Mit Würde in die Pleite

Bei der Trauerfeier für den südkoreanischen Bauernaktivisten Lee Kyeong-hae kam es zu Straßenkämpfen. Die Bewegung protestiert gegen die Politik der Marktöffnung. von christian karl, seoul

Die verzweifelte Lage vieler südkoreanischer Bauern war Lee Kyung-hae gut bekannt. »Einmal kam ich in ein Haus, wo der Bauer sich wegen unbezahlbarer Schulden das Leben genommen hatte, indem er giftige Chemikalien trank«, erzählte er dem koreanischen AgroFood Magazine. Bald darauf nahm auch Lee Kyung-hae sich das Leben, am 10. September stieß er sich auf den Barrikaden von Cancún, unweit des Tagungsortes der WTO-Konferenz, ein Messer in die Brust.

Chooseok, Südkoreas Erntedankfest, stand deshalb in diesem Jahr vielerorts, vor allem in den ländlichen Gebieten, im Zeichen von Wut und Trauer. Lee Kyung-hae war lange Zeit Vorsitzender der Koreanischen Progressiven Bauernkonföderation. Er wolle gegen die »weltweite Politik der Ausrottung der Bauernschaft« protestieren, hatte er vor seiner Tat erklärt. Einige wenige hier halten Lee für einen »verrückten Extremisten«, die Mehrheit der Bauern Südkoreas aber sieht ihn als Opfer der nur auf Profit ausgerichteten Politik der Welthandelsorganisation, müssen sie doch selbst erleben, wie die WTO sie ihrer Existenz beraubt.

Lee Kyung-hae musste das am eigenen Leib erfahren. 1947 geboren, hatte er in Seoul Agrarwissenschaften studiert, bevor er 1974 in seine Heimatgemeinde Jangsu in der Provinz Nord-Jeolla zurückkehrte, um mit viel Idealismus und moderner Technik eine Musterfarm aufzubauen. Neue Methoden der Landwirtschaft machten ihn zu einer Art Guru für südkoreanische Bauern und vor allem für Studenten, die auf seiner Farm moderne, aber naturnahe Verfahren in Viehzucht und Ackerbau studieren konnten.

Als Südkoreas Regierung jedoch 1988 den Markt für Rindfleischimporte öffnete, wurde Lees 300 Tiere zählende Rinderherde über Nacht wertlos. Um Kredite, die er für sein Projekt aufgenommen hatte, zurückzahlen zu können, musste er monatlich etliche Tiere verkaufen, was wegen des Preisverfalls aber kaum etwas einbrachte. Mit den niedrigen Preisen für australische Rinder aus Massentierhaltung konnte er nicht konkurrieren. Lees Farm wurde für bankrott erklärt, die Banken ließen sein Land beschlagnahmen.

Fast alle südkoreanischen Bauern fürchten, dass sie bald ähnliche Erfahrungen machen werden. Die meisten betreiben kleine Familienhöfe, die tief in der Schuld der Banken stehen. »Wenn erst einmal der Markt für alle landwirtschaftlichen Produkte geöffnet ist, dann sind wir bankrott«, prophezeit Anh Byong-son aus einem kleinen Dorf südlich der Hauptstadt Seoul, eingezwängt zwischen dem Berg Kwanak-san und den Hyundai-Hochhäusern von Pyeongchon. »Wir können nicht gegen den Reis aus den USA oder das auf Riesenplantagen geerntete Obst und Gemüse aus China bestehen«, fürchtet die 68jährige, die ihren Lebensunterhalt durch Anbau und Verkauf von Wein und rotem Pfeffer verdient.

Südkoreanische Kunden mögen sich darüber freuen, wenn sie für Obst, Gemüse und Fleisch nicht mehr so tief in die Tasche greifen müssen wie bisher. Äpfel, Tomaten und Gurken sind für die Verbraucher nahezu Luxusgüter. Die Öffnung des derzeit noch hoch subventionierten südkoreanischen Marktes könnte jedoch für viele Bauern das Ende bedeuten.

