Kein Strohmann, nirgends

Holtzbrinck hat endlich den Berliner Tagesspiegel verkaufen können. von wibke bergemann

So einfach geht das: Ist es einem großen Verleger aus kartellrechtlichen Gründen untersagt, zwei große Tageszeitungen in einer Stadt zu besitzen, so überlässt er eben eines der Blätter einem engen Vertrauten. Wie man’s macht, hat vergangene Woche der Verleger Stefan von Holtzbrinck (Handelsblatt, Die Zeit, Rowohlt) gezeigt. Mehr als ein Jahr hatte das Hin und Her um den Zusammenschluß der beiden Berliner Tageszeitungen Berliner Zeitung und Tagesspiegel unter seinem Verlagsdach angedauert: Bereits im Juni 2002 kündigte der Hamburger Verlag Gruner+Jahr an, die Berliner Zeitung an den Holtzbrinck-Verlag zu verkaufen. Im Dezember stoppte das Bundeskartellamt die Übernahme: Weil dem Holtzbrinck-Verlag bereits der Tagesspiegel gehört, würde der Verlag eine marktbeherrschende Stellung bei den regionalen Abonnementzeitungen erlangen. Der Marktanteil wäre mit 61 Prozent fast doppelt so hoch wie der des Mitbewerbers Berliner Morgenpost aus dem Axel Springer Verlag mit 33 Prozent. Holtzbrinck wendete sich daraufhin an Wirtschaftsminister Wolfgang Clement: Der sollte per Ministererlaubnis eine Ausnahmegenehmigung erteilen. Heftiger Protest kam von der Konkurrenz. Der Springer-Verlag drohte im Falle einer Fusionserlaubnis, seine Tageszeitungen Welt und Berliner Morgenpost einzustellen.

Jetzt braucht Clement nicht mehr zu entscheiden. Mit einem geschickten Schachzug ist es dem Verleger Stefan von Holtzbrinck nun wahrscheinlich gelungen, das Kartellamt zu überlisten. Den Tagesspiegel verkauft Holtzbrinck an Pierre Gerckens, einen altgedienten führenden Manager aus dem eigenen Haus. Einer Übernahme der Berliner Zeitung, für die Holtzbrinck bereits den Kaufpreis bezahlt hatte, steht damit wohl nichts mehr im Wege.

Zwar musste Gerckens alle Ämter im Hause Holtzbrinck niederlegen. Dass er als der neue Eigentümer des Tagesspiegel zu einem ernst zu nehmenden Konkurrenten für die Berliner Zeitung unter Holtzbrinckscher Leitung werden könnte, ist dennoch eher unwahrscheinlich. Gerckens ist seit 1968 bei Holtzbrinck tätig, nahezu sein gesamtes Berufsleben hat er in der Stuttgarter Verlagsgruppe, unter anderem als Geschäftsführer beim Handelsblatt, verbracht. Für Holtzbrinck sanierte Gerckens die Regionalzeitung Südkurier und war an der Übernahme der Zeit durch den Konzern beteiligt. Zuletzt saß er im Aufsichtsrat des Handelsblattes und im Beirat des Tagesspiegels. Gerckens galt als enger Vertrauter und rechte Hand von Dieter von Holtzbrinck, der erst vor drei Jahren die Geschäftsführung an seinen Sohn Stefan übergeben hat.

Der Verleger Stefan von Holtzbrinck weist natürlich den Vorwurf zurück, Gerckens fungiere lediglich als Strohmann des Verlags. Die Verkaufssumme, mit der Gerckens den Tagesspiegel übernimmt, wird allerdings nicht preisgegeben. Im September hatte der Zeitschriften-Verlag Bauer 20 Millionen Euro für den Tagesspiegel angeboten, doch Holtzbrinck schlug das Angebot aus. Gerckens wird nun offenbar billiger wegkommen bei dem Deal. Es gehe ihm nicht um eine Optimierung des Verkaufspreises, sagte Holtzbrinck in der Süddeutschen Zeitung. In Gerckens habe man eben einen der erfahrensten und angesehensten Verleger in der Bundesrepublik gefunden. Wie der Mann sich eine eigene Zeitung leisten könne? Als Mitgesellschafter des Handelsblatts habe er »ein nicht unbeträchtliches Privatvermögen erworben«.

