Das Leben ist eine Tupperparty

Tupperware-Beraterinnen sind Protagonistinnen der deregulierten Arbeitswelt. silke kettelhake begleitete eine von ihnen auf der Verkaufstour ins deutsch-arabische Wohnzimmer

Konny Laufer ist erfolgreiche Tupperware-Beraterin und damit eine Pionierin in der deregulierten Arbeitswelt. Noch bevor das Wort Ich-AG erfunden war, arbeiteten Tupperberaterinnen bereits selbstständig auf Provisionsbasis. 24 Prozent vom Umsatz gehören ihnen. Kranken- oder Rentenversicherung sind Fremdwörter. Vorbildung ist nicht notwendig. Entertainerqualitäten sind willkommen, dürfen aber nicht überzogen werden. Denn der Star ist das Produkt, und der trägt Namen wie Salatstar, Topolino, Würzling oder Snackset.

Seit zehn Jahren tourt die 32jährige rundliche Konny Laufer voller Begeisterung durch deutsche Wohnzimmer. Zuhause hat sie einen Mann und zwei Kinder. Er arbeitet bei der Polizei, aber mit seinem Lohn allein würden sie nicht über die Runden kommen. Ihr Haushalt gehorcht den Tupperware-Regeln: Es ist sauber und funktional, alles hat seinen Platz. Selbst die Legosteine der Söhne sind in Plastikbechern nach Größe und Farbe sortiert. Vor der Tür steht der rote Firmenwagen. Auch Feierabend ist ein Fremdwort für Konny Laufer. Ihr Terminkalender ist so voll wie der eines Managers: Meetings, Schulungen, Auslieferungen. Von morgens bis abends klingelt ihr Mobiltelefon. Die einen wollen sich beschweren, die anderen einen Termin für eine Party, die nächsten einfach nur reden.

Das Karrieresystem von Tupperware ist einfach: Wer erfolgreich ist, steigt auf. Es gibt ein komplexes Arrangement aus Belohnungen, Anreizen, Versprechen und Lob: das motiviert. Auf jeder Stufe des Aufstiegs warten neue Herausforderungen und Ansprüche. Wer nicht mehr vor Ort verkauft, organisiert Schulungen, wechselt in die Bezirksniederlassungen. Für die Besten gibt es ein Wochenende in Monte Carlo oder eine Musical-Nacht mit Ehemann in Hamburg. Dafür muss Konny neue Beraterinnen rekrutieren, die neue Absatzkreise schaffen. Ihr Traum ist eine Reise ins luxuriöse Tupperware-Headquarter nach Orlando, Florida. Einmal den Springbrunnen von Earl S. Tupper sehen!

Manchmal, nachts, nach einer langen, nervigen Tupperparty, wünscht sich Konny Laufer zurück in ihr altes Leben. Sie war bei der Polizei, wie ihr Mann. Damals war ihre Welt geordnet, mit geregeltem Einkommen, festen Arbeitszeiten, mit Rentenanspruch und mit Chefs, die bestimmen konnten. Aber dahin will sie nicht zurück, solange sie Kraft hat für den amerikanischen Traum: Du kannst es schaffen, wenn du es willst!

Zu Gast bei Gabi Abdallah

Ein Wohnzimmer in einer Siedlung des sozialen Wohnungsbaus in Berlin-Kreuzberg: An der Wand hängt die Kuckucksuhr neben dem Bild des libanesischen Großvaters mit Kamelherde. »Acht Uhr!« kräht der Kuckuck. Konny Laufer packt ihre Ware aus und ordnet sie auf einem Präsentiertisch an: Snackset, Kühlschranksystem, Würzling, Picknickset. Jede Kundin wird zur Begrüßung ein kleines Gastgeschenk erhalten. Heute ist es der »Topolino«, zum Sahne Ausschenken.

In letzter Minute rückt die blonde Gabi Abdallah an der Salatplatte herum. Es klingelt, die Gäste kommen! Als Gastgeberin einer Tupperparty erhält sie stolz von Konny ein besonderes Geschenk. Nach und nach trudeln ihre arabischen und deutschen Freundinnen ein. Ihren libanesischen Mann und den Sohn hat sie außer Haus geschickt, denn dieser Abend gehört den Frauen.

