Ein Forum für alle

Im Vorfeld des Europäischen Sozialforums gibt es heftigen Streit um das Verhältnis zu islamischen Migranten und Linksparteien. von bernhard schmid, paris

Den Gürtel enger zu schnallen ist jetzt angesagt, nicht nur für die reformgeplagte französische Bevölkerung. Auch das Europäische Sozialforum (ESF), das vom 12. bis 15. November in Paris und drei Vorstädten der französischen Metropole stattfinden wird, muss sparen. Die Etats, aus denen Reise- und Unterbringungskosten für Referenten aus dem europäischen Ausland sowie Übersetzerhonorare beglichen werden, mussten in den letzten Wochen schmerzhaft reduziert werden.

Der Grund liegt in einer Kehrtwende der Konservativen im Regionalparlament der Ile-de-France, die den Großraum Paris umfasst. Im Vorfeld hatte die Regionalverwaltung eine Subvention für die Infrastruktur des Forums zugesagt, ähnlich wie die von Sozialdemokraten und Grünen regierte Stadt Paris. Denn ein Großereignis wie das Sozialforum fördere die Ausstrahlung von Paris als internationale Kongress- und Tourismusstadt.

Doch dann stimmten die bürgerlichen Abgeordneten Anfang Oktober zusammen mit den beiden rechtsextremen Fraktionen von Front National (FN) und Mouvement national républicain (MNR) ab. Zwar wiesen sie einen Antrag des MNR-Parlamentariers Jean-Yves Le Gallou zurück, der eine Verurteilung des Sozialforums wegen »anarcho-trotzkistischer Subversion« verlangte. Doch wenige Minuten später ließ dann ein verschämtes Wahlbündnis der konservativen UMP und der rechtsextremen Fraktionen den vorgeschlagenen Zuschuss in Höhe von 300 000 Euro platzen.

Doch entgegen der Ansicht der Rechtsextremen werden sich beileibe nicht nur Freunde der Subversion beim Sozialforum tummeln. Den Vertretern des staatstragenden Flügels der Bewegung der altermondialisation, der alternativen Globalisierung, geht es darum, das Forum zu nutzen, um sich gegenüber den großen etablierten Linksparteien zu profilieren. Die Energien der sozialen Bewegungen sollen in geordneten Bahnen kanalisiert werden. Um die Ausrichtung und das Profil der Veranstaltung gibt es seit Monaten heftigen Streit.

Einige Mitglieder der französischen Attac-Führung sind bemüht, ihre Organisation als eine Art Think Tank anzubieten, der zur intellektuellen Modernisierung von Sozialdemokratie, Kommunistischer Partei und Grünen – die bis vor anderthalb Jahren zusammen in der Regierung saßen – beitragen soll. Das soll sich konkret in Listenplätzen bei den Wahlen zum Europäischen Parlament im Juni nächsten Jahres niederschlagen, die wiederum als Projektionsfläche für eine angebliche »Umorientierung des europäischen Projekts« hin zu einem positiven Gegenmodell zu den USA dienen sollen.

Zu diesem Flügel gehört der Mitbegründer und frühere französischen Attac-Präsident Bernard Cassen. In der Wochenzeitschrift Marianne erklärte er kürzlich, dass die unteren Schichten der Gesellschaft, die Arbeiter, Erwerbslosen und prekär Beschäftigten, derzeit über keine politische Vertretung verfügten. Es existiere nicht einmal ein Konzept. Sollte aber ein solches Konzept wieder auftauchen, fügte er hinzu, dann »gehört es eher in den Bereich der Politik als in jenen der sozialen Bewegungen«.

Der rechte Flügel von Attac hätte daher das Sozialforum gerne in eine Art Kolloquium verwandelt, wo in ruhiger Atmosphäre nur eine begrenzte Anzahl von Teilnehmern aus verschiedenen europäischen Ländern debattieren sollten. Doch diese Vorstellung konnten Cassen und seine Mitstreiter auf den internationalen Vorbereitungstreffen nicht durchsetzen.