Ein solches braucht Gerckens auch. Insgesamt 75 Millionen Euro Schulden hat der Tagesspiegel in den letzten zehn Jahren erwirtschaftet. In der derzeitigen Zeitungskrise scheint es fraglich, ob sich langfristig drei Abonnementzeitungen auf dem Berliner Markt halten können. Denn neben dem Tagesspiegel und der Berliner Zeitung kämpft auch die Berliner Morgenpost mit roten Zahlen. Das Springer-Blatt war im vergangenen Jahr mit der Welt zusammengelegt worden. Eine gemeinsame Redaktion bringt nun die unterschiedlichen Marken heraus. Die Morgenpost gibt sich seither einen stärkeren lokalen Anstrich.

Um eine Ministererlaubnis für den Zusammenschluss zu erlangen, hatte der bisherige Tagesspiegel-Eigentümer Holtzbrinck immer wieder betont, auf dem hart umkämpften Berliner Markt sei der Tagesspiegel alleine, ohne eine Kooperation mit der Berliner Zeitung, nicht zu halten. Ein etwas erstaunliches Argument, hatte der Stuttgarter Verlag den Tagesspiegel doch erst 1992 übernommen. Auch damals war die Übernahme strittig, das Bundeskartellamt hatte nur deshalb zugestimmt, weil mit der Übernahme das Fortbestehen des Tagesspiegels und damit auch die Vielfalt auf dem Berliner Zeitungsmarkt gesichert zu sein schien.

Doch nun läuft es wohl so oder so auf ein engeres Zusammenarbeiten bei den beiden Zeitungen hinaus: Freimütig räumte Holtzbrinck in der vergangenen Woche ein, Gerckens könne als neuer Eigentümer »ganz andere Verlagskooperationen eingehen« als bisher. Viele Dienstleistungen, die aus dem Hause Holtzbrinck zu Verfügung gestellt werden könnten, müssen gar nicht erst neu zustande gebracht werden, sondern könnten einfach weiterlaufen.

Ohnehin ist fragwürdig, ob Gerckens langfristig den Tagesspiegel übernehmen will oder ob seine verlegerischen Ambitionen nur eine Übergangslösung darstellen. Denn schon im kommenden Mai will die Bundesregierung die Pressefusionskontrollen lockern, die die journalistische Vielfalt sichern sollen. Die so genannte Bagatellklausel von 1975 ermöglicht es dem Kartellamt, bei Pressefusionen einzugreifen, sobald der gemeinsame Umsatz 25 Millionen Euro überschreitet, was in anderen Branchen erst ab Umsätzen von 500 Millionen Euro möglich ist.

Die Bundesregierung ist den Interessen der Verleger-Lobby gegenüber durchaus aufgeschlossen. Schon im Mai stellte Bundeskanzler Gerhard Schröder auf dem Jahrestreffen der Journalistenvereinigung »Netzwerk Recherche« in Frage, ob in Anbetracht der Krise auf dem Zeitungsmarkt das jetzige Kartellrecht im Pressebereich noch zeitgemäß sei. Nach einer Liberalisierung der Pressefusionskontrollen wäre ein Rückkauf des Tagesspiegels vielleicht schon im Frühjahr möglich. Gerckens weist das zurück: Er werde auch in zehn Jahren noch der Verleger des Tagesspiegels sein, erklärte er vergangene Woche.

Als kleiner Verleger einer größeren Tageszeitung dürfte Gerckens einen gewissen Seltenheitswert haben in der deutschen Zeitungslandschaft, in der seit Jahrzehnten eine zunehmende Konzentration stattfindet. Sechs große Verlage beherrschen inzwischen einen großen Teil des Zeitschriften- und Zeitungsmarktes: Neben dem Hause Springer, das bei den Tageszeitungen fast ein Viertel der Marktanteile besitzt, gehören dazu Bertelsmann (mit Gruner+Jahr, Mehrheitsbeteiligungen bei der Sächsischen Zeitung und der Morgenpost Sachsen), Bauer (vor allem Zeitschriften, die Magdeburger Volksstimme), Burda (u.a. die Rostocker Norddeutschen Neuesten Nachrichten und die Schweriner Volkszeitung), die WAZ-Gruppe (Westfälische Allgemeine Zeitung, Westfälische Rundschau, Neue Ruhr-Zeitung, Westfalenpost, Thüringer Allgemeine und Ostthüringer Zeitung) und eben Holtzbrinck.

Im internationalen Vergleich scheint das hiesige Zeitungsangebot zwar relativ vielfältig. Doch angesichts der hohen Anzahl der verschiedenen Titel an den Kiosken vergisst man leicht, dass viele Regionalzeitungen den politischen Teil nicht selbstständig bearbeiten, sondern die Mantelteile von anderen Zeitungen übernehmen. Sollte die Bagatellklausel fallen, werden die Übernahmen mittelständischer Regionalzeitungen durch die großen Verlage wohl weiter zunehmen.