Der Tisch ist voller Leckereien, und die Frauen tauschen untereinander Rezepte aus. Alle erhalten einen Bestellzettel, auf dem rund 200 Produkte wie »der Eidgenosse, Backe-Backe Kuchen, Rumpelstilzchen, Salatstar oder Wunderschüssel« verzeichnet sind.

Offensichtlich sitzen heute Abend alte Tupperhasen mit ordentlich eingetupperter Küche zusammen. Jede der Frauen ist eine Expertin auf dem Gebiet der Haushaltsführung. Für sie ist die Küche der Bereich, in dem das tägliche Leben effizient gemanagt wird. Die Vorführung beginnt.

Mit dem Hinweis auf atemberaubende neue Produkte verführt Konny ihre Kundinnen zu lauten Ahs und Ohs. Nach dem Ablauf des Standardprogramms zeigt die Beraterin die heiß erwartete neue Linie. Die Ware wird durch die Couchgarnitur reihum gereicht, befühlt, berochen und auf Funktionalität geprüft. Auf den Gesichtern spiegelt sich ein wissendes Lächeln, wenn der so genannte Tupperseufzer mit einem »Ftt!« beim ordnungsgemäßen Schließen der Dose erklingt. Heute Abend geht es um die Mikro 3, die Revolution bei Tupperware. So heißt das Geschirr für die Mikrowelle aus einem neuen hitzebeständigen Material. »Supersache«, »saubere Sache« – Wörter, die Konny laufend benutzt, um die Tupperware zu beschreiben.

Alle sind begierig darauf zu erfahren, wie man das Mikrowellengeschirr handhaben muss. Will man es gewinnbringend verkaufen, muss man es ganz genau kennen. Jedes Tupperwareprodukt ist einzigartig. Um es wirklich zu verstehen, muss man jedes neue Produkt kaufen.

Neuheiten werden in der Tupperwelt mit größter Spannung erwartet. Die Kenntnis der Handhabung der neuen Produkte ist das A und O des Erfolgs einer Beraterin. Und das Puddingkochen geht jetzt so einfach, dass auch mal gefahrlos die Männer in die Küche gelassen werden.

Und dann der heiße Umwelttipp: einkaufen in Tuppertöpfen. »Einfach die bunten Behälter mitnehmen und die Verkäufer bitten, Wurst und Käse ohne Verpackung hineinzulegen!« strahlt Konny.

Gabi Abdallah gibt zu, sich noch zu genieren, will aber die Hemmschwelle beim nächsten Mal überwinden. Alle lachen mit ihr, und mit einer Flasche Asti Spumante wird die Stimmung immer ausgelassener. Endlich kann so richtig über die Männer und ihre Marotten gelästert werden, vom Haushalten haben die ja gar keine Ahnung. Ständen die Frauen nicht immer mit ihren pfiffigen Tipps zur Verfügung, geriete die Welt vollkommen aus den Fugen. Jetzt geht es ans Bestellen. »Soll ich mir das wirklich kaufen?« Stille kehrt ein, jede ist eifrig über ihren Katalog gebeugt. Untereinander wird getuschelt und dann wird die Ware im Katalog angekreuzt. Jetzt gibt es kein Halten mehr, jetzt werden Nägel mit Köpfen gemacht, Entscheidungen gefällt! Und schon hat jede der acht Damen um die zweihundert Euro in Tupperware angelegt.

Bei einem Deckelumtausch leistet Konny echte Überzeugungsarbeit. Schließlich ist die »lebenslange« Garantie einer der Hauptgründe, ein Tupperware-Produkt zu erwerben. Aber wie sieht denn dieser Deckel aus, wer hat denn den so zugerichtet? Unsachgemäße Behandlung, ganz klar. Gabi Abdallah erklärt kleinlaut: »Den hat mein Mann in die Spülmaschine gepackt.« Ein grober Fauxpas, wie das Einfrieren in einfachen Plastikbeuteln. Nun hagelt es Fragen und Antworten. Gerade das Einfrieren ist ein hoch sensibles Thema. Die meisten Männer glauben, Vorratshaltung sei mit einem Griff ins Kühlfach erledigt.

