Mit 18 Löchern um die Welt

Im Minigolf wird der Golfsport verkleinert und demokratisiert. Das klappt am besten in einem Land, das zu zwei Dritteln aus ökonomisch kaum nutzbaren Bergen besteht. Eine Beleuchtung eines sehr schweizerischen Phänomens. von francis müller

Minigolf verkörpert alles, was die Schweiz auszeichnet: viel Präzision auf begrenzter Fläche. Weil keine Aussicht auf die Eroberung fremder Kontinente bestand, hat man sich darauf konzentriert, aus dem bestehenden Terrain das Optimale herauszuholen. Denn könnte ein Volk, das die präzisesten Uhren der Welt baut, einen brutalen Sport wie Rugby oder Thai-Boxen entwickeln? Eher nicht. Und könnten die kleinlichen Schweizer das virtuose brasilianische Capoeira oder den melancholischen Tango tanzen? Kaum, meist sehen jene Versuche ein bisschen sehr bemüht aus.

Minigolf ist seelenverwandt mit anderen schweizspezifischen Tätigkeiten wie: Briefmarken sammeln, Modelleisenbahnen bauen, in Schrebergärten Unkraut jäten, Zwergkaninchen züchten. Minigolf ist ein Stück der kollektiven Identität dieses Landes. Zugleich ist es ein Teil unserer individuellen Biografien.

Die meisten von uns sind als Kind auf die mal roten, mal gelben Bahnen mitgenommen worden, sind schon bei der ersten, geraden Bahn genervt gewesen, weil das Ding doch erst beim vierten Schlag ins Loch ging, haben den Ball beim Wassergraben aus der Bahn gedonnert und sind daran verzweifelt, weil er einfach nicht in den engen Tunnel wollte. Wer die 18 Bahnen mit weniger als 60 Schlägen schaffte, hatte Grund zum Jubeln.

Nach dem Spiel gab es einen Coupe Danmark oder ein Eis in einer Plastikorange. Das ist das basisdemokratische Minigolf, das wir alle kennen, das wir belächeln, im tiefsten Inneren aber doch mögen, das wir vielleicht sogar latent vermissen, was wir selbstverständlich nie zugeben würden.

Wo und wann Minigolf seine historischen Wurzeln hat, darüber wird noch heute spekuliert. Im 16. Jahrhundert seien in Schottland Löcher gegraben worden, um das Putten zu üben, ist auf der Website des Schweizer Minigolf-Sportverbandes zu lesen. In den USA ist Jahrhunderte später das so genannte »Clock Golf« entstanden, bei dem der Ball im Uhrzeigersinn auf mehreren kleinen Bahnen eingelocht wurde. In den zwanziger Jahren ist dann in den USA ein Kleingolfspiel entwickelt worden, bei dem durch Scheunentore, Märchenschlösser und Windmühlen gespielt wurde. Diese anarchistischen Verhältnisse sind dann erst im Jahre 1954 strukturiert worden – in der Schweiz.

Dann nämlich eröffnete der Gartenarchitekt Paul Bogni in Locarno die erste homologierte Minigolfanlage – inspiriert durch den Besuch einer Clock-Golf-Anlage an der französischen Riviera. Der Unterschied zu den vorhergehenden Fantasiebahnen bestand darin, dass es bei der Bogni-Bahn möglich war, jede Bahn mit einem As zu spielen.

Wie es sich für einen Schweizer gehört, ließ Paul Bogni seine normierte 18-Loch-Anlage patentieren. Von Locarno aus, wo im kommenden Jahr »50 Jahre Minigolf« gefeiert werden, gingen die Bogni-Bahnen auf Expansionskurs. Sie wurden in der Schweiz, in Italien, Deutschland und Österreich gebaut, bis es 1962 in Europa bereits 200 Bogni-Bahnen gegeben haben soll. Ein weiterer Exportartikel neben Maggi, Ovomaltine und Hero-Konserven.

