Ifo-Studie sichert die Entwicklungszusammenarbeit 240 000 deutsche Arbeitsplätze. Und das soll wohl auch so bleiben.

Was ist dagegen einzuwenden, wenn doch alles der »Armutsbekämpfung« dient und jedes Projekt auf soziale und ökologische Standards sowie Friedensverträglichkeit geprüft wird? Indem das BMZ proklamiert, Marktorientierung diene der Armutsbekämpfung, wenn nur das Prinzip der Good Governance eingehalten und »starke Institutionen« geschaffen würden, kann es beispielsweise Kritik, die wirtschaftliches Wachstum als Armutsursache benennt, mühelos von sich abprallen lassen.

Seine Politik unterstellt, dass Arme und Reiche die gleichen Interessen haben, eine Harmonie zwischen Privatwirtschaft und Zivilgesellschaft wird phantasiert. Das BMZ beansprucht, für alle gleichermaßen sprechen zu können. Nur so lässt sich das Verteilen von Lob und Tadel von Heidemarie Wieczorek-Zeul an Regierungen aus Nord und Süd überhaupt erklären.