Empört berichtet eine Kundin, ihr Mann werfe Gemüse nach dem Einkauf einfach ins Gemüsefach, dabei gehört Gemüse doch in Paradiso, die Frischhaltebox von Tupperware! Allseitige Entrüstung über Männer im Haushalt ist die Folge, die kann man in der Küche einfach nicht allein lassen. Küchenarbeit ist Frauenarbeit und das ist auch gut so, daran hat die ganze Emanzipation nichts geändert.

Beim letzten Schluck Asti packt Konny schon ihre Ware in die wuchtige grüne Tuppertasche. Auch sie ist sehr zufrieden, der Umsatz ist gut, es hat sich mal wieder gelohnt. Für eine weitere Tupperparty bei einer der Kundinnen hat sie schon den Termin bestätigt. Dafür gibt es natürlich Sternchen und Geschenke. Für 99 Sternchen kann Konny am Losverfahren teilnehmen und vielleicht eine Tupperreise nach Monte Carlo gewinnen. Laut wird sie von den beglückten Kundinnen verabschiedet. Ihrerseits lädt sie die Damen dringend zu einer Produktshow in der Bezirkshandlung Berlin-Mitte ein.

Im Fahrstuhl atmet Konny Laufer erstmal tief durch. Hochschwanger und beleibt wie sie ist, fallen ihr doch manchmal die ewig gleichen Scherze schwer.

In Gedanken ordnet sie die verbleibende Zeit dieses Abends. Zu Hause müssen die Tüten gepackt werden, morgen steht Auslieferung auf dem Plan. Mann und Söhne werden wieder mithelfen müssen. Schmutziger Regen fällt auf die abendliche Stadt. Konny träumt von einer Reise ins sonnige Monte Carlo.

Ehrung unterm Tupperwappen

Montagabend, 17 Uhr, in einem unscheinbaren grauen Gebäude nahe dem Autobahnkreuz Schöneberg. Kein Schild gibt den Hinweis auf die Nutzung, nur ein kleines liebevoll gestaltetes Schaufenster mit Plastikschüsseln zeigt den Weg ins Tupperland an. Hinter einem abgenutzten Tresen hantieren zwei Frauen mit schweren Kartons. Endlich teilen die Mitarbeiterinnen der Bezirkshandlung in durchsichtigen Plastikbeuteln die Ware aus. Gleichzeitig versucht eine Beraterin noch schnell eine Extra-Bestellung zu erbetteln. »Kann ich das nicht noch haben?« fragt sie. Hinter ihr hat sich schon eine Schlange von ungeduldig wartenden Frauen im Alter von zwanzig bis sechzig Jahren gebildet. Schnell die Ware abholen und nach Hause bringen!, scheint jede zu denken.

Konny Laufer lässt der ganze Wirbel nach über zehn Jahren Tuppertätigkeit kalt. Sie hat heute Abend eine wichtige Mission zu erfüllen: Sie wird auf der Bühne unter dem Tupperwarewappen, verziert mit den Insignien des Unternehmens – eine Rose für den Erfolg, ein Narr für den Spaß an der Arbeit, eine Schüssel für das Produkt –, durch ein Meeting führen. Das Meeting ist eine Art Leistungsschau für die Beraterinnen und Gruppenberaterinnen. Sie werden öffentlich belohnt und beklatscht. Das schweißt zusammen.

Im Büro der Bezirksleiterin Sybille Wüstenhagen geht alles drunter und drüber. Mit ihrer Fönfrisur und dem perfekten Make-up könnte sie in jeder deutschen Vorabendserie auftreten. In letzter Minute regelt sie noch ihre Termine für eine Geschäftsreise. Ihr Freund Axel sorgt sich, ob sie denn schon etwas gegessen habe. Axel ist eigentlich Lehrer und verbringt seine freie Zeit in der Bezirkshandlung. Er ist der einzige Mann hier und der gute Geist des Hauses und stellt Sybille eine erkaltete Currywurst auf den Schreibtisch, die sie gleich beim Telefonieren isst.