Vier unterschiedliche Anlagentypen mit jeweils 18 genormten Bahnen gibt es heute, die bei internationalen Wettkämpfen zugelassen sind: erstens die zwölf Meter langen Bogni-Bahnen aus Beton, die es in 100prozentiger und 80prozentiger Länge gibt, zweitens Eternitanlagen mit einer Länge von 6,25 Metern, drittens die so genannte T 5000, eine 6,25 Meter lange Betonanlage, und viertens die Filzanlagen, von denen es in der Schweiz nur zehn gibt.

Der Klassiker ist die meist rote Bogni-Bahn aus Beton geblieben. Ihm konnte auch das 1956 in Hamburg entwickelte und ebenfalls gesetzlich geschützte »Miniatur Golf« nichts anhaben. Die Bahnen der deutschen Version unterscheiden sich vom Schweizer Original darin, dass sie kleiner und transportabel sind.

Mit der Erfindung des Minigolfs wurde die Idee des Golfsports demokratisiert. Das Original ist schon deshalb elitär, weil es Unmengen an Fläche voraussetzt. Ein Golfplatz braucht rund 50 Hektar Fläche, ein Minigolfplatz gerade mal 1 500 Quadratmeter.

Dieser Flächenaspekt macht wiederum den Bezug zur Schweiz deutlich: In einem kleinen Land, das zu zwei Dritteln aus ökonomisch kaum nutzbaren Bergen besteht, ist Fläche Mangelware.

Ein kleiner Platz und einfache Regeln sind sinnvoll. »Man zahlt ein paar Franken, erhält einen Schläger und spielt«, sagt Willy Hartmann, der in Studen bei Biel eine Anlage führt. Diese Einfachheit sei es, die den Reiz des Spiels ausmache. Und wer den Entschluss fasse, intensiver zu spielen und eigenes Material zu kaufen, der müsse sich nicht weiter in Unkosten stürzen.

Ein Schläger koste zwischen 70 und 180 Franken, sagt Hartmann. Eigentlich brauche ein Spieler nur einen, Spitzenspieler hätten allenfalls einen zweiten Schläger für den Weitschuss. Hartmann handelt mit Schlägern, Bällen und den kleinen Köfferchen für die Bälle.

Immer wieder hört man von der Wichtigkeit der Bälle. Ursprünglich habe man mit normalen Golfbällen gespielt, sagt Hartmann, »aber die sind beispielsweise beim Wassergraben immer aus der Bahn gehüpft.« Also habe man so genannte »tote« Bälle entwickelt, die wie eine faule Tomate am Boden liegen bleiben, wenn man sie fallen lässt. Das habe sich weiter diversifiziert und heute gebe es »schnelle Bälle«, »Turbobälle«, »harte Bälle«, »weiche Bälle«, »leichte« und »schwere Bälle«. Bälle für den Weitschuss, Bälle für die Bahn mit Rampen, Bälle für die Tunnels, Bälle für die Bahn mit Kurven, Bälle fürs letzte Einlochen an der Bahn 18.

Spitzenspieler besäßen 500 verschiedene Bälle, sagt Hartmann. »Sie kaufen laufend neue Bälle für neue Situationen auf neuen Bahnen.« Insgesamt gebe es derzeit rund 1000 verschiedene Bälle auf dem Markt. Bei Turnieren werden Bälle bei heißem Wetter oftmals mit Eis oder kaltem Wasser gekühlt, weil die Hitze sie aufweichen würde.

Wer allerdings einfach mal an einem lauen Sommerabend nach einem Tag im Schwimmbad eine Runde spielen geht, braucht sich um diese Ballvielfalt nicht weiter zu kümmern. Wir zahlen den Eintritt und treten ein in eine von einem Maschendrahtzaun umgebene Miniaturwelt, in der wir jene Kontrolle über unser Agieren haben, die draußen in der Wirklichkeit längst abhanden gekommen ist.

Wenn der Exzess ein Gegenteil hat, dann ist das Minigolf. Eine Runde Minigolf ist ein 18-Loch-Bekenntnis zur Basisdemokratie, zum Mittelmaß. Doch wie die Welt in einer Minigolfanlage 18 mal kleiner und kleiner wird, bis diese schließlich zu einem niedlichen Spiegelbild der Welt mutiert, so bleiben auch die großen Geheimnisse draußen vor dem Maschendrahtzaun. Eine sehr schweizerische Angelegenheit eben.