Schon jetzt leiden die landwirtschaftlichen Betriebe unter vielen Problemen. Die Landjugend zieht es massenhaft in die Städte, in die Universitäten und die IT-Berufe, denn keiner hat mehr Lust, bis zu den Knien im Wasser eines Reisfelds zu stehen. Wenn man durch Dörfer im Süden der Halbinsel fährt, sieht man fast nur alte Leute die mühseligen Tätigkeiten auf den Feldern verrichten. Zwar hat die Regierung Pläne ausgearbeitet, nach denen tausende ethnische Koreaner aus China angeworben werden sollen, aber bisher sind sie nicht verwirklicht worden.

»Realistischerweise«, so Park Sang-yoon, führendes Mitglied der KCTU (Korean Confederation of Trade Unions), »ist die südkoreanische Bauernschaft vom Aussterben bedroht. Das einzige, was wir versuchen zu erreichen, ist, dass das Ganze unter halbwegs würdigen Umständen über die Bühne geht.« Der Kampf um möglichst gute Bedingungen für den baldigen Abgang der südkoreanischen Landwirtschaft wird recht erbittert geführt. An diesem Kampf beteiligen sich nicht nur die Aktivisten der Bauernkonföderation, sondern auch Vertreter der Arbeiter- und der Studentenbewegung.

Vor allem in der Linken geistern jedoch noch Illusionen über eine mögliche Verhinderung der Globalisierung herum. »Viele hier«, so Xu, ein Aktivist der hiesigen anarchistischen Bewegung, »haben noch nicht begriffen, dass ein solcher Kampf nicht zu gewinnen ist. Wir sollten lieber der Globalisierung unter der Vorherrschaft des Kapitals eine Globalisierung von unten entgensetzen.«

Gerade Parteien wie die linke Minju-nodong dang (Democratic Labor Party/DLP) versuchen aber weiterhin, die Illusion zu verbreiten, dass gerade sie dazu befähigt seien, der »Globalisierung wirkungsvoll entgegenzutreten«. Auf einer Protestkundgebung im vergangenen November in Seoul, an der sich 300 000 Bauern und Landarbeiter beteiligten, versuchte die DLP mittels eines Massenaufmarsches ihrer Mitglieder die Anwesenden von ihren Ideen zu überzeugen. Was ihr allerdings nicht einmal im Ansatz gelang. Die Bauern vesuchten lieber, die beißende Kälte mit Soju, dem hochprozentigen koreanischen Nationalgetränk, zu bekämpfen. Hunderttausende nach dem Abschluss der Veranstaltung zurückgebliebene leere Flaschen waren ein eindrucksvoller Beweis der vergeblichen Bemühungen der DLP.

Obwohl viele hier, vor allem die jüngeren Aktivisten, eine Selbsttötung aus Protest rundweg als unsinniges Opfer ablehnen, kam es am 20. September während einer Trauerzeremonie für Lee Kyung-hae in Seoul zu schweren Auseinandersetzungen mit den berüchtigten Anti-Aufruhreinheiten der Polizei. Sie hatten nämlich nichts Dringerendes zu tun, als die Zeremonie permanent zu stören.

»Es ist einfach unerträglich, wie dieser Staat mit unseren Gefühlen und Befürchtungen umgeht«, erklärte ein Aktivist der verbotenen Hanchongryeon (Korean Confederation of University Councils). »Das zeigt uns, dass sie sich auch später nicht an ihre Versprechen halten werden, größere Unannehmlichkeiten für die Bauern im Rahmen der geplanten Marktöffnung vermeiden zu helfen.« Die Vertreter der Bauern und Globalisierungsgegner machten klar, dass sie bei einer weiteren Öffnung des südkoreanischen Marktes für landwirtschaftliche Importe eine Verschlechterung der Lebensbedingungen der Landbevölkerung nicht hinnehmen wollen, und kündigten weiteren Widerstand an.