Im Treppenhaus begrüßen sich Frauen mittleren Alters mit Küsschen auf beide Wangen. Ihre Kleidung ist eher schlicht, trotzdem haben sie sich zurechtgemacht. An den Wänden des Treppenhauses sind unter den Namen der Beraterinnen kleine gelbe Sternchen geklebt. Hier kann jede den Leistungsstand ihrer Konkurrentin einsehen. Je mehr Sterne die andere hat, desto fleißiger muss sie getuppert haben.

Jetzt aber schnell zum Meeting! »Frau Stockfisch, auf die Bühne!« ruft Konny Laufer, die mit Mikrofon bewehrt im Scheinwerferlicht durch den Abend führt. Frau Stockfisch hat für die Firma offensichtlich für einen enormen Umsatz gesorgt und sie hat sich dazu entschlossen, Gruppenberaterin zu werden. Sie darf sich nicht nur ein Produkt vom Präsentierteller nehmen; sie hat auch die Option auf einen Firmenwagen gewonnen! Heftiges Rot überkommt Frau Stockfisch, stumm lächelnd steigt sie bei tosendem Beifall von der Bühne. Jetzt muss sie nicht mehr mühsam mit Bus und Bahn ihre Ware austragen, jetzt hat sie sogar für ein Jahr einen weißen Firmenwagen!

Die betreuenden Gruppenberaterinnen erzählen von den Erfolgen ihrer Beraterinnengruppe, Umsatzzahlen werden verlesen, eine statistische Grafik der Gewinne vorgezeigt. Die Stimmung kocht vor Begeisterung, denn jetzt ist es raus: Die Bezirkshandlung Berlin-City liegt in Deutschland ganz vorne! Im Publikum umarmen sich die Frauen gegenseitig, und der Applaus will nicht enden.

Sybille Wüstenhagen, die Bezirksleiterin, betritt überraschend die Bühne. Damit hatte Konny nicht gerechnet; der Verlauf des Abends war doch minutiös geplant! Sybille nimmt Konny das Mikrofon vom Hals, räuspert sich. Im Raum herrscht Stille. Konny steht fast hilflos neben ihr.

Musik setzt ein, ein beschwingter Walzer, der immer zu besonderen Ehrungen gespielt wird. Lächelnd wendet sich Sybille zu Konny, umarmt die immer noch Unwissende: Konny Laufer bekommt von Tupperware Deutschland, aus Frankfurt, eine ganz besondere Ehrung für ihre Verdienste. Denn innerhalb von sieben Wochen hat sie gleich acht weitere Beraterinnen rekrutiert. Konny ist überglücklich und zu Tränen gerührt. Sie wird nach Brüssel fahren, mit anderen erfolgreichen Gruppenberaterinnen aus dem gesamten europäischen Raum. Dort warten Feinschmeckerrestaurants, ein Galaabend mit einer großartigen Ehrung und eine Werksbesichtigung in der Tupperware-Produktionsstätte in Aalst auf sie. Sybille überreicht ihr einen übergroßen Gutschein und die Frauen umarmen sich herzlich.

Um Konny hat sich ein Kreis von bewundernden einfachen Beraterinnen gebildet. Sie wird von allen Seiten beglückwünscht und um Rat gefragt. Jede träumt von den Aufstiegschancen bei Tupperware. Konnys Traum war schon seit langem die Reise in eine der Herstellungsstätten der Tupperware. Dort wird sie mit Designern und Forschern zusammentreffen, um ihre praktischen Erfahrungen direkt weiterzugeben. Voller Stolz und Dank verabschiedet sich Konny von Sybille. Schade, dass ihr Mann zuhause bleiben muss. Aber Geschäftsreise ist Geschäftsreise, auch wenn sie dem Vergnügen dient.

»So Kinder, jetzt ist es Zeit«, sagt Sybille Wüstenhagen und knipst das Licht in der Bezirkshandlung aus. Wie im Flug sind die drei Stunden in der Tupperwelt vergangen.