Der Erfolg der Kundgebung der Globalisierungskritiker auf dem südfranzösischen Larzac-Plateau im August, an der rund 300 000 Menschen teilnahmen, hat dieses Vorhaben endgültig verhindert. Daher werden auf dem Forum die unterschiedlichen Konzeptionen zweifellos aufeinander treffen. Und beide Seiten werden bestrebt sein, Punkte zu sammeln.

Eine inhaltliche Klärung vor dem Sozialforum wäre auch bei einem weiteren Streit wünschenswert. Anfang Oktober verursachte der Streit um die Avancen des in Lyon ansässigen Schweizers ägyptischer Herkunft, Tariq Ramadan, großes Aufsehen. Er leitet in Frankreich die Vereinigung Présence musulmane, die vor allem Jugendliche migrantischer Herkunft anspricht, die zwar den Islam als vage kulturelle Selbstzuschreibung beibehalten haben, die Religion aber nicht praktizieren.

Viele von ihnen fühlen sich, gerade angesichts ihrer gesellschaftlichen Benachteiligung, von der Linken oder den Globalisierungskritikern angezogen. Ramadan versucht, diese Jugendlichen wieder zurück zum Islam zu führen, indem er seinen Diskurs mit linken und kapitalismuskritischen Versatzstücken mischt. Von den europäischen Intellektuellen und Linken will er dabei lediglich respektiert werden. Was ihn interessiert, ist der Versuch, eine ideologische Hegemonie über seine »eigene« Community herzustellen. Deswegen spricht er vom »Islam innerhalb der Republik«.

Da das Sozialforum eine offene Struktur aufweist, konnte Ramadan problemlos an den Vorbereitungstreffen teilnehmen. Mit einem eher vorsichtig formuliert Text, der aber dennoch auf eine Polarisierung zwischen den Minderheiten abzielt, sorgte er in den letzen Wochen für Furore.

In seinem Papier beklagt er, dass in Frankreich die Stellungnahmen jüdischer Intellektueller zu den Konflikten im Nahen und Mittleren Osten nicht von universellen Prinzipien, sondern von einer kommunitaristischen Sicht auf Israel geleitet seien.

Dabei stellt sein Text kein offenkundiges Pamphlet gegen die jüdische Bevölkerung dar; Ramadan schreibt beispielsweise, dass auch muslimische Intellektuelle universelle Werte akzeptieren müssten, und verurteilt »den Terrorismus, den Antisemitismus und diktatorische Regime wie in Saudi-Arabien und in Pakistan«, was nicht gerade typisch ist für ein islamistisches Statement. Im Gegenzug richtet er die Forderung an jüdische Intellektuelle, sich gleichermaßen auf einen kritischen Standpunkt gegenüber der israelischen Politik zu stellen.

Insgesamt ist Ramadans Text im Ton einer »Verständigung einer Community mit der anderen« gehalten, und seine Forderung wird von einigen französischen Juden explizit begrüßt. Aber sein Zweck ist es offensichtlich, kommunitaristische Grenzen zwischen Bevölkerungsgruppen hervorzuheben. Einen Fauxpas leistet sich der Softcore-Islamist, wenn er den Nichtjuden Pierre-André Taguieff flugs als »jüdischen Intellektuellen« kategorisiert.

Ramadans Thesen führten in den vergangenen Wochen zu einem heftigen Streit unter den Vorbereitungsgruppen des Sozialforums. Harsche Angriffe trug zuerst SOS Racisme vor, die Ramadan als Antisemiten und Republikfeind bezeichnete. Doch SOS Racisme handelt durchaus in eigener Sache, denn sie beansprucht ihrerseits eine hegemoniale Rolle als Vertreterin der migrantischen Bevölkerung, in der sie aber diskreditiert ist. Sie gilt zu Recht als staatsnahe Organisation und offenkundiger Satellit der Sozialdemokratie. Ihre Anschuldigungen stieß deswegen rasch auf Kritik.

Andere linke Gruppen wiederum wollen die migrantischen Jugendlichen einbeziehen, ohne den Kommunitarismus zu fördern. Dabei wäre eine Unterscheidung zwischen den Kadern und ihrem Publikum sinnvoll. Mit einer Fortsetzung des Streits auf dem Sozialforum ist zu rechnen.