Falsch spekuliert

Wegen steigender Preise boomt nicht nur der Immobilienmarkt, sondern auch die katalonische Hausbesetzerszene. von inge wenzl, barcelona

Die Rettung erfolgte beinahe in letzter Minute. Die Räumung der Kasa de la Muntanya, eines der ältesten besetzen Häuser Barcelonas, war für die vergangene Woche angekündigt worden. Doch anders als erwartet, erschienen keine Polizisten, die Hausbesetzer blieben unter sich. Ein Prozess, den sie im Juli angestrengt hatten, um die Besitzverhältnisse des Hauses zu klären, verhinderte die Räumung.

Die Kasa de la Muntanya hatte der Graf Güell Anfang des letzten Jahrhunderts als Wachhaus der geplanten, jedoch nie realisierten Gartenstadt am Fuße des heutigen Güell-Parks bauen lassen. Die dicken Steinwände und das massive Holzportal mit dem schweren Türklopfer erinnern noch heute daran, dass das Haus bis Anfang der achtziger Jahre ein Revier der Guardia Civil beherbergte. Danach stand es bis zu seiner Besetzung im Jahr 1989 leer.

Nach dem Abzug der Guardia Civil wurde es nicht, wie ursprünglich vereinbart, der Familie Güell zurückgegeben, sondern dem Finanzministerium zugedacht. Darin sehen die BesetzerInnen einen Rechtsbruch und ihre Chance. »Die Familie Güell ist sehr groß, was bedeuten kann, dass sich der Prozess hinzieht«, hofft Sonia. Sie und die anderen 20 BewohnerInnen können erst mal aufatmen.

Mit Räumungsklagen kämpft derzeit auch eine Reihe weiterer besetzter Häuser und Sozialzentren in Barcelona. Les Naus, eine ehemalige Textilfabrik, besteht seit neun Jahren und ist für Kurse, Feten und Flamencoaufführungen bekannt. Doch die Zukunft sieht düster aus. Die derzeitige Besitzerin, eine Immobilienfirma, scheint keineswegs gewillt, sich ihre Profite wegen einiger romantischer TräumerInnen entgehen zu lassen. Die BesetzerInnen haben zum letzten rechtlichen Mittel gegriffen und die Stadtverwaltung aufgefordert, das Haus zu kaufen und ihnen für ihre Aktivitäten zur Verfügung zu stellen. Ihre Chancen sind jedoch gering.

Für d’Gepeto, den Techniker des Projektes, kommt die Häufung der Räumungsklagen nicht zufällig. »Damit wollen sie die Stadt für das Forum 2004 säubern«, erklärt er. Das Forum ist eine Initiative von Stadt, Region und nationaler Regierung, die der Verständigung der Kulturen und dem Weltfrieden dienen soll. Erwartet werden als Referenten oder Teilnehmer unter anderem Michail Gorbatschow, der Literaturnobelpreisträger José Saramago und der Chefredakteur der französischen Zeitung Le Monde Diplomatique, Ignacio Ramonet.

Neben politischem und kulturellem Input bringt das Forum die perfekte Rechtfertigung für den Bau eines gewaltigen Konferenzzentrums direkt am Meer. Und es bedeutet die Fortsetzung des Abriss-, Bau- und Sanierungsbooms, der vor den Olympischen Spielen im Jahre 1992 begann. So werden die Bodenpreise in Barcelona weiter in schwindelnde Höhen getrieben.

Die spanische Tageszeitung La Vanguardia zitierte kürzlich Zahlen der katalanischen Bank La Caixa vom August dieses Jahres, nach denen sich die Wohnungspreise in Spanien in den letzten sechs Jahren im Durchschnitt fast verdoppelt haben. In Barcelona seien sie sogar um 125 Prozent gestiegen, obwohl 40 Prozent der Wohnungen, die in den letzten vier Jahren innerhalb der EU entstanden, in Spanien gebaut wurden. Auch die Mieten haben zugelegt. Für ein sieben Quadratmeter großes Zimmer mit Fenster zu einem dunklen Innenhof muss man in der katalanischen Metropole inzwischen mit 200 Euro Miete rechnen.

Banken, Politiker und Ökonomen sprechen von einer Immobilienblase. Die Banco de España erklärte bereits im Mai, dass der Wohnraum deutlich überbewertet sei. Und erst kürzlich warnte die spanische Landesbank vor einem Kollaps des Immobilienmarktes, wenn sich die Preisentwicklung nicht verlangsamen würde.

Die Wirtschaftsprofessorin an der Universitat de Barcelona Anna Alabart glaubt jedoch nicht, dass es dazu kommt. Vielmehr ist sie der Ansicht, dass sich die Preise kurzfristig stabilisieren werden, um dann erneut anzusteigen. Nicht mehr die Wohnungssuchenden bestimmen ihrer Meinung nach den Markt in Spanien, sondern die Investoren. »Die Leute kaufen nicht mehr Wohnungen, um darin zu wohnen, sondern um sie zu verkaufen«, erklärt Alabart. Mit 14 Prozent Leerstand ist Spanien derzeit Spitzenreiter in Europa.

Die Wohnungssituation ist auch Thema bei den Mitte November stattfindenden Parlamentswahlen in Katalonien. Die seit 23 Jahren regierende Convergència i Unió (CiU) will bei jungen Menschen bis zu 35 Jahren, Behinderten und vielköpfigen Familien, die ein Eigenheim erwerben wollen, maximal ein Fünftel der Kosten übernehmen. Eine Initiative, die auch ihren eigenen Interessen nützt: Damit wäre die katalanische Regierung Teileigentümerin der Wohnung und hätte im Falle eines Verkaufes das Vorrecht.

Außerdem wollen die Regierungsparteien im Fall eines erneuten Wahlsieges leer stehende Wohnungen mieten und sie unterhalb der Marktpreise jungen Menschen anbieten. Mit diesen Maßnahmen will die CiU nach eigener Aussage nicht nur jungen Menschen eigene Wohnungen verschaffen, sondern auch die Spekulation mit Wohnraum bremsen.

Die oppositionelle Sozialistische Partei Kataloniens (PSC) wirft der Regierung hingegen Wahlbetrug vor. Mit den 18 bis 24 Millionen Euro pro Jahr, die für diese Maßnahmen angesetzt sind, könne sie nur einen Bruchteil der Nachfrage befriedigen. Die PSC selbst will im Falle eines Wahlsieges – ebenso wie die Republikanische Linke Kataloniens (ERC) – Steuererleichterungen für Mieter und mehr Steuern für Eigentümer, deren Wohnungen leer stehen, durchsetzen. Das linke Parteienbündnis Iniciativa Catalunya – Els Verds (ICV) will den sozialen Wohnungsbau vorantreiben und fordert Wohngeld für alle, die ihre Miete nicht bezahlen können.

Dass bei der hohen Zahl leer stehender Wohnungen und den horrenden Mieten die Hausbesetzerszene allen Rückschlägen zum Trotz ebenfalls boomt, verwundert nicht. Albert Martínez, Mitstreiter dieser Bewegung, schätzt, dass es zurzeit in Barcelona und in der Umgebung 125 besetzte Häuser gibt, darunter viele soziale Zentren, die Kurse und kulturelle Veranstaltungen